Für ukrainische Flüchtlinge

Eine Pfarrei schafft ein neues Zuhause

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In der Gemeinde Hackenheim in Rheinhessen haben Engagierte das Pfarrhaus renoviert und für Geflüchtete zu einem neuen Zuhause gemacht. Theresa Breinlich schildert, wie das vor sich ging.



Viele in der Kirchengemeinde haben mit angepackt, damit sich die vor den Kriegsgräueln Fliehenden in Rheinhessen willkommen fühlen.


Mehr als 700 000 ukrainische Flüchtlinge sind inzwischen in Deutschland erfasst. Vier von zehn Ankommenden sind minderjährig. Von den Erwachsenen sind 80 Prozent Frauen. Sie finden Zuflucht in großen Aufnahmeeinrichtungen, bei Verwandten und Freunden, aber auch in kirchlichen Häusern. Was können wir tun? Das war die Frage, die sich Pfarrer Georg Rheinbay und die Verantwortlichen der Räte der Pfarrkuratie St. Michael Hackenheim stellten, als im Februar Russland die Ukraine angriff. Sie wollten sich nicht dem Gefühl der Ohnmacht ergeben, sondern handeln. „Wir haben uns umgeschaut und gesehen, dass noch Platz im Pfarrhaus ist, im Erdgeschoss und im zweiten Obergeschoss. In der Mitte wohnt der Pfarrer. Wir hatten alle die gleiche Idee“, erzählt Marion Eckart, stellvertretende Vorsitzende des Verwaltungsrats. Die Idee war, für eine ukrainische Familie ein neues Zuhause zu schaffen, in Hackenheim, ein idyllisch zwischen Weinreben gelegener Ort mit 2000 Einwohnern im Dreibistumseck Mainz, Speyer und Trier. Eine Küchenzeile war bereits vorhanden, genauso wie ein kleines Badezimmer.
Pfarrer Georg Rheinbay berichtete sonntags im Gottesdienst von den Plänen. Schnell fand sich eine Gruppe von sechs Helfern zusammen, die sich der Umsetzung widmeten. Kommuniziert und gearbeitet wurde mit Abstand und Mundschutz, denn es galten immer noch Corona-Auflagen. Im Erdgeschoss befand sich ein Besprechungsraum. Die Gemeindemitglieder räumten all ihre Sachen raus und verlegten ihn ins Pfarrheim. Zwei ortsansässige Firmen verbesserten unentgeltlich Elektrik und Beleuchtung, installierten einen Wasseranschluss und stellten eine Waschmaschine bereit. „Das ist der Vorteil, dass wir in einem kleinen Ort leben. Jeder kennt jeden. Da findet man schnell Hilfe“, berichtet Pfarrer Rheinbay.

Was benötigen die Neuankömmlinge?
 
Als nächstes stand die Frage an: Was benötigen die Neuankömmlinge? Was braucht man für ein normales Leben? Die Helfer gingen davon aus, dass die Familie nichts als einen Koffer mitbringen werde. „Wir wollten nicht einfach einen Spendenaufruf starten und hinterher sortieren, sondern gezielt vorgehen“, sagt Eckart, die die Hilfe maßgeblich organisierte. Sie gingen Raum für Raum durch und schrieben eine Liste: Bett, Sofa, Stehlampe, Bettwäsche, Handtücher, Wasserkocher, Geschirrtücher und vieles mehr. Und es funktionierte. Nach und nach füllte sich das Pfarrhaus mit Wohnmöbeln für eine Familie. Ein Spendenkonto haben sie nicht eingerichtet. „Das eine oder andere Gemeindemitglied hat mir einen Umschlag mit Geld zugesteckt. Insgesamt war die Spendenbereitschaft hier im Ort enorm, nicht nur von Mitgliedern unserer Kirchengemeinde. Auch junge Leute haben mitgemacht. Viele waren froh, dass sie die Möglichkeit hatten, etwas zu tun“, berichtet Pfarrer Rheinbay.
Als nach vier Wochen alles bereit war, meldeten sie der Kreisverwaltung in Bad Kreuznach freien Wohnraum an. Schon am nächsten Tag stand eine Familie vor der Tür, Vater, Mutter, drei Kinder im Alter von eins, acht und zehn Jahren aus einem Dorf in der Nähe von Odessa. Über Bekannte, die bereits in Bad Kreuznach leben, sind sie in die Region gekommen. Väter von drei kleinen Kindern dürften ausreisen, erklärt der Pfarrer. Für die Flüchtlinge muss die Ankunft ein großes Aufatmen gewesen sein. Es war alles da. Der neue Vorratsschrank war mit Lebensmitteln gefüllt. Im Bad standen Shampoo, Zahnpasta und Zahnbürsten für Erwachsene und Kinder. In der Küche gab es Spülmittel und einen Papierrollenhalter. Ein Teppich in Autoform sollte den Kindern Freude bereiten. Mütter des Ortes luden die Familie zu dem von ihnen organisierten Kindersachenbasar ein und sie bekamen die Kleidung geschenkt, die sie sich ausgesucht hatten.
 
Mit Hilfe von Übersetzungs-APPs
 
Nach dem Einzug war die Arbeit allerdings nicht fertig. Jetzt galt es noch, die bürokratischen Hürden zu nehmen. Pfarrer Rheinbay erklärte sich dazu bereit, sich um Anmeldungen und Sozialleistungen zu kümmern, um einen Kindergartenplatz und Schