Die Ärztin Monika Orth engagiert sich für Obdachlose
Die Vertrauensfrau
Foto: Theresa Breinlich
Die Ärztin Monika Orth sieht genau hin. Sie schaut nicht an der Armut vorbei, an der versteckten und der offensichtlichen. Seit mehr als 20 Jahren engagiert sich die Mainzerin beim Verein „Armut und Gesundheit“ für Obdachlose.
Beim Verein „Armut und Gesundheit“ kümmert sich Monika Orth um wohnungslose Menschen, die sich den Arztbesuch nicht leisten können. Mit dem Arztmobil fuhr sie jahrelang die Orte an, an denen sie sich aufhalten. Die Idee dieses „Mainzer Modells“ ist, dass die Ärzte die Patienten auf der Straße aufsuchen, wenn die Patienten nicht zum Arzt kommen können. Für ihr Engagement hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Monika Orth das Bundesverdienstkreuz verliehen. „Meine Familie und ich, wir hatten immer genug von allem. Da sehe ich es als meine Pflicht, anderen etwas abzugeben“, sagt die dreifache Mutter und Großmutter.
Die Mainzerin ist sich sicher: Ohne Theresia Maria Laux, Schwester von der Göttlichem Vorsehung, hätte sie ihre Aufgaben nicht wahrnehmen können. Ihrer Meinung nach hat die Ordensfrau das Bundesverdienstkreuz genauso verdient wie sie. Denn sie half ihr, den schwierigsten Teil ihrer Arbeit zu meistern: das Vertrauen der Obdachlosen zu gewinnen. Weil sie der Schwester vertrauten, öffneten sie sich langsam auch für Monika Orth.
„Obdachlose erleben viel Ablehnung. Mir ist es wichtig, ihnen Wertschätzung zu zeigen und Würde zu geben. Es sind Menschen wie du und ich, die durch verschiedenste Umstände auf der Straße gelandet sind“, erzählt die 79-Jährige und fährt fort: „Sie kommen aus allen sozialen Schichten. Es ist ein Teufelskreis. Erst verlieren sie ihre Arbeit, dann die Wohnung und die sozialen Kontakte. Ohne Wohnung gibt es keine Arbeit und ohne Arbeit keine Wohnung.“ Das Vertrauen ihrer Patienten ist ihr größter Schatz, den sie unter keinen Umständen aufs Spiel setzen möchte. Daher erzählt sie wenig Konkretes von ihrer Arbeit und den Menschen, die sie trifft. „Stellen Sie sich mal vor, jemand erkennt sich in der Zeitung wieder. Da würden sie denken, die hat uns verraten“, sagt Orth.
"Solche Wunden wie dort habe ich noch nie gesehen"
Ihre Haltung hat sie von ihrem Vater gelernt. Er war Arzt in Köln und hat sich nach dem Krieg um die „Durchreisenden“, die Flüchtlinge gekümmert. Auch ihm war es wichtig, nicht nur für ihre Gesundheit zu sorgen, er wollte ihnen auch Würde geben.
Die Ordensfrau Theresia Maria Laux und Monika Orth versorgten Wunden, die nur mit Toilettenpapier verbunden waren, maßen Blutdruck und den Blutzuckerspiegel, gaben Ratschläge und hörten zu. Wenn die Füße wund waren, weil die Sohlen durchgelaufen waren, besorgten sie den Patienten neue Schuhe. In allen Unterkünften für Wohnungslose der Stadt Mainz boten sie auch Sprechzeiten an.
„Solche Wunden wie dort habe ich noch nie gesehen. Zum Glück hat mir Gott die Gabe gegeben, damit umzugehen“, meint Orth, die von sich sagt, „die Dinge eher nüchtern“ zu sehen.
Heute fährt sie nicht mehr mit dem Arztmobil durch die Stadt. Diese Aufgabe haben andere übernommen. Doch die Arbeit lässt sie nicht los. Sie hilft bei Impfaktionen für mittellose Menschen beim evangelischen Tagesaufenthalt „Mission Leben“ und kümmert sich zusammen mit einer Tierärztin um die Hunde. Jetzt ist Monika Orth die Vertrauensbrücke zu der Tierärztin, die die Wohnungslosen noch nicht so gut kennen. Ihre Tiere seien den obdachlosen Menschen treue Begleiter, die sie umsorgten, berichtet Orth. Sie würden ihnen Zuneigung und Stabilität geben.
Jedes Gegenüber ist ein Geschöpf Gottes, da ist sich Monika Orth sicher. Danach handelt sie. Sie hat auch versucht, mit Wohnungslosen ins Gespräch zu kommen über Gott und Glauben. Das sei allerdings schwierig. „Manche wollen davon nichts wissen. Ich habe den Eindruck, für sie schweigt Gott. Es ist sehr schwer, den Obdachlosen zu vermitteln, dass Gott auch für sie da ist“, sagt Orth. Sie selbst hat in der Katholischen Hochschulgemeinde in Mainz ihr Glaubenszuhause gefunden. Seit mehr als 50 Jahren ist sie Mitglied, 15 Jahre davon im Pfarrgemeinderat.
„Den Platz gefunden, der mich glücklich macht“
Das Highlight ist für die ehrenamtliche Helferin, wenn ein Patient ihr einen Blumenstrauß oder eine Geburtstagskarte schenkt. „Bei der Betreuung der Obdachlosen habe ich meinen Platz gefunden, der mich glücklich macht. Ich denke, es ist ein Geben und Nehmen. Ich habe von ihnen viel gelernt. Besonders, wie sie mit ihren Hunden umgehen, das beeindruckt mich“, sagt Orth.
Und dann erzählt sie die Geschichte, wie sich ein obdachloser Mann anfangs geweigert hat, seinen Hund nach einem Schlaganfall einzuschläfern. Sein Hinterteil war gelähmt. Das mache man mit seiner Großmutter auch nicht, war seine Meinung. Er umsorgte sein Tier und verabschiedete sich nach und nach von ihm, bis er bereit war, es einschläfern zu lassen.
Der Verein "Armut und Gesundheit"
Der Verein ist 1997 von Professor Gerhard Trabert gegründet worden. Ausschlaggebend für den Arzt und Sozialpädagogen ist die Tatsache, dass Armut krank und Krankheit arm macht. Trabert ist bundesweit bekannt geworden, als er Kandidat für die Wahl des Bundespräsidenten 2022 war. Begonnen hat er mit dem „Mainzer Modell“ für wohnungslose Menschen auf der Straße, die mit einem Arztmobil kontaktiert wurden. Inzwischen gibt es rund 2500 bis 3000 Behandlungen bei rund 600 Patientinnen und Patienten im Jahr. Seit Gründung des Vereins haben Trabert und sein Team weitere Projekte initiiert, unter anderem eine feste Ambulanz.