„Die Geschichte hat uns definiert“
Wie es ist als Jüdin in Frankfurt zu leben? Über diese Frage muss Sarah Shabanzadeh schmunzeln. Manchmal wäre sie einfach gerne nur eine Frankfurterin, Mutter oder einfach ein fröhlicher Mensch. Ein Porträt. Von Isabelle Senghor.
Manchmal setzt sich Sarah Shabanzadeh auf die Zeil und schaut sich einfach nur die Menschen an. Frankfurts „Mulitikulti“ – das gefällt der Wahlfrankfurterin. Seit fünf Jahren lebt sie mit ihrem Mann und ihrer Tochter in der Stadt.
Geboren ist Shabanzadeh in Luxemburg. Sie wuchs in Saarbrücken auf, als Teenager lebte sie mit ihren Eltern in Israel. Der Arbeit wegen seien die schon immer viel umgezogen. Eine Heimat, die habe sie nicht. Die vermisst sie aber auch nicht. „Ich fühle mich überall wohl“, sagt sie.
Eben auch in Frankfurt. Und in der jüdischen Gemeinde. „Wir sind hier mit offenen Armen empfangen worden“, erinnert sie sich. Seit ihre Tochter in den jüdischen Kindergarten geht, nutzt auch Sarah Shabanzadeh so ziemlich jedes Angebot, das es in der Gemeinde gibt. Und davon gibt es viele.
Mit dem religiös sein aber sei das so eine Sache. Ohne Zweifel, in Israel war sie die Religiöseste in der Klasse. Sie erinnert sich noch gut: An Pessach, dem Fest, das die Juden an den Auszug aus Ägypten erinnert, aß sie immer nur Mazzen, ungesäuertes Brot. Ihre Klassenkameraden nicht. Ihnen war das Speisegebot egal.
Auch wenn sie und ihre Familie die jüdischen Feiertage feiern und den Shabbat, den jüdischen Ruhetag, halten, „religiös orthodox sind wir trotzdem nicht“. „Und das, obwohl ich bei einem Rabbiner arbeite“, sagt sie und lacht. Seit drei Jahren arbeitet sie als Assistentin für einen der beiden orthodoxen Rabbiner, die die jüdische Gemeinde in Frankfurt leiten.
Zuerst war sie skeptisch, ob die Stelle zu ihr passt. Aber nicht des Glaubens wegen. „Meine Vorgängerin ist in Frankfurt aufgewachsen und kannte die Gemeinde wie keine andere“, erzählt sie. Die Zweifel sind längst verflogen. Heute kennt auch sie so ziemlich jeden aus der Gemeinde. „Ich quatsche eben mit jedem“, sagt sie. Und wie zum Beweis wechselt sie im Vorbeigehen ein paar Worte auf Hebräisch mit Rabbiner Avichai Apel, ein paar auf Deutsch mit einem Gemeindemitglied.
Die jüdische Gemeinde ist ihr Schutzraum. Der Ort, an dem sie den Gottesdienst und die Feste feiert. Den Alltag aber lebt sie nicht nur mit Juden. Man könne schließlich nicht unter einer Glocke leben. Das will sie auch gar nicht. Wenn sie keinen Besuch haben, sind sie es, die irgendwo zu Besuch sind. Ob bei den Nachbarn oder den Freunden aus dem Schwimmkurs der Tochter.
Das Jüdisch-Sein ist dabei selten Thema. Eher eine Selbstverständlichkeit. Wenn ihre Tochter mit ihren Freundinnen isst, wird vorher gebetet. Hat sie ein neues Lied im Kindergarten gelernt, bringt sie es ihnen bei. Im Gegenzug lernt ihre Tochter, was Ostern bedeutet. Shabanzadeh muss schmunzeln, wenn sie daran denkt: Als Kind nimmt man die Unterschiede eben leicht.
Anders als ihre Tochter war Shabanzadeh im Kindergarten und in der Schule immer die einzige Jüdin. Ein Problem war das für sie nie. Im Gegenteil: „Ich war was Besonderes.“ Stand „Judentum“ auf dem Stundenplan, durfte Shabanzadeh ein Referat halten, über den Glauben und Israel erzählen. Sie kann sich noch heute daran erinnern, wie ein Mitschüler nach einem ihrer Referate sagte: „Ihr habt ja richtiges Leben.“ Schon damals hörte man nur von den Bomben, nicht vom Alltag. Noch heute versteht sie es als ihren Auftrag, den Menschen vom Leben, vom Guten zu erzählen.
Das Leben in einer Großstadt wie Frankfurt macht es der Familie leichter, ihren Glauben zu leben. In Saarbrücken musste die Familie für koschere Lebensmittel immer nach Straßburg fahren. Einmal im Monat waren sie einkaufen. Heute kann Shabanzadeh auch noch mal schnell in den Laden, wenn sie was vergessen hat.
Manchmal packt sie aber doch die Sehnsucht nach der Zeit in Israel. „Man schwimmt dort einfach im Strom mit“, sagt Shabanzadeh. An Yom Kippur, dem Versöhnungsfest, zum Beispiel sind alle Läden zu. Es ist der höchste Feiertag im Judentum. „Es ist dann in Israel für uns Juden so wie für die Christen hier in Deutschland“, glaubt sie. Wer käme schon auf die Idee, an Weihnachten einkaufen zu gehen? An Yom Kippur dagegen läuft in Deutschland alles seinen gewohnten Gang. Wer weiß. Vielleicht gehen sie doch irgendwann zurück nach Israel.
Hier wie dort hat sie auch muslimische Freunde. Warum es in Israel keinen Frieden geben kann, verstehen sie nicht. Manchmal glaubt sie sich in einem schlechten Film. Und so kommt man zuletzt doch noch auf die Politik. Und auf den Antisemitismus.
Shabanzadeh gibt sich keiner Hoffnung hin. „Antisemitismus gab es immer und wird es immer geben.“ Sie selbst sei noch nie angefeindet worden. „Nur manchmal schauen die Leute in der Bahn“ – wenn sie den Davidsstern um den Hals trägt. Shabanzadeh ist das egal. Sätze wie „es reicht mal mit dem Thema“ dagegen, die tun ihr weh. „Die Geschichte hat uns definiert“, der Holocaust dürfe nie vergessen werden.
Aktionen wie „Frankfurt trägt Kippa“ findet sie gut. Als Zeichen gegen den Antisemitismus waren Menschen mit der traditionellen jüdischen Kopfbedeckung, der Kippa, auf die Straße gegangen. „Lasst die Leute doch einfach leben“ – diesen Satz würde Sarah Shabanzadeh am liebsten in die Welt hinaus schreien. Die Frau mit dem Kopftuch, der Mann mit der Kippa, „dürfen sie denn nicht tragen, was sie wollen?“
Manchmal wünscht sie sich, es wäre überall so wie in Frankfurt. Hier klappe es doch schon ganz gut. Und doch: Auch in Frankfurt gibt es Zeichen der Angst. Noch immer stehen vor jüdischen Einrichtungen Sicherheitskräfte. Der Umgang mit den Medien ist vorsichtig. Auch Shabanzadeh will ihre Geschichte nicht an die große Glocke hängen, „man weiß ja nie, wer das liest“. Wenn sie sich etwas wünschen würde, dann, dass das Leben „einfacher wird“, und das nicht nur für die Juden.