Sächsische Schüler beschäftigen sich mit deutscher Kolonialgeschichte
Sachsens Geschichte mit Afrika
Foto: IBZ St. Marienthal Ostritz
Von 1907 bis 1909 durchquerte der Zittauer Paul Graetz mit dem Auto Afrika. Der deutsche Offizier und spätere Verleger, Publizist und Glasfabrikant startete in Daressalam in Deutsch-Ostafrika (heute Tansania). Nach 630 Tagen und 9500 Kilometern strapazenreicher Fahrt kam er in Swakopmund in Deutsch-Südwest-Afrika (heute Namibia) an. „Mein Plan, Afrika im Automobil zu durchqueren, entsprang der Absicht, das Automobil als Lasten- und Personentransportmittel in Afrika, speziell in Deutsch-Ostafrika, auf seine Verwendbarkeit im schwarzen Erdteil zu erproben und später dort einzuführen“, schrieb er über seine Motive. Die deutsche Öffentlichkeit feierte Graetz als Held und Entdecker.
Doch wie verhielt sich Paul Graetz (1875-1968) gegenüber der kolonial unterdrückten Bevölkerung in Afrika? Was bewirkte seine Entdeckung für die deutschen Kolonien? „Darüber diskutiere ich unter anderem mit Schülern“, erzählt Mathias Piwko von der Stiftung Internationales Begegnungszentrum St. Marienthal in Ostritz über ein Schülerprojekt für achte Klassen in Kamenz und Seifhennersdorf. Die Workshops gehören zum Projekt „Offene Perspektiven. Demokratieförderung durch die modellhafte Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit im ländlichen Raum Sachsens.“ Seit 2023 läuft das Projekt unter Leitung von Piwko. Die Förderung dafür kommt vom Land Sachsen. Partner im Projekt ist die Katholische Akademie des Bistums Dresden-Meißen.
Rassismus heute ist auch ein Erbe der Kolonialgeschichte
Offensiv greift Piwko das Thema Kolonialgeschichte auf. Die vermeintliche Heldentat von Paul Graetz, so stellt er klar, stand eng im Kontext kolonialer Eroberungen und der späteren Unterdrückung ganzer Volksgruppen.
„Es gibt wenig regionalspezifische Angebote zur Aufarbeitung der Kolonialgeschichte“, erläutert er bestehende Defizite. „Es mangelt an zielgruppengerechten Angeboten für Schüler, Lehrer und Bürger. Ebenso fehlt eine Erinnerungskultur zur sächsischen Kolonialgeschichte. Es fehlt die Auseinandersetzung mit den bis heute aktuellen Auswirkungen auf die Gesellschaft.“ Hauptziel sei, das Engagement gegen Rassismus und Menschenfeindlichkeit zu fördern. „Dabei setzen sich die Teilnehmer mit der Geschichte und den Ursprüngen von Rassismus auseinander. Ausgangspunkt ist das Erbe der Kolonialgeschichte vor Ort.“
Ein weiteres Beispiel ist Ernst Pinkert (1844-1909). Der Gastwirt stammte aus Hirschfelde bei Zittau, gründete im Juni 1878 den Leipziger Zoo und machte ihn zu einer international beachteten und beliebten Stätte der Erholung, Bildung und Forschung. „Ernst Pinkert finanzierte auch sogenannte Völkerschauen“, sagt Piwko. Nach Aussagen des Historikers Mustafa Haikal (der selbst ägyptische Wurzeln hat) seien solche Schauen differenziert zu bewerten, rassistische Aussagen von Ernst Pinkert seien nicht überliefert. Andererseits war er Teil eines Systems, in dem er selbst eine aktive Rolle spielte. Pinkert richtete im Leipziger Zoo eine mit Urwald-Kulisse ausgestattete Völkerbühne ein. Ab 1888 folgten diverse Ausstellungen wie die „Beduinen-Karawane“ bei der bis zu 130 Menschen vor allem Beduinen, Berber und Fellachen beteiligt waren. Diese wurden weltweit gezeigt. „Hingegangen ist das Bürgertum. Es verstand solche Schauen als Bildung und Unterhaltung“, sagt Mathias Piwko. Eben hier setze das Projekt an.
„Wichtig ist, die Perspektive zu wechseln“, meint Dorothea Trappe, Projekt-Mitarbeiterin bei der Katholischen Akademie des Bistums. „Das bedeutet: die Perspektive der zum Opfer gemachten Menschen zu sehen – der damals kolonial Unterdrückten. Wichtig ist die Sicht derer, die sich dem Kolonialismus widersetzten. Wichtig ist zum dritten die Sicht derer, die den Kolonialismus wissenschaftlich aufarbeiten.“ Stereotype und Vorurteile aus der Zeit des Kolonialismus wirkten bis heute ins Leben Schwarzer Menschen in Deutschland.
Außerdem sei die Aufarbeitung der missionarischen Bemühungen wichtig. Die im Rahmen von „Offene Perspektiven“ durchgeführten öffentlichen Veranstaltungen im Peter-Breuer-Gymnasium in Zwickau zeigen das Erbe des Kolonialismus und der ambivalenten Missionsgeschichte bis heute. Außer Frage stehen die positiven Aspekte der christlichen Mission, die etwa zur Bildung in ehemaligen Kolonien beitrugen. Durch den differenzierten Blick des Projektes soll es gelingen, ein sensibles Verständnis für die koloniale Vergangenheit zu schaffen. „Erinnerungskultur kann nur behutsam und gewissenhaft entwickelt werden. Dafür braucht es engagierte regionale Akteure“, fasst Piwko zusammen.
Nächste Veranstaltungen im Peter-Breuer-Gymnasium, Zwickau: Am 11. März um 19 Uhr: „Endlich anerkennen. Kolonialismus und Katholische Mission“ Vortrag und Diskussion mit Stefan Silber / Am 11. März von 10 bis 14 Uhr: Workshop „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“, Anmeldung per E-Mail an: dorothea.trappe@bddmei.de