Digitale Arbeitswelt

Wo bleibt die Menschlichkeit?

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Die Arbeitswelt mit immer mehr Computern, Robotern und automatisierten Abläufen beschäftigt auch die Kirche. Wie lässt sich im rasant veränderten Wirtschaftsleben die Menschlichkeit bewahren? Das ist auch eine Frage für die katholischen Sozialverbände. Die Kirchenzeitung hat je einen Vertreter des Bundes Katholischer Unternehmer (BKU) und der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) dazu befragt.

Ambivalent

von Florian Brechtel

Florian Brechtel Foto: privat
Florian Brechtel, Foto: privat

Der Megatrend „Digitalisierung“ prägt gegenwärtig alle Felder von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft und bewirkt fundamentale Veränderungsprozesse und stellt die Gesellschaft damit vor enorme Herausforderungen. Im Zentrum stehen dabei wachsende Vernetzung und zunehmende Kooperation von Mensch und Maschine und daraus folgend die Entstehung neuer Produkte, Arbeitsformen und Dienstleistungen. Durch diesen kulturellen und gesellschaftlichen Wandel entstehen neue Ansprüche an Arbeit. Noch vor knapp 30 Jahren gab es kein Internet, das „iPhone“ ist gerade einmal etwas mehr als zehn Jahre alt – beides ist heute aus dem Alltag der Menschen in Beruf und Privatleben in Deutschland nicht mehr wegzudenken.

Diese rasante technische Entwicklung bietet auf der einen Seite enorme Freiheitsgrade, doch auch die negativen Seiten dieser Transformation sind nicht zu übersehen: Während in der Vergangenheit viele beim Thema „Digitalisierung/Automatisierung“ vor allem an die Produktion mit Fließbändern und Roboterarmen gedacht haben, sind mittlerweile auch viele Berufe im Bereich der Dienstleistungen betroffen. Damit sind nun aber plötzlich auch die dortigen Mitarbeiter betroffen, die bisher glaubten, von dieser Entwicklung verschont zu bleiben (Anwälte, Bankangestellte). Wie schon einmal den achtziger Jahren dreht sich die Diskussion vor allen Dingen um den möglichen Wegfall von Arbeitsplätzen. Das halte ich für überzogen, denn die technische Entwicklung wird auch viele neue Dienstleistungen und Berufsbilder entstehen lassen.

Festzuhalten bleibt aber:

  • Die Arbeitswelt, und damit die in ihr tätigen Menschen in den Unternehmen, werden sich in den nächsten Jahrzehnten enormen Veränderungen gegenübersehen.
  • Die arbeitsmarktrelevanten Konsequenzen der Automatisierungsprozesse sind dabei zunächst offen. Die durch die Digitalisierung entstehenden individuell gestaltbaren Arbeitsverhältnisse versprechen mehr Freiheitsspielräume, sie bergen aber auch Risiken. Ihre soziale Absicherung bedarf daher einer Klärung.
  • Die Kommunikation in und mit Unternehmen und ihren Mitarbeitern wird sich weiter verändern. Dies betrifft die Kommunikation zwischen Vorgesetzten und ihren Mitarbeitern, zwischen den Unternehmen und ihren Kunden und den Mitarbeitern untereinander. Die Digitalisierung ermöglicht die räumliche und zeitliche Trennung von Arbeitswelten, wodurch es nicht mehr zwangsläufig gegeben ist, dass sich die handelnden Personen an einem Ort physisch gegenüberstehen. Dies stellt neue Anforderungen an die zwischenmenschliche Kommunikation.
  • Die durchlässiger werdenden Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit sollten nicht zu Lasten von Schutzräumen für Privates oder der Familien gehen. Arbeitsfreie Sonn- und Feiertage haben auch in der „neuen Arbeitswelt“ einen eigenständigen Wert. Den möglichen Freiheiten für Mitarbeiter (Home-Office, Möglichkeit zur Teilzeitarbeit, „Job Sharing“) steht auch die Gefahr einer Vermischung von Beruf und Freizeit-/Familienleben gegenüber. Unternehmen und Vorgesetzte müssen immer noch das Privatleben ihrer Angestellten respektieren und dürfen dort nicht übergriffig agieren. Arbeitnehmer haben aber auch die Aufgabe, vertrauensvoll und loyal mit dieser Situation umzugehen und diese nicht zu ihren Gunsten auszunutzen.
  • Auf Unternehmensebene ist klar, dass fortlaufend in die Weiterbildung von Mitarbeitern investiert werden muss. Mitarbeiter müssen sich aber ebenfalls darüber bewusst sein und bereit dazu, auch nach Schule, Lehre oder Studium weiter zu lernen. Zu schnell ändern sich technische Voraussetzungen und das Wissen aktualisiert sich in immer kürzeren Zyklen, so dass ein „Fertiglernen“ unrealistisch ist.
  • Gesamtgesellschaftlich besteht die Herausforderung darin, Bürgerinnen und Bürger auf die oben genannteSituation vorzubereiten, das heißt sich bereits im Bildungssystem auf diese neue Situation einzustellen und eher Kompetenzen als Wissen zu vermitteln.
  • Ebenso muss gesamtgesellschaftlich eine Lösung für diejenigen gefunden werden, die nicht in der Lage sein werden, sich dem rasanten Wandel anzupassen, der auf uns zukommen wird.

Der ambivalente Charakter der künftigen Arbeitswelt erfordert, menschenwürdige Arbeitsverhältnisse zu schaffen. Die katholische Soziallehre (zum Beispiel die Enzyklika „Caritas in Veritate“, 2009) bietet dazu eine ganze Reihe von sozial-ethischen Anregungen.

Der Autor gehört zum Vorstand der Diözesangruppe „Rhein-Main“ im Bund Katholischer Unternehmer (BKU). Er ist als selbstständiger Berater für gemeinnützige Organisationen tätig.

 

Schöne neue Arbeitswelt oder Dauer-Dämmerung für die Beschäftigten in den Betrieben? Derzeit gibt’s mehr Fragen als Antworten. | Foto: AdobeStock
Schöne neue Arbeitswelt oder Dauer-Dämmerung für die Beschäftigten in den Betrieben? Derzeit gibt’s mehr Fragen als Antworten. Foto: AdobeStock

Ehtisch-moralisch

von Michael Schmitt

Michael Schmitt, Foto: privat
Michael Schmitt, Foto: privat

Digitalisierung und Industrie 4.0 sind Symbole für Wandel, Chancen und Risiken. Die 4. Industrielle Revolution ist ausgerufen, bevor ihre konkrete Entwicklung und die Folgen klar sind.

Arbeit zählt dabei als zentrale Schnittstelle für den Veränderungsprozess. Für das Management der Unternehmen bedeutet dies eine Konzentration auf technisch-ökonomische Chancen und Perspektiven und eine Reduzierung auf den industriellen Wertschöpfungs- und Produktionsprozess. Für die Beschäftigten ist dies verbunden mit Ängsten um den Verlust von Arbeitsplätzen, geänderte Qualifikationsanforderungen und erhöhten Ansprüchen an die Organisation von Arbeit.

  • Einerseits treibt ein globales neoliberales kapitalistisches Wirtschaftssystem die Entwicklung voran mit dem Ziel, Produkte und Dienstleis-tungen noch profitabler zu erstellen. „Cyber-physical-Systems“, absolute digitale Vernetzung von Produktionsprozessen, dienen in erster Linie dazu, Kostenfaktoren zu minimieren. So erhöht sich der Druck auf Arbeitnehmer, die in den vergangenen Jahrzehnten häufig zum „größten Kostenfaktor“ degradiert wurden. In diesem Zusammenhang befürchtet man in Deutschland den Abbau von 1,7 Millionden Arbeitsplätzen, dem gegenüber aber auch 1,5 Millionen neu zu schaffende Arbeitsplätze stehen. Diese erfordern nicht nur andere, meist höhere, Qualifikationen sowie eine größere Anpassung der Arbeitnehmer an Wertschöpfungsprozesse im Sinne von zeitlicher Flexibilität. Arbeit wird nicht „ausgehen“, doch werden neue Formen von prekärer Arbeit an Gewicht gewinnen, zum Beispiel Crowdworking. Gerade bei dieser „Arbeitsform“ stellt sich die Frage von sozialer Absicherung der hier tätigen Menschen.
  • Andererseits ergeben sich Chancen, einfache schwere Routinetätigkeiten technologisch-maschinell zu bewältigten, Angebote von Qualifizierungsmaßnahmen und Weiterbildung auszubauen, Handlungsspielräume von Mitarbeitern zu erweitern und die Vereinbarkeit von Arbeit & Leben zu verbessern.
  • Ein weiteres Problemfeld einer rasanten Digitalisierung ist die Frage von Datensicherheit, gerade wenn immer mehr Daten („big-data“) gesammelt werden und zur Verfügung stehen. Der aktuelle Fall von Datenmissbrauch im Zusammenhang mit Facebook ist ein selbstredendes Beispiel.
  • Völlig offen ist die Entwicklung von KI (künstlicher Intelligenz). Algorithmen führen zu Entscheidungen, die nicht von Menschen, sondern „Maschinen“ getroffen werden. So berief sich kürzlich die größte deutsche Luftfahrtgesellschaft „Lufthansa“ darauf, dass deren teilweise überhöhte Flugpreise nach der Insolvenz vom Mitbewerber „AirBerlin“ durch Rechner ermittelt und angeboten wurden.
  • Ethisch soziale Fragen stellen sich gerade auch im Dienstleistungsbereich, speziell in der Pflege. Wenn der Pflegeroboter „Alice“ in Seniorenheimen die Betreuung übernimmt, stellt sich schon die Frage nach einer „menschlich würdigen“ Welt.
  • Letztendlich muss „Menschlichkeit“ nicht auf der Strecke bleiben, sie wird aber nicht durch passives Beobachten der Entwicklung gesichert. Vielmehr sind Sozialverbände, Gewerkschaften und andere gesellschaftlich relevante Gruppierungen und auch Politiker gefordert, jetzt mit zu steuern, mit zu gestalten. Ein Gegensteuern gegen geschaffene Tatsachen wäre zu spät. So stellt sich unter anderem die Frage nach dem Ausbau der betrieblichen Mitbestimmung und einer „sozialen Globalisierung“.

Wir als Katholische Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) sehen uns in der Verantwortung, gerade aus ethisch-moralischer Sicht mit Blick auf die Würde des Menschen zu agieren und nicht nur zu reagieren, um Digitalisierung als Chance für „Menschlichkeit“ wahrzunehmen.

Der Autor ist Diözesansekretär der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) im Bistum Fulda.