Ein Jahr nach der Flut

Das Ahrtal wirbt um Touristen

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Tourismus als Wirtschaftsfaktor: Ein Jahr nach der Flut gibt es Führungen durch das Flutgebiet und Verhaltenstipps für Ausflügler.

Foto: kna/Harald Oppitz
Konfrontation mit der Katastrophe: Touristen werden zum Beispiel auf zerstörte Brücken treffen. Foto: kna/Harald Oppitz


Wer das Wort Ahrtal hört, denkt an weggespülte Straßen, Hochwasser bis zu den Dachgiebeln und verwüstete Landschaften. 134 der insgesamt mehr als 180 Todesopfer kamen vor einem Jahr in der Flutnacht vom 14. auf den 15. Juli dort ums Leben. Starkregen hatte das sonst kleine Flüsschen an der Grenze zwischen Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen in einen reißenden Strom verwandelt. Große Teile der Infrastruktur und viele Gebäude sind nach wie vor beschädigt.

Wer früher das Wort Ahrtal hörte, dachte an heitere Ausflüge, Spaziergänge durch die Hügellandschaft - und an viel süffigen Wein. Schon in den 1950er Jahren fuhren vor allem Arbeiter aus dem Ruhrgebiet Busse-weise in das nahe gelegene Weinanbaugebiet, eines der kleineren der westdeutschen Republik. Ein historischer Beitrag des Südwestrundfunks zeigt die "schlimmen Folgen" dieser Ausflüge: In Schwarz-Weiß flackern Bilder von wankenden Menschen vorüber, meist Männer mit Hut. "Man lässt sich vollaufen", sagt der Kommentator streng.

Auch wenn sich die Art des Tourismus im Ahrtal in den vergangenen Jahrzehnten verändert hat, gehören Ausflügler immer noch zu den wichtigsten Wirtschaftsfaktoren der Region. Viele, die Entspannung suchen, fragen sich jedoch, ob sie ein Jahr nach der Flut dorthin fahren können. Einerseits wegen der Infrastruktur; andererseits ist sich manch potenzieller Gast unsicher, ob es sozusagen moralisch in Ordnung ist, dort ein paar schöne Tage zu verbringen, wo andere ihre Lebensgrundlage verloren haben.

Solchen Bedenken nimmt Antje Monshausen von Tourism Watch den Wind aus den Segeln. Der Tourismus sei an der Ahr ein wichtiger Wirtschaftssektor und solle es auch wieder werden. "Es wäre eine zweite Katastrophe, wenn der nicht wieder auf die Beine kommen würde." Auch aus der Region kommt eine sehr eindeutige Antwort. "Wir brauchen Gäste, um unsere wirtschaftliche Existenz zu sichern", sagt die Pressesprecherin von Ahrtal-Tourismus, Dorothee Dickmanns.


Zahl der Übernachtungen brach ein

Nach der Flut brach die Zahl der Übernachtungen in der Weinregion ein. Im Vor-Corona-Jahr 2019 verzeichnete der Tourismusverein noch 170.000 Übernachtungen im September. Nur rund ein Fünftel, nämlich 34.500, waren es dann im September 2021. Darunter dürften viele Übernachtungen von Helfenden gewesen sein, die bei den Aufräumarbeiten mit anpackten.

Mittlerweile stehen Teile der touristischen Infrastruktur wieder. Dennoch müssen sich Ausflügler darauf einstellen, dass sie vielerorts mit der Katastrophe konfrontiert werden, zum Beispiel wegen beschädigter Hausfassaden, leerstehender Erdgeschosse und kaputter Brücken. Der frühere Campingplatz Stahlhütte bei Dorsel zeigt sich als planierte, öde, freie Fläche. An die dort Verstorbenen erinnert ein Gedenkstein.

Mit diesem Spannungsfeld geht Ahrtal-Tourismus offensiv um. Regelmäßig veranstaltet der Verein Rundgänge durch beschädigte Gebiete in Bad Neuenahr, Ahrweiler und Altenahr. Der Schwerpunkt liegt auf dem Thema Wiederaufbau. Festes Schuhwerk wird empfohlen - "aufgrund der Straßenverhältnisse", wie online zu lesen ist. Die Touren sollen das "berechtigte Interesse unserer Gäste an den Folgen der Flutkatastrophe" bedienen und zugleich "die Privatsphäre der Einwohner schützen", erklärt Dickmanns.

Auch die Hochwasser-betroffene Eifel wirbt für eine Rückkehr der Touristen. "Nach der Flut folgte eine Stornoflut", sagt die Pressereferentin der Eifel-Tourismus-GmbH, Uschi Regh. Die Gäste hätten eine zerstörte Region erwartet. "Dabei waren große Teile der Eifel nicht oder nur sehr gering betroffen." Aktuell entwickelt sich die Lage wieder zum Besseren: Die Zahl der vermittelten Ferienwohnungen und Hotels zeigt laut Eifel-Tourismus nach oben. Regh: "Wir brauchen Gäste und begrüßen sie sehr gerne bei uns."

So lautet auch die Devise im Ahrtal. Um Unsicherheiten zu vermeiden - niemand soll sich wie ein Katastrophentourist vorkommen - hat Ahrtal-Tourismus einige Verhaltenstipps online gestellt. Besuchende sollten besser keine Einheimischen ohne deren Zustimmung vor ihren kaputten Häusern fotografieren und in Gesprächen lieber von Betroffenen statt von Opfern sprechen. In der Vergangenheit habe es "die eine oder andere negative Erfahrung" gegeben, sagt Dickmanns. Vor allem rät sie zu gegenseitigem respektvollem Verhalten.

kna