Kulturkirche 2023 Chemnitz: Aschermittwoch der Künstler
Zeuginnen sichtbar machen
Die Künstlerin Susanne Herrmann hat sich in ihrem Bild „Zeuginnen ohne Text“ mit Frauen der Bibel auseinandergesetzt, die den Leidensweg Jesu begleitet haben. Fotos: Ruth Weinhold-Heße |
Die helle Skulptur des Auferstandenen in der Propsteikirche Chemnitz ist nicht mehr zu sehen. Sie wird verdeckt von einem neuen Werk: Dem übergroßen Bild „Zeuginnen ohne Text“ der Berliner Künstlerin Sabine Herrmann, geboren 1961 in Meißen. Sie hat es eigens für die Passionszeit und diese Kirche geschaffen, eine Anlehnung an das mittelalterliche Fastentuch.
Die Aufhängung oben im Altarraum hat etwas Luftiges. Das Gemälde mit breiten Acryl- und Pigmentauftragungen reicht bis zum Boden. Das Ende des Papiers ist wie eine Schriftrolle zusammen gerollt. Am unteren Bildrand spiegelt sich die rote Farbe der Kirchensäulen aus heimischen Porphyr wider. Das wirkt wie ein Fundament. Das Bild ist jedoch zu Beginn nicht komplett zu sehen. Während der Feier zum Auftakt der Fastenzeit ist die Kirche in rötliches Licht getaucht. Gemäß dem Kulturhaupstadtmotto „C the unseen“ (Das Ungesehene sehen) geht es auch hier darum, genauer hinzuschauen, sich auseinanderzusetzten.
Gut 300 Menschen wollen die Altarverhüllung am Aschermittwoch miterleben, nicht nur Katholiken sind bei der ökumenischen Verantsaltung dabei. Neben anderen Christen nehmen Vertreter der Stadt und der Kulturszene, am ersten Aschermittwoch der Künstler in Chemnitz teil. Das Angebot, sich als Zeichen der eigenen Begrenztheit Asche auf das Haupt streuen zu lassen, nehmen fast alle an. Ein bewegender Moment, bei dem Organist Sebastian Schilling „Spiegel im Spiegel“ von Arvo Pärt spielt.
Danach wird bei einer Orgel- improvisation das Bild erleuchtet. Buchstaben sind zu erahnen. Nach der Veranstaltung gehen viele Besucher nach vorn, betrachten das Bild genauer. Einzelne Frauennamen oder Wörter sind zu sehen, große Buchstaben, aber keine Zusammenhänge.
Sabine Herrmann erklärt: „Ich habe die Bibelstellen, die von Frauen handeln, die Jesus begleiteten, mit roter Kreide aufgeschrieben, dann wieder wegradiert, wieder geschrieben. Im oberen Bereich des Bildes habe ich Bleistift verwendet und auch wieder radiert. Die Schrift scheint nur durch, auch der Text ist verhüllt.“ Allesamt enthalten die Bibelstellen über die Frauen keine wörtliche Rede. „Ich habe mich schon immer gefragt, wie schrecklich es sein muss, den eigenen Sohn am Kreuz sterben zu sehen oder ein leeres Grab vorzufinden,“ erzählt Herrmann. „Aber ganz oben im Bild kommt ein Engel zu Wort und sagt: ‚Ihr braucht keine Angst zu haben...‘“
Zum Aschermittwoch der Künstler gehört auch der Austausch über Kunst und Glauben. |
„Ich sehe in dem Bild eine Verbindung zwischen Himmel und Erde und eine Hoffnung, die durchscheint,“ sagt die Chemnitzer Katholikin Karla Losemann und ergänzt: „Das hat mir heute sehr gefallen, auch dass wir nach außen offen waren, nicht nur unter uns bleiben.“ Bernard Miller, Pastor der Freien evangelischen Gemeinde, der an diesem Abend die Bibel auslegte, sagt: „Ich war sofort Feuer und Flamme von der Idee, dass Glaube als Inspirationsquelle für Kunst dient, dass neue Kunst in der Kirche gezeigt wird, wie es früher normal war.“ Bis Ostern ist das Bild zu sehen. Jeden Mittwoch findet jeweils ab 19 Uhr das Begleitprogramm „Verhüllt“ statt.
Die Kirche (Hohe Straße 1, Chemnitz) ist mittwochs bis freitags von 14 Uhr bis 18 Uhr und sonntags von 14.30 Uhr bis 17.30 Uhr geöffnet.
Von Ruth Weinhold-Hesse