"Ihr seid das Salz der Erde"
Wie Leben schmeckt
Seid Licht füreinander, sorgt für guten Geschmack, wo der Alltag fad ist. Das ist mehr als ein guter Tipp von Jesus an seine Jüngerinnen und Jünger. Wer ein Talent hat, soll es einbringen. Denn das Leben ist schön – selbst dort, wo gestorben wird.
Von Barbara Dreiling
Anja Imwalle bindet ihre rote Küchenschürze um. Das extra für heute mitgebrachte Outfit findet bei ihrer Kollegin Zustimmung. Beide lachen. Andere Ehrenamtliche und Hauptamtliche decken die Tafel mit Tellern und Servietten mit rustikalem Druck, tragen Stühle herein. Die Stimmung in der Wohnküche ist gut, denn heute Abend ist im Osnabrücker Hospiz Hüttensause.
Einmal im Monat gibt es ein Abendessen unter einem Motto mit den dazu passenden Speisen. Von den Gästen – so werden die Bewohnerinnen und Bewohner des Hospizes genannt – ist noch niemand in der Wohnküche. Während gedeckt und geräumt wird, steht Anja Imwalle am Herd und schiebt Zwiebeln in der Pfanne zur leichten Bräune. Es soll Käsespätzle geben und zum Nachtisch Steirisches Apfeltiramisu.
Wenn Jesus zu seinen Jüngerinnen und Jüngern sagt „Ihr seid das Salz der Erde“, dann bekommt das beim Abendbrotdienst im Hospiz eine konkrete Bedeutung. Denn Geschmack und gutes Essen machen manchmal den Unterschied. Sie erinnern selbst dort, wo gestorben wird, an das Leben.
Anja Imwalle, im Hauptberuf kaufmännische Angestellte, ist eine von 160 Ehrenamtlichen rund um das Osnabrücker Hospiz. Einmal in der Woche kommt sie nach der Arbeit ins Hospiz und unterstützt die Hauswirtschaft und den Abendbrotdienst. Dann klopft sie an den Zimmern und fragt die Gäste, ob und was sie essen möchten. „Nicht jeder Gast mag an dem Abend was essen oder kann auch nicht essen“, sagt sie. Bevor sie ihre ehrenamtliche Arbeit begann, hat sie an einem Qualifizierungskurs für den Hospizdienst teilgenommen, in dem es um die hospizliche Haltung ging, aber auch um konkretes Wissen über Essen am Lebensende und bei bestimmten Krankheiten.
Leben und Sterben dicht beieinander
Ihr erster Kontakt mit der Hospizarbeit liege schon zwanzig Jahre zurück, erzählt sie. Damals habe eine ehemalige Nachbarin ihre Schwiegertochter in einem Hospiz im Sterben begleitet. Die Nachbarin habe unwahrscheinlich rührend und schön von der Begleitung gesprochen. „Das hat diesen Gedanken gepflanzt“, sagt Imwalle über ihr erstes Interesse an einem Ehrenamtsdienst im Hospiz. „Das war ein schleichender Prozess.“
Nachdem sie nach Osnabrück gezogen war, meldete sie sich zum Informationstag des Hospizes für Ehrenamtliche an, bei dem die Einsatzmöglichkeiten vorgestellt wurden. „Da war es einfach um mich geschehen“, sagt sie.
Wenn man Anja Imwalle zuhört, hat man den Eindruck, dass es im Hospiz gar nicht ums Sterben geht, sondern ums Leben. „Es ist ein Sowohl-als-auch“, sagt sie, „nur, hier ist es sehr eng beieinander. Jeder weiß, warum er hierher kommt. Klar, hier wird gestorben.“ Aber die Zeit davor, die könne man noch mit ganz viel Leben füllen, ist ihre Überzeugung: „So traurig, wie es hier manchmal ist – es wird hier aber mindestens genauso viel gelacht.“
Wenn jeder tut, was er kann ...
Sie möchte dem vielen Negativen, das ihr in der Gesellschaft begegnet, etwas Positives entgegensetzen und zeigen: „Es gibt auch ganz viel Gutes und das ist so schön! Das tut gut.“ Gleich beim Abendessen werde es einige Gäste und Zugehörige geben, „die sich einfach wahnsinnig freuen und die werden auch einen richtig tollen Abend haben, von dem sie wahrscheinlich lange erzählen werden“, sagt Imwalle aus ihrer Erfahrung mit den monatlichen Kochabenden.
Nicht jeden Abend ist im Hospiz so viel los wie heute. Manchmal werde „nur“ Abendbrot zubereitet. Aber dann sind es „zwei, drei gewechselte Worte“, die für Anja Imwalle Licht ins Leben bringen. „Es sind manchmal einfach die kleinen Dinge, die es so besonders machen“ und die sie zu ihrem Hauswirtschaftsdienst im Hospiz motivieren. Im Evangelium dieses Sonntags heißt es: „So soll euer Licht vor den Menschen leuchten.“ Wenn jede und jeder tut, was sie oder er kann, dann verändert sich die Stimmung, dann haben auch andere Freude daran.
Auf die einfachen Dinge kommt es Anja Imwalle an. Und dann brät sie sogar Spiegeleier, erzählt sie und lacht. Sie mag den Geruch nicht und denkt jedes Mal: „Ich tu’s nur für Euch!“ Oft sind es einfache Gerichte wie ein Spiegelei oder Bratkartoffeln, über die ein Gast sich freut. Daran habe sie Spaß und dann sei es letztendlich egal, was sie kocht, sagt sie.
Es ist ein Geben und Nehmen
Für Anja Imwalle ist die Arbeit im Hospiz wie eine Erdung. „Man wird wunderbar auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt“, sagt sie. Im Hospiz findet sie eine Einfachheit, die auch zufrieden macht. Und: „Man ist besser bei sich selbst und auch im Hier und Jetzt.“ Wenn sie mit den Gedanken abschweift und viele Schritte vorausdenkt, holt sie der Alltag mit den Sterbenden zurück. Hier bleiben viele Probleme der Welt außen vor. So sieht sich Anja Imwalle mindestens genauso als Empfangende wie als Gebende. Es ist ein „Geben und Nehmen“, sagt sie selbst über ihre Arbeit.
Licht sein für andere Menschen oder Würze in das Leben bringen, das kann man nicht, ohne selbst Energie zu tanken. „Ich bekomme ganz viel Dankbarkeit, die wirklich von Herzen kommt. Und diese Dankbarkeit, die ist so viel wert“, berichtet sie. Was sie gibt und was für andere den Alltag im Hospiz hell macht, ist ihr Talent. „Weil Kochen ist ’ne Leidenschaft von mir. Dann kann ich mich hier bei diesen Events auch ein bisschen austoben. Es kommt in der Regel gut an“, sagt sie und lacht. Auf ihrer roten Schürze steht „Sternchenkoch“.