Gescheiterte Aktionswoche
„Kein Verständnis für Umsiedler“
Quelle: Archiv Bien
In Sachsen wurden in den Jahren von 1945 bis 1948 etwa eine Million Flüchtlinge und Vertriebene aufgenommen. Etwa die Hälfte von ihnen waren Katholiken, die vor allem aus Schlesien, dem ostpreußischen Ermland, dem Sudetenland und den ungarndeutschen Siedlungsgebieten kamen.
Aus Flüchtlingen werden Umsiedler
Um die Verteilung und dauerhafte Ansiedlung der Vertriebenen hatte sich in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) die Zentralverwaltung für deutsche Umsiedler (ZVU) zu kümmern. Diese wurde im September 1945 auf Befehl der Sowjetischen Militäradministration gegründet. Schon im Oktober 1945 ordnete die ZVU an, dass „fortan in unserem Sprachgebrauch nur die Rede von Umsiedlern ist. Die Bezeichnung Flüchtlinge oder Ausgewiesene ist nicht mehr zu gebrauchen.“
Obwohl die Vertriebenenpolitik von Anfang an in kommunistischer Hand lag, war die seit dem Frühjahr 1946 bestehende SED bestrebt, auch Vertreter der CDU und der LDPD (Liberal-Demokratische Partei Deutschlands) an ihren Entscheidungen zu beteiligen. Dadurch konnte sie ihre alleinige Zuständigkeit verschleiern und die bürgerlichen Kräfte für unpopuläre Maßnahmen verantwortlich machen.
Vorrangige Aufgabe der staatlichen Stellen war es, den Vertriebenen Wohnungen und Arbeitsplätze zuzuweisen. Häufig nahmen die Behörden in Sachsen Zwangseinweisungen in Wohnungen Alteingesessener vor oder sie beschlagnahmten Wohnungen. Das führte mitunter zu heftigen verbalen oder gar tätlichen Auseinandersetzungen zwischen Vertriebenen und Einheimischen. Vertriebene Ungarndeutsche wurden oftmals von Hauseigentümern mit den Worten „Ungarische Zigeuner kommen nicht in mein Haus!“ empfangen. Andere Vertriebene wurden als „Polacken“ oder „Sudetengauner“ beschimpft.
Eine wichtige Rolle bei der Betreuung von Vertriebenen spielte die im Herbst 1945 gegründete, kommunistisch gelenkte Hilfsorganisation „Volkssolidarität“, die zunächst nur in Sachsen und später in der ganzen SBZ tätig war. Die „Volkssolidarität“ wurde nicht zuletzt deshalb ins Leben gerufen, weil verhindert werden sollte, dass die Vertriebenen Selbsthilfeorganisationen bildeten.
Im Jahr 1948 begann die SED, ihre spezielle „Umsiedlerpolitik“ einzustellen. Nach Auffassung der Parteifunktionäre galten die Vertriebenen nun als integriert und sollten keine Sonderstellung mehr einnehmen. Der Begriff „Umsiedler“ hatte aus dem Sprachgebrauch zu verschwinden.
In Sachsen sollte das Ende der bisherigen Politik durch die Aktionswoche „Neue Heimat – neues Leben“ markiert werden – eine von der sächsischen Landesregierung angeordnete Kampagne. Vom 16. bis 24. Oktober 1948 wurden in vielen sächsischen Orten Kulturveranstaltungen für die Vertriebenen durchgeführt – aber auch „Neubürgerversammlungen“ mit politischen Vorträgen. Außerdem wurden Hausrat, Wäsche und Schuhe gesammelt und von den Betrieben bekamen die nunmehrigen „Neubürger“ Sonderzuteilungen.
Diözesancaritas lässt Aufruf verlesen
In die Gestaltung der Aktionswoche wurden auch die evangelische und die katholische Kirche einbezogen, wobei besonderes Interesse an der Mitwirkung des damaligen Bistums Meißen (heute Dresden-Meißen) bestand. Das Bistumsgebiet umfasste den größten Teil von Sachsen. In den Nachkriegsjahren war die Zahl der Gläubigen hier von etwa 200 000 auf 700 000 angewachsen.
Am 17. Oktober 1948 wurde in allen Kirchen des Bistums Meißen ein Aufruf des Caritasverbandes der Diözese verlesen. Die Gottesdienstbesucher wurden daran erinnert, dass „der Krieg und seine Folgen … Millionen von Deutschen und Volksdeutschen auf die Straßen gezwungen“ hätten. „Diese Umsiedlung ganzer Völkerschaften“ sei „härtestes Los und Schicksal für den einzelnen Betroffenen, aber auch für das gesamte deutsche Volk“.
Die Vertriebenen wurden aufgefordert, „unter Verzicht auf Herkommen und Brauch des heimatlichen Lebens in ganz neuer Weise voll Mut und Gottvertrauen in neuer Heimat neues Leben aufzubauen“. An die Einheimischen ging der Appell, die „Herzen weit für die Not“ der Vertriebenen zu öffnen und „den notleidenden Brüdern und Schwestern“ von allem zu geben, „was über den eigenen notwendigen Lebensbedarf hinausgeht“.
Trotz kirchlicher und staatlicher Appelle war der Aktionswoche „Neue Heimat – neues Leben“ wenig Erfolg beschieden. Bei den Veranstaltungen blieben viele Plätze frei und die Einheimischen zögerten, Geld und Hausrat für die Vertriebenen zu spenden. Es zeigte sich, dass von einer gelungenen Integration keine Rede sein konnte. Auch der Begriff „Umsiedler“ verschwand in der Folgezeit nicht aus dem Sprachgebrauch. In einem internen Abschlussbericht war deshalb zu lesen: „Die Einheimischen haben kein Verständnis für das Los der Umsiedler: Wunsch der Umsiedler nach Rückkehr“.
Von Peter Bien