Serie "Und Tschüss?!" – Teil 2

Bleibende Erinnerungen

Image
02_Und_Tschuess1.jpg

In der Kirche bleiben oder gehen? Das ist die Frage in der Serie „Und Tschüss?!“. Die Entscheidungen von Petra Waldman*, Richard Jökel und Ulrike Klose haben ihren Ursprung in ihrer Kindheit in der Kirche. Davon lesen Sie hier in Folge 2.

Was bisher geschah: 23,3 Millionen Katholikinnen und Katholiken, 167 504 Kirchenaustritte, 6685 Wiederaufnahmen – Diese Zahlen sind der Startpunkt der Serie „Und Tschüss?!“. Viel wichtiger: die Menschen hinter den Zahlen. Sie haben der katholischen Kirche etwas zu sagen. Drei von ihnen – Petra Waldman*, Richard Jökel und Ulrike Klose – haben Sie letzte Woche schon kennengelernt. Ihre Geschichten mit der katholischen Kirche beginnen als Baby. Mit der Taufe. Die Erinnerungen an die Kindheit, die Erstkommunion oder den Religionsunterricht – ob gute oder schlechte – bleiben ein Leben lang. Sie prägen den Menschen und führen zu Entscheidungen. Deshalb: „Es war einmal – Meine Kindheit in der Kirche“:

Richard Jökel Zeichnung Sarah Seifen

Richard Jökel, 1951 geboren:

„Das war Gehirnwäsche, die katholische Erziehung.“ Richard Jökels Stimme ist fest, während er von seinen Kindheitserlebnissen in der Kirche erzählt. Seine Fingerkuppen vergraben sich im graumelierten Stoff seines Sessels. Der Rentner sitzt im Wohnzimmer seines Hauses in Karben. Seit mehr als 30 Jahren lebt er in der Wetterau. Aufgewachsen ist Jökel im Vogelsbergkreis, in einem kleinem Dorf bei Fulda.

„Auf dem Dorf gingen ja alle jeden Sonntag zur Kirche. Wenn einer mal nicht kam, dann wurde der gebrandmarkt.“ Damit nicht über die eigene Familie schlecht geredet wurde, mussten Richard Jökel und seine zwei Geschwister gehorchen. Alle vier Wochen ging es zur Beichte. „In der Beichtbox, also im Beichtstuhl, mussten wir alles sagen, vor allem, was das sechste Gebot betraf.“ Für einen zehnjährigen Jungen war das gar nicht so einfach, über Sexualität zu sprechen, erinnert sich Richard Jökel: „Da hat man dann versucht, sich was zusammenzureimen, damit man was hatte zum Beichten.“ Und dann bohrte der Pfarrer nach: „Du hast unkeusche Gedanken gehabt? Über was hast du denn nachgedacht?“ Froh sei er gewesen, wenn das einmal im Monat vorbei war. „Aber wir Kinder fühlten uns auch immer erleichtert. Das ist das Verrückte. Wir spürten Erleichterung!“

Erinnerungen an die Erste Heilige Kommunion: Richard Jökel als Kommunionkind Foto: privat
Erinnerungen an die Erste Heilige
Kommunion: Richard Jökel als
Kommunionkind Foto: privat

Auch der Gedanke an den Religionsunterricht ist schmerzhaft für den 67-Jährigen. Ausschließlich ums Auswendiglernen von Bibeltexten und den fettgedruckten Leitsätzen aus dem Katechismus sei es gegangen: Was ist eine Todsünde? Was ist eine lässliche Sünde? Was ist die unbefleckte Empfängnis? „Je besser man war im Daherplappern, desto besser war man in der Schule“, erzählt er. „Alles, was wir getan haben, wurde in Sünden gedacht.“

Dann beginnt Richard Jökel doch zu lächeln. „Es war ja auch wunderschön. Fronleichnam, das war immer ein Traum. Die Fahnen und die Blaskapelle ...“, schwärmt er. Seine Stimme klingt nun fröhlicher, nicht so verbissen wie zu Beginn der Erzählungen. „Die Maiandachten an den großen Grotten – die gibt es ja in jedem Dorf in der Rhön – die waren so schön. Vor allem aus der Gemeinschaft, da hab’ ich Energie rausgezogen.“

Großgeworden ist Jökel in der Zeit vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962 bis 1965). „An Allerseelen haben wir den ganzen Tag in der Kirche gekniet und Ablässe gebetet und sonntags in der Messe haben wir eh nichts verstanden, da war ja alles auf Latein.“ Den Glauben hat Jökel in seiner Kindheit auch nicht verstanden, sagt er heute. „Die Kirche war die Basis, die Kirche war alles, was ich kannte, die Kirche war der Glaube.“ Der strafende Gott, das Fegefeuer, die Hölle – diese Stichwörter fallen selbstverständlich auch: „Ach, du lieber Gott, das war alles nicht einfach. Dieses Negative und dann wieder dieses Wunderschöne. Diese zwei Seiten, die vergesse ich nie.“ Diese zwei Seiten haben zu seiner Entscheidung, in der Kirche zu bleiben oder zu gehen, beigetragen, sagt er rückblickend. Er klingt versöhnt. Seine Hände liegen ineinander auf seinem Schoß.

Petra Waldmann Bild: Sarah SeifenPetra Waldman*, 1962 geboren:

Auf dem Esszimmertisch in Petra Waldmans Haus in Fulda funkelt eine gelbglitzernde Tischdecke. Bunt, das mag die 56-Jährige. Das mochte sie schon damals, als sie 1970 zur Erstkommunion gegangen ist. „Jesus hat den Menschen zu essen gegeben. Male fünf Brote und zwei Fische“, steht auf einer der Seiten ihres Kommunionhefts. Blaue, rote, gelbe Brote hat die 8-jährige Petra Waldman daneben gemalt. Das Heft bewahrt sie seit 48 Jahren auf: „Das war alles so vertrauensvoll, deswegen hab’ ich es bis heute nicht weggeschmissen.“ So richtig kann sie sich nicht mehr erinnern an die Zeit, als sie Kind war, und wie das war in der Kirche und beim Religionsunterricht. Aber die Firmung, die sei toll gewesen. Sie blättert im Fotoalbum und findet das Bild, auf dem sie mit ihrer Firmpatin vor der Kirche steht. „Das Album hat mein Vater gemacht. ‚Firmung 1975‘ hat er neben das Foto geschrieben. Ich hab’ noch ‚Heute habe ich mein Ja zum Christsein gegeben‘ dazugeschrieben.“ Die Familie ging sonntags immer zur Messe. Druck haben Petra Waldmans Eltern aber nie gemacht. „So fromm sind sie nicht. Auch nicht mit Beichten“, sagt sie. „Meine Eltern sind toll, was sie mir mitgegeben haben! Ich bin wirklich sehr gut aufgewachsen auch in der Pfarrei.“

Schöne Erinnerungen sind alles, was Petra Waldman aus dieser Kindheitszeit mitgenommen hat und das Tischgebet „Komm Herr Jesus, sei unser Gast“, das sie immer noch auswendig runterleiern kann. Amen. Alles war gut in der Kirche, würde sie heute sagen. Zumindest damals.

Ulrike Klose Bild: Sarah SeifenUlrike Klose, 1969 geboren:

„Meine Pfarrei“: Diesen Begriff kennt Ulrike Klose aus ihrer Kindheit nicht. „Wir haben quasi ein Vagabundenleben geführt“, sagt sie. Geboren ist sie in der „wilden Zeit, aber nicht so aufgewachsen.“ Ihre Mutter hat sie und ihre zwei jüngeren Schwestern alleine großgezogen. Zunächst in Heidelberg, dort ist die Familie oft umgezogen, und mit 14 Jahren ist Ulrike Klose in Bayern gelandet.

„Auf dem Dorf dort wurde geredet, wenn man nicht zur Messe ging, und dann macht man es, weil man es eben so macht“, erklärt sie. „Meine erste bewusste Erfahrung mit dem Glauben habe ich aber mit meiner Oma gemacht.“ Von ihr habe sie das „Gegrüßet seist du Maria“ gelernt, „aber nicht auswendiggelernt, weil ich das musste, sondern weil sie das aus tiefstem Herzen heraus immer betete.“

Ulrike Klose als Kommunionkind Foto: privat
Erinnerungen an die Erste Heilige Kommunion: Ulrike Klose als Kommunionkind
Foto: privat

Auf dem großen Holztisch im Esszimmer in Erbach, ihrem heutigen Wohnort, liegen zwei Pappschachteln. In der einen liegt ihre Kommunionkerze, in der anderen die ihrer Mutter. Beide sind schmal, verziert mit Blütenranken und einem goldenen Kelch und kaum abgebrannt. Ulrike Klose hält sie in Ehren, seit ihre Mutter gestorben ist. An die Erstkommunion erinnert sie sich gerne und an die persönlichen Momente mit ihrer Oma und ihrer Mutter: „An Weihnachten war immer alles geschmückt und geheimnisvoll und es war klar: Das Christkind bringt die Geschenke.“

Es sind immer wieder private Momente, die ihr während der Erzählungen einfallen: „Ich habe als Kind und als Jugendliche immer jeden Abend gebetet, auch als meine Mutter das nicht mehr mit uns gemacht hat.“ Dieses Gebet begleitet sie auch heute noch. Nur anders.

So geht es weiter: So unterschiedlich die Erfahrungen mit der Kirche in der Kindheit waren, so unterschiedlich geht es weiter im Leben von Petra Waldman, Richard Jökel und Ulrike Klose.
Mit zunehmenden Alter kommen Fragen und Zweifel. Die Drei beginnen zu arbeiten und zu studieren. Sie denken über das, was die Kirche sagt, immer mehr nach. Kann ich das glauben? Lasse ich mir Dinge vorschreiben? Was will ich meinen Kinder weitergeben?

Nächste Woche geht es weiter mit den Dreien, zum Thema: „Rolle der Frau, Zölibat, Missbrauch – So geh’ ich damit um“. Fortsetzung folgt ...

* Name von der Redaktion geändert

 

Stichwort: Eine Frage der Generation

Das Zweite Vatikanische Konzil war ein Umbruch für die katholische Kirche im 20. Jahrhundert. Papst Johannes XXIII. hatte es 1962 einberufen. Papst Paul VI. leitete 1965 die Abschlusssitzung. Das Leitwort des Konzils: „Aggiornamento“ – der italienische Begriff bedeutet so viel wie „die katholische Kirche ins Heute bringen“. Das Konzil brachte Änderungen für die Kirche. Zum Beispiel in der Liturgie: Die Sprache im Gottesdienst war nicht mehr Latein, sondern die jeweilige Landessprache und der Volksaltar wurde eingeführt. Der Priester feierte die Messe nicht mehr still und am Hochaltar mit dem Rücken zur Gemeinde. Im Kirchenverständnis: Man sprach von nun an von einem „gemeinsamen Priestertum aller Gläubigen“.
Die Änderungen wirkten sich auf die Erziehung der Kinder, vor allem in der Schule, aus. So kommen über Generationen hinweg unterschiedliche Wahrnehmungen der Kirche zustande. (sas)

Hier geht's zurück zum Dossier.