Kinder in Deutschland leiden unter dem Krieg in der Ukraine

Worauf wir achten müssen

Image
Kinder in Deutschland leiden unter dem Krieg Russlands gegen sein Nachbarland, die Ukraine. Kindertagesstätten und Caritasberater reagieren darauf. Erfahrungen aus Dresden, Görlitz und Erfurt.

Wunschsterne am St. Carolus-Kindergarten in Görlitz.    Foto: Marion Schneider

 

„Kinder haben ganz existentielle Ängste für sich und ihre Familien. Sie können nicht einschätzen wie weit der Krieg entfernt ist. Sie sagen, wie schlecht der Krieg ist, manchmal ganz ohne Zusammenhang.“ So Marco Körner vom Christlichen Kinderhaus Dresden-Kleinzschachwitz.
Viele fragen sich heute, wie Kindern geholfen werden kann, mit dieser Situation zu leben. Hiltrud Liedtke von der Ehe-, Familien und Lebensberatung der Caritas in Erfurt sagt: „Es ist wichtig, dass Eltern und Großeltern darauf achten, ihre eigene Angst nicht auf die Kinder zu übertragen.“ Zudem muss darauf geachtet werden, dass sich die Sorgen und Bedrückungen nicht in Aggressionen verwandeln. Beispielsweise gegen Russen, die hier leben. „Achten wir darauf, das Menschliche zu kultivieren.“ Bei Kindern selbst nimmt die Beraterin in ihrem Bereich derzeit kaum Angst wahr, die durch den Krieg verursacht wird. „Sie spüren die Angst der Großen schon, schauen aber auch auf die Hilfsbereitschaft.“ Bewusst zur Kenntnis nehmen es die Mädchen und Jungen ab 14- oder 15-jahren, die schon ein politisches Bewusstsein ausprägen. Die Wahrnehmung wird sich allerdings verändern, wenn die Kinder aus der Ukraine in die Schulen und Kindergärten kommen. Hiltrud Liedtke empfielt, dass die Mädchen und Jungen nicht ungefiltert und unbegleitet die Nachrichten sehen. Die Bilder sind für sie abstrakt, sie werden nicht eingeordnet.

Jede Generation hat ihre Ängste
„Angst vor einer Ausweitung des Krieges, ist die Angst der Erwachsenen“, betont Hiltrud Liedtke. Diese hat biografische Gründe und Ursachen. Die heute etwa 50-jährigen waren in den 80er Jahren Jugendliche oder junge Erwachsene, die geprägt waren von der Furcht vor einem Atomkrieg. Die Generation, die in den 60er Jahren und davor geboren wurden, hatten Eltern, die selbst teils furchtbare Kriegserfahrungen hatten und diese an ihre Kinder unbewusst auch weitergaben. Dazu kommen Ereignisse wie die Kubakrise 1962, bei der die Welt wirklich am nuklearen Abgrund stand. Bei jüngeren Erwachsenen nimmt Liedtke Ängste vor Amokläufen an Schulen oder Terror wahr.
In ihren Beratungen spricht Hiltrud Liedtke die Klienten immer auch darauf an, wie sie mit den Nachrichten aus der Ukraine umgehen. „Wem es hilft, für den Frieden zu demonstrieren, der soll es tun. Wer beten kann und möchte, sollte es tun. Und wer Geflüchteten helfen will, der sollte es tun.“ Sie rät zudem weiter, sich nicht dauerhaft den Nachrichten auszusetzen: „Achten Sie auf sich und schauen Sie, wie viel an Informationen nützlich ist.“ Weiter sagt sie: „Wer um 21.30 Uhr noch die aktuellen schlimmen Bildern anschaut, kommt nicht zur Ruhe und kann schlecht schlafen. Informationen kann ich auch aus dem Radio bekommen, ohne Bilder.“
Wie emotional Kinder auf den Krieg Russlands reagieren, zeigt ein Moment aus dem Görlitzer St. Jakobuskindergarten. „Ein Mädchen kam in unseren Morgenkreis und drückte uns schweigend die Fahne der Ukraine in die Hände“, berichtet Marion Schneider, die dort die Vorschulgruppe leitet. Das war der ausschlaggebende Punkt, sich mit den 20 Kindern über den Krieg Russlands auszutauschen. „Die Mädchen und Jungen sind schon sehr verängstigt und fragen, ob so etwas auch bei uns passieren kann?“ In der Gestaltung des Kita-Alltags wird auf diese Angst reagiert. In den blau-gelben Farben der Ukraine entstanden Wunschblumen, die in einem Fenster zu sehen sind. Die Kinder unterstützten eine Sammelaktion der Kirchgemeinde, indem sie ihre Eltern darüber informierten. Auch im täglichen Morgenkreis – mit Lied, Gebet und formulierten Anliegen – ist die Ukraine Thema geworden. Der Krieg wurde zudem zum Anlass genommen, mit den Kindern die Konfliktbewältigung, die Deeskalation einzuüben.

