„Pueri Cantores“ in Erfurt
Komm und sing!
Fotos: Johanna Marin
„Willkommen in diesem Chaos – das ist unsere erste Probe.“ Über einen Notenständer gebeugt steht Elisabeth Lehmann-Dronke in der Erfurter Brunnenkirche, sortiert Blätter und schüttelt Hände zur Begrüßung. Um sie herum: knapp hundert Kinder und Jugendliche. In der ersten Reihe sind die Kinder und ein paar junge Frauen, die Soprane. Hinter den Altistinnen in der zweiten Reihe sitzen die tiefen Stimmen. Es ist wuselig, die Sänger quatschen miteinander, laufen zwischen den Stühlen auf und ab. Doch plötzlich erfüllt ein Zischen den Raum. Die Stimmen ebben ab, das Rauschen schwillt an, bis die rund hundert jungen Stimmen in ein hohes Seufzen einstimmen. Sie singen sich ein.
Der Mädchen- und Knabenchor am Erfurter Dom probt jeden Freitag in der Brunnenkirche – doch diesmal nicht allein: Sie haben Besuch von den Chören Pueri Cantoris Cathedralis aus Stockholm und Les Petits Chanteurs de Grenoble – den „kleinen Sängern aus Grenoble“. Später am Tag wird auch der Jugendkathedralchor St. Hedwig aus Berlin dazustoßen. Anlass ist das Pre-Festival des Internationalen Kongresses der Pueri Cantores (Junge Sänger), ein Chortreffen, das dieses Jahr in München stattfindet. Vorher gibt es Begegnungstage an anderen Orten – zum Beispiel hier in Erfurt.
„Die Thüringer Kinder geben eine ganze Woche ihrer Sommerferien für die Musik her“, sagt Elisabeth Lehmann-Dronke, „das zeigt, was für einen Stellenwert das für sie hat.“ Sie und die anderen beiden Chorleiter, Elisabeth von Waldstein und Paul Steffens, wechseln sich fließend ab beim Dirigieren. Ein „Mach du mal“ reicht und der nächste übernimmt. Dass die Leiterin des schwedischen Chors Österreicherin ist und der französische Chorleiter aus Köln stammt, erleichtert die Absprachen. Sie dirigieren ihre Sänger durch die Noten für das große Treffen in München, das unter dem Motto „Cantate Domino – Vielstimmig für den Frieden“ steht. Das passt zur Geschichte des internationalen Vereins Pueri Cantores für katholische Kinder- und Jugendchöre, der sich während der Friedensbewegung nach dem zweiten Weltkrieg gründete.
Die Chöre proben zum ersten Mal gemeinsam, doch die Töne sitzen. Das sei wie ein Puzzle, sagt Elisabeth Lehmann-Dronke: Zu Hause proben die Chöre einzeln, hier in Erfurt, und später in München wird alles zusammengesetzt. Während die Erfurterin dirigiert, geht Elisabeth von Waldstein zu den Tenören. „Versucht mal mehr, hiermit zu singen“, sagt sie und zeigt auf ihr Zwerchfell – und mit einem Mal erklingen die Tenorstimmen klar und deutlich. Sie leitet den Chor in Stockholm schon lange, kennt ihre Sänger. „Therese da drüben, kenne ich seit 20 Jahren“, erinnert sie sich, „Als sie klein war, hat sie mal zu mir gesagt: ‚Man denkt den Ton hier‘“, sie deutet auf ihre Stirn, „‚und dann kommt er hier raus‘“, Elisabeth von Waldstein deutet auf ihren Mund. Dann lacht sie: „Wenn meine Jugendlichen heutzutage falsch singen, sage ich ihnen: ‚Ihr habt den Ton hier oben falsch gedacht!‘“
Therese selbst erzählt, dass sie als Katholikin in Schweden zu einer Minderheit gehört – etwa ein Prozent ist katholisch. Die zweitgrößte Religionsgemeinschaft bilden Muslime, mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist evangelisch.
Wer singt, betet doppelt, wissen die Erfurter Sängerinnen. Die 18-jährige Maria spürt das immer wieder im Gottesdienst: „Ich glaube, es verbindet, wenn man als Gemeinschaft singt.“ Sie und die 16-jährige Gabriela lernen gern von den anderen Chören – etwa, wie ernst sie die Musik nehmen und mit wie viel Spannung sie singen. „Es ist viel lauter als sonst und es macht Spaß, mal unbekannte Stimmen zu hören“, sagt Gabriela.
Die Probe neigt sich dem Ende zu, und beim Lied „Come and See“ (Komm und sieh), das viele der Kinder und Jugendlichen auswendig können, schwillt die Musik noch mal an. Mit wachen Augen und erhobenen Köpfen singen die Chöre, die sich heute erst kennengelernt haben, ihr gemeinsames Abschlusslied.