Wo Bismarck sich wohl fühlte

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Am 125. Todestag versammelten sich am Bismarck-Museum mehrere Dutzend Menschen.
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Foto: Andreas Hüser

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Am 125. Todestag versammelten sich am Bismarck-Museum mehrere Dutzend Menschen.

Im Sachsenwald fand der preußische Staatsmann und Reichskanzler Otto von Bismarck einen idealen Ruheort. 125 Jahre nach seinem Tod ist es aber unruhig um ihn geworden. Stein des Anstoßes: das Bismarck-Denkmal in Hamburg

Er steht da wie ein Ritter aus alter Sage: ein Mann aus Granit, auf sein Schwert gestützt, den Blick gen Westen – die Riesengestalt des Otto von Bismarck auf St. Pauli ist mit 34 Metern Höhe das größte der 700 Bismarck-Denkmäler in Deutschland. Die ersten dieser Denkmäler entstanden schon während seiner Zeit als Reichskanzler. Aber nach seiner erzwungenen Entlassung 1890 brach in Deutschland eine regelrechte Bismarck-Euphorie aus. Wo immer der Pensionär auftrat, strömten Menschenmassen zusammen. Aber er trat nur noch selten auf. Der alte Bismarck war gesundheitlich angeschlagen und verbittert. Er blieb meist zuhause. Zuhause, das war nicht Hinterpommern, wo er aufgewachsen war und ein Gut hatte und schon gar nicht die Reichshauptstadt Berlin, wo er auf keinen Fall begraben sein wollte. Zuhause war für ihn und seine Familie Friedrichsruh – der malerische Flecken mit 7 000 Hektar Wald im Herzogtum Lauenburg, den ihm Kaiser Wilhelm 1871 geschenkt hatte. Heute ist Friedrichsruh der Sitz der Familie Bismarck. In Friedrichsruh befindet sich ein Mausoleum mit den Grabstätten des Fürstenpaares. Das Bismarck-Museum besuchen Menschen aus allen Ländern. Was es nicht mehr gibt: das eigene Postamt, an dem am 80. Geburtstag des Ex-Kanzlers 10 000 Glückwunsch-Telegramme, 450 000 Postkarten und mehrere Tausend Pakete ankamen.

Erbitterter Kampf gegen die katholische Kirche

Bismarck ist heute noch ein Name mit Weltruf. Eine Inselgruppe im Pazifik (Bismarck-Archipel), ein Gebirge in Papua Neuguinea, ein Gletscher in den Anden, zehn Städte allein in den USA sind nach dem deutschen Staatsmann benannt – etwa Bismarck, die Hauptstadt des US-Bundesstaates North Dakota. 
Probleme mit dem Bismarck-Erbe haben fast nur die Deutschen. Das Bismarck-Monument ist abgesackt – tatsächlich war es so in Hamburg. Vor drei Jahren stand eine Sanierung des Denkmals an. Veranschlagte Kosten: 9 Millionen Euro. Das löste eine lange Debatte aus. So viel Geld für die Würdigung eines Kriegspolitikers, Nationalisten, Antidemokraten, Antisozialisten? 

Tatsächlich gibt es Gründe, die Person und Politik des ersten Reichskanzlers kritisch zu sehen. Sein „Sozialistengesetz“ verbot sozialdemokratische und sozialistische Vereine – am Ende erfolglos. Besonders heftig bekämpfte  Bismarck die katholische Kirche. Im Zuge des „Kulturkampfes“ wurden ab 1875 alle katholischen Orden verboten, katholische Vereine geschlossen, Zeitungen konfisziert, katholische Redakteure und Geistliche inhaftiert. 1878 waren 1 800 Pries-
ter in Haft, nur ein Viertel aller Pfarrstellen in Preußen besetzt. 

Der Kulturkampf hatte aber nicht nur diese Seite. Auch die Päpste des 19. Jahrhunderts führten einen Kampf: gegen die gesamte Moderne, gegen die Gedanken der Aufklärung, gegen Toleranz, Freiheit und Selbstbestimmung, gegen die Philosophie des deutschen Idealismus, deren Größen in Berlin oder Ostpreußen saßen. Die kirchlichen Machtansprüche mussten mit den staatlichen Interessen kollidieren. 

Im Kulturkampf aber konnte sich Bismarck nicht durchsetzen. Die Katholiken schlossen sich fest zusammen und bildeten in der Zentrumspartei eine starke politische Opposition. Bismarck musste die Restriktionen schrittweise zurücknehmen. 

Eigene Kolonien? Bismarck war skeptisch

Vieles im Wirken Otto von Bismarcks ist nach heutiger Sicht kritikwürdig. In der Hamburger Diskussion geht es aber vor allem um ein spezielles Schlagwort: die „Dekolonisierung“ der Stadt, für das es sogar städtische Sondermittel gibt. Bismarck, der Realist, war selbst kein Freund des Kolonialismus. Er sah am Beispiel Englands und Frankreichs, welche Lasten die überseeischen Besitzungen verursachten. Trotzdem verschaffte sich das Deutsche Reich in seiner Amtszeit Kolonien: in Afrika, im Pazifik und in China. Von diesen Kolonien profitierte vor allem die Exportwirtschaft, auch die Hamburger Reeder und Kaufleute. Nicht zufällig blickt der Hamburger Bismarck die Elbe hinunter, wo die Überseefrachter ein- und auslaufen.

Seit Herbst 2020 sollten mehrere Workshops, Podiumsdiskussionen und ein künstlerischer „Ideenwettbewerb“ Vorschläge zu einer „Neu-Kontextualisierung“ des Bismarck-Monuments  erbringen. 78 Vorschläge wurden eingereicht. Daunter Erstaunliches: Bismarck mit Lichtschwert, mit dem Helm des Star Wars-Bösewichts Darth Vader, das Denkmal als Kletterwand oder komplett mit Gedichten übermalt. Am Ende gab es keinen Gewinner. Die „Kontextualisierung“ soll jetzt nicht sichtbar, sondern durch einen „gesellschaftlichen Diskurs“ geleistet werden. 

„Er konnte sehen, was andere nicht sehen“

„Am wohlsten ist mir in Schmierstiefeln, weit weg von jeder Zivilisation. Am besten ist mir da zu Mute, wo man nur den Specht hört.“ Der Bismarck-Biograf, 
Historiker und Journalist Jochen Thies zitierte diesen Satz am vergangenen Sonntag, dem 125. Todestag Bismarcks. Er sprach dort, wo der Specht klopft – in Friedrichsruh. Die Bismarck-Gesellschaft hatte zu einem Vortrag und einer Sonderführung ins Mausoleum eingeladen. Im westlichen Teil dieser Kapelle stehen die Sarkophage des Fürstenpaares, im Osten ein schlichter Altar, eine Inschrift mit Worten aus dem Kolosserbrief: „Alles, was ihr thut, das thut von Herzen, als dem Herrn und nicht den Menschen.“ 

Im Festvortrag nimmt Jochen Thies die Debatten um die Bismarck-Erinnerungen auf. „Ohne Bismarck“, sagt er, „wäre der deutsche Nationalstaat nicht zu haben gewesen.“ Zwar werde die Frankfurter Nationalversammlung von 1848 heute als Geburt der Demokratie höher bewertet. Aber ihre Mitglieder hätten nie die 29 deutschen Einzelstaaten zusammengeführt. „Sie lebten in einer kleinen Welt.“ Bismarck dagegen, der Englisch, Russisch und Französisch sprach und schon vor seinem Amtsantritt Kontakte in allen wichtigen Ländern hatte, war ein anderes Kaliber. „Er konnte sehen, was andere nicht sahen.“ 

Die Debatten der Gegenwart sieht Thies mit nachdenklicher Sorge. „Es geht bei diesen Debatten nicht nur um Bismarck.“ Es gehe um die Frage, was deutsche Identität ausmacht – wichtig für Menschen, die in dieses Land einwandern. Ein „Geschichtsvakuum“ sei eine reale Gefahr. „Wer wird es füllen?“ „Zerstören Sie nicht das, was in der Geschichte Größe hatte“, mahnte der Historiker angesichts der jüngsten Auseinandersetzungen – nicht nur denjenigen um Bismarck.

Andreas Hüser