Nachrichten, die nicht ins Weltbild passen
Auch im Christlichen Kinderhaus in Dresden-Kleinzschachwitz ist es für die Kindergärtnerinnen wichtig, aus ihrer Perspektive mit den Kindern im Austausch zu bleiben. Leiter Marco Körner: „Viele Kinder erhalten in ihrem Alltag Informationen über Themen, die uns Erwachsene beschäftigen. Sie sehen Bilder und Nachrichten, hören Radio und folgen unseren Gesprächen.“ Mitunter sind das Informationen, die Kinder nicht verstehen, die nicht in ihr Weltbild passen. Eltern bekommen oft gar nicht mit, was ihre Kinder erfahren und mit wem sie gesprochen haben. Marco Körner: „Ich weiß nicht in jedem Fall, was mein Kind gesehen hat und wie es zu einer Frage gekommen ist. Umso wichtiger ist es, auf die Fragen der Kinder einzugehen.“ Eine Option ist, zunächst mit Gegenfragen herauszubekommen, was sich denn das Kind darunter vorstellt. Welche Erwartung verknüpft sich mit der Frage? Wie kommt das Kind zu der Frage? Was hat es bisher wahrgenommen? „Wenn ich gleich mit Erklärungen komme, ,serviere‘ ich dem Kind meine eigene Weltsicht. Das muss aber nicht den Erwartungen des Kindes entsprechen. Außerdem verknüpfen sich meine Erklärungen oft mit meinen Emotionen und Erfahrungen. Damit transportiere ich möglicherweise Ängste, Wut, Unsicherheiten. Das wiederum kann das Kind, das eine sachliche Frage gestellt hat, stark verunsichern oder einfach auch mehr Fragen aufwerfen als beantworten.“ Gleichzeitig ist wichtig, dass die Erwachsenen authentisch sind. „Wenn ich versuche, meinem Kind etwas ,vorzuspielen‘ durchschaut es dies meist. Ein offener Umgang mit Kinderfragen ist für das Kind hilfreicher, als dass es sich im Nachgang Gedanken macht, ob hinter meinen Aussagen noch mehr steckt.“ Erwachsene können auch zugeben, was ihnen Angst macht oder was sie traurig stimmt. „Damit kann ein Kind mehr anfangen, als wenn ich ein Geheimnis um Themen mache. Ich kann ihm aufzeigen, wie ich damit umgehe. Als Christen haben wir die Chance, unsere Sorgen und Unsicherheiten, aber genauso unseren Dank für unsere Sicherheit im Gebet vor Gott zu bringen.“
Ebenso wie Hiltrud Liedtke ist es für Marco Körner wichtig, die Kinder zu schützen. „Eine Form der Begleitung durch uns Erwachsene sollte darin bestehen, dass wir Kinder vor zu vielen und vor allem beängstigenden Informationen schützen. Wir sollten hinterfragen, wer der Absender und der Adressat der Nachrichten ist, die mein Kind möglicherweise aufnimmt.“
Marco Körner und seine Mitarbeiterinnen bleiben sensibel für das, was die Kinder beschäftigt. „Letztlich sind wir in der Verantwortung, Kindern Sicherheit zu vermitteln“, betont Körner.

Von Holger Jakobi