Zukunft ist eine Frage der Haltung
Schule nach einem Jahr Corona: Das bedeutet Stress für alle. Die katholische Don-Bosco-Schule in Rostock aber hat die Krise genutzt. Sie hat eine Diskussion zur Schulentwicklung auf Youtube organisiert. Jeder im In- und Ausland durfte zusehen und kommentieren. Das brachte überraschende Ergebnisse.
„Mit der Schule ist es wie mit der Medizin. Sie muss bitter schmecken, sonst nötzt sie nichts.“ Mit solchen Grundsätzen aus der „Feuerzangenbowle“ sind viele Schülergenerationen aufgewachsen. Geht es auch anders? „Schule soll ein Lieblingsort werden“, sagt die Buchautorin und ehemalige Grundschulleiterin Kati Ahl. „Und am Anfang ist sie das auch. Kinder lernen gern und freuen sich auf die Schule.“ Aber dann geht etwas schief: 52 000 Schulabbrecher pro Jahr deutschlandweit, 50 Prozent der Kinder sind erschöpft und müde. „Und das war vor Corona.“ Ist eine Schule möglich, die „liebevoll“ zu Kindern und Lehrern ist, die sich nicht als geschlossenes System begreift, sondern „die Welt reinlässt“?
Kati Ahl spricht in einer Zoom-Videokonferenz. Auf dem Bildschirm sieht man 17 Personen. Die meisten befinden sich in ihrer Wohnung. Das achte „MeetUp“ der Rostocker Don-Bosco Schule wird live auf Youtube übertragen, ebenso wie die sieben vorhergehenden.
In diesen Treffen wird nicht nur über „Zukunftskompetenzen der Schule“ geredet. Die MeetUps selbst sind ein Stück aus der Zukunft. Der Teilnehmerkreis ist unbegrenzt. Nicht nur die Schulleitung, nicht nur Fachleute, Lehrer und Schüler der Schule – jeder kann mitmachen, Kommentare und Fragen im Chat neben dem Bildfeld abgeben. Schon die 17 sichtbaren Teilnehmer sind eine bunte Mischung. Schüler, Pädagogen, Lehrer, Eltern, Vertreter von neuen Initiativen und Pilotprojekten kommen zu Wort. Was herauskommt und wer mitmacht, das ist nicht schon am Anfang klar, sondern ergibt sich aus den Ideen, die in die Diskussion eingespeist werden. Alle sind locker und per du.
Geduzt wird auch der Oberbürgermeister von Rostock, Claus Ruhe Madsen. Als Däne hat Madsen andere Schul-Erinnerungen als die Deutschen: Noten erst ab Klasse acht, gemeinsames Lernen bis zur neunten Klasse und eine andere Ausrichtung. „Es geht sehr stark um das Sozialisieren, wir lernen vor allem: Wie agiere ich in einer Gruppe? Wie kommt man miteinander klar? Wir werden dieser Welt geschenkt als kreative Menschen. Aber überall werden wir zurückgerufen. Nicht da hochklettern, nicht das anfassen!“ Und was dem Dänen in Deutschland auffällt: Alles geht hier nach der Norm, nach dem Vorbild der DIN-Norm. Und das behindert Kreativität, meint Madsen. Einige Minuten später wird der Oberbürgermeister den Don-Bosco-Schülern eine „Wette“ anbieten: „Ich möchte von euch wissen: Wie sieht die Stadt der Zukunft aus, Mobilität, Bildung, Energie. Nach 50 Tagen kommt ihr ins Rathaus, in mein Büro oder ich zu euch. Und wenn etwas cool ist, dann gehen wir in die Stadtentwicklung. Dann setzen wir das um. Lasst uns etwas für eure Kinder entwickeln!“
Die Schule der Zukunft soll sich in Stadt und Gesellschaft einbinden, sich nicht isolieren, darin waren sich fast alle im Kreis einig. Weitere Ziele heißen: Kreativität entwickeln, selbstständiges Denken und Mitsprache der Schüler. „Mit unserem Kinderparlament üben wir das seit Jahren“, sagte Annette Elsner, Lehrerin an der Don-Bosco-Grundschule. Klassensprecher sollen nicht nur Blumen überreichen, sie können sich einmal pro Woche im Parlament äußern. „Seitdem wir eine Woche Zeit zur Verfügung gestellt haben, ist viel in Bewegung geraten.“
Zeit ist ein Rohstoff, der für fast jede posititive Veränderung gebraucht wird, bei der Integration von behinderten und schwachen Schülern ebenso wie für die Kreativität der Leistungsträger. So sehen es auch die Schülersprecher Ida und Julius. Sie wurden gefragt: Wie soll die Schule im Jahr 2030 aussehen? Sie wünschten sich von ihrer Schule: ein Jahr mehr! Ida: „Ich fände es gut, wenn dann auch Themen angesprochen werden, die im Lehrplan nicht vorkommen – etwa psychische Krankheiten“.
Die Treffen haben einiges in Bewegung gebracht – auch dank der Gastteilnehmer aus aller Welt. Eine Mutter aus Mailand brachte beim zweiten MeetUp ihr Projekt ins Gespräch, bei dem sich Schüler einen Tag pro Woche sozial oder ökologisch engagieren und an den „Globalen Zielen“ arbeiten. Sofort hat sich eine Gruppe gebildet, die das in Rostock umsetzen will. „Wir hatten Zuschauer aus Panama, Südafrika, den USA, aus Südamerika oder Russland“, sagt Schulleiter Gert Mengel. „Damit haben wir nicht gerechnet. Aber es war von vornherein unsere Absicht, möglichst viele Menschen einzubeziehen. Impulse von außen befruchten uns. Auf der anderen Seite machen wir unseren Prozess transparent und teilen unser Wissen. Teilen, das ist für mich eine Schlüsselkompetenz in Zukunft.“
In der Zoom-Videokonferenz hat das Teilen funktioniert. Aber wie kommen die guten Absichten in die Klassenräume und in die harte Realität? Gert Mengel zitiert bei dieser Frage Papst Franziskus, der mit der UNESCO einen Globalen Bildungspakt angestoßen hat: „Der Papst hat gesagt: Bildung ist ein Akt der Hoffnung. Er hat recht. Und wenn du Verantwortung für eine Schule hast, musst du nicht den ganzen Tag etwas regeln, du musst Hoffnung ausstrahlen und Lust auf Zukunft machen.“
Text: Andreas Hüser