Warum Lazarus ein perfekter Namensgeber ist

Zurück ins Leben!

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Bei den Stralsunder Lazarus-Diensten engagieren sich Ehrenamtliche für Menschen, die Unterstützung benötigen. Und wie beim Namensgeber Lazarus sind die Dienste oft wirklich eine Hilfe auf dem Weg zum Neuanfang.

Foto: Oliver Gierens
Die Ehrenamtlichen der Lazarus-Dienste in Stralsund (von li. nach re.): Beate Reuter, Jürgen Grieger, Karen Weidermann und Leiterin Martina Steinfurth. Foto: Oliver Gierens

Von Oliver Gierens

Nein, Tote auferwecken können die Ehrenamtlichen der Pfarrei St. Bernhard in der Hansestadt Stralsund nicht – obwohl ihre Initiative vom Namen her zumindest im ersten Moment diesen Eindruck erweckt. Denn Lazarus-Dienste nennt sich ein Angebot, mit dem die Pfarrei seit einigen Jahren zusammen mit dem Caritas-Hospizdienst und dem Erzbistum Berlin Hilfsangebote schafft, um Menschen in schwierigen Lebenssituationen zu helfen, die Beistand und Hilfe, Gespräche oder Begegnungen brauchen. Ob eine schwere Krankheit, der Tod eines nahen Angehörigen oder belastende Situationen: Es gibt viele Lebenslagen, in denen Mitmenschen jemanden benötigen, der ihnen hilft, wieder zurück ins Leben zu kommen – so wie Lazarus, den Jesus vom Tod zurück ins Leben geführt hat.

Eine der Helferinnen ist Karen Weidermann. Sie ging in Rente, suchte nach einer sinnvollen Arbeit. Vor zwei Jahren las sie in der Zeitung, dass Ehrenamtliche für ein Trauercafé auf dem Hauptfriedhof in Stralsund gesucht würden. Gesagt, getan: Jeden Mittwoch und Sonntag hat das Café „Vergissmeinnicht“ von 14 bis 17 Uhr geöffnet. „Das wird nicht nur von Friedhofsgängern besucht“, erzählt Karen Weidermann. Auch Obdachlose oder Menschen, die einfach Abwechslung suchen, kommen hier miteinander ins Gespräch. „Die Räumlichkeiten sind zu klein, eigentlich müssten wir anbauen.“

Balsam für die Seele

Eine Begegnung von Mensch zu Mensch erlebt auch Robert Mandelkow. Der 28-jährige Gemeindereferent engagiert sich beim Besuchsdienst, der ein fester Bestandteil der Lazarus-Dienste ist. „Ich kann für einen Menschen da sein, mit ihm über Gott und die Welt reden“, erzählt der junge Mann. Ob Spazierengehen, Schachspielen oder einfach nur Erzählen – alles kommt vor bei seinen Besuchen bei einem alten Herrn, der inzwischen über 90 ist und seine Frau verloren hat. „Das ist einer der wichtigsten Dienste, die die Kirche leistet“, ist Mandelkow überzeugt. „Auch ich kann von ihm viel lernen, von seiner Lebenserfahrung profitieren. Unsere Treffen sind für uns beide wohl Balsam für die Seele.“

Die Lazarus-Dienste sind 2019 entstanden, als die Pfarrei St. Bernhard, die neben Stralsund auch Demmin und die Insel Rügen umfasst, über ein Pastoralkonzept nachgedacht habe, erzählt Martina Steinfurth. Die hauptamtliche Caritas-Mitarbeiterin koordiniert die Einsätze der Ehrenamtlichen, seit Anfang dieses Jahres ist sie mit vier Wochenstunden beim Erzbistum ausschließlich für die Lazarus-Dienste angestellt. Die ursprüngliche Idee war, einen ehrenamtlichen Bestattungs- und Beerdigungsdienst aufzubauen. Doch schnell wurde klar: Das alleine reicht nicht. „Ich bin jetzt seit gut 30 Jahren bei der Caritas. Da fehlen viele Dienste, weil sie nicht bezahlt werden“, sagt die Sozialarbeiterin. Immer mehr Ideen kamen zusammen, wo Engagement und Hilfe benötigt werden.

Als Namen für die Hilfsangebote suchte die Gemeinde nach einem Überbegriff, der das Ziel der Aktion treffend zusammenfasst. So entstand Lazarus-Dienste als eine Art Dachmarke für die verschiedensten Hilfsangebote. „Wir dachten dabei an Lazarus, den Jesus selbst zurück ins Leben gerufen hat“, erzählt Martina Steinfurth. „Auch wir kümmern uns um verschiedene Menschen, die nach größeren Schicksalsschlägen wieder ins Leben gelangen, zum Beispiel nach schweren Krankheiten. Da wollen wir Unterstützung geben.“

Sie lebt wieder ohne Angst und Zaudern

Warum gerade der Name Lazarus-Dienste so gut auf dieses Angebot passt, hat Jürgen Grieger erfahren. Der 74-Jährige besucht zusammen mit seiner Frau regelmäßig eine Frau, die zu den Opfern der Stasi, des früheren DDR-Staatssicherheitsdienstes, gehört. Sie lebte viele Jahre zurückgezogen, hatte starke psychische Probleme. Jetzt, so erzählt Grieger, findet sie wieder zurück ins Leben – so wie Lazarus. Sie gehe wieder alleine einkaufen, fahre Auto und traue sich generell wieder raus auf die Straße – Dinge, die sie viele Jahre nicht gewagt hat. „Wir treffen uns zweimal die Woche, gehen zusammen spazieren oder besuchen ein Kirchenkonzert“, erzählt Jürgen Grieger. „Und die Dame fühlt sich psychisch gestärkt, sie kommt ins Leben zurück ohne Angst und Zaudern.“

Das, so Grieger, habe sich inzwischen auch bei der Stadtverwaltung herumgesprochen. Dort würden die Lazarus-Dienste nicht mehr als Fremdkörper wahrgenommen. Durch das große Medienecho gilt das Angebot der Pfarrei mittlerweile bis zur Stadtspitze als Teil des sozialen Netzes. 

Rund 90 Ehrenamtliche seien mittlerweile für die verschiedenen Dienste gelistet, sagt Martina Steinfurth. Nicht alle engagierten sich regelmäßig, manche seien auch nur einmalig aktiv. Die wenigsten Helfer kämen dabei aus der Pfarrei, sagt die Caritas-Mitarbeiterin. Denn hier in Stralsund sind die katholischen Christen eine kleine Minderheit. Doch die diakonische Arbeit zieht auch evangelische Glaubensgeschwister oder Engagierte ohne Kirchenbindung an.

Manche öffnen sich für den Glauben

Das gilt auch für die Menschen, die von den Lazarus-Diensten betreut werden. Unter ihnen sind zwar auch viele Gemeindemitglieder, die teils über Jahrzehnte in der Pfarrei St. Bernhard aktiv waren. Andere wiederum haben gar keinen kirchlichen Hintergrund, sind auf anderem Wege mit den Diensten in Kontakt gekommen. 

Doch Martina Steinfurths Ehemann Roland, der sich ebenfalls engagiert, sieht in den Lazarus-Diensten durchaus auch missionarisches Potenzial. „Manche öffnen sich bei Gesprächen auch wieder für den Glauben“, so seine Beobachtung. „Und das, obwohl sie sagen, dass sie nichts mehr damit zu tun haben wollen.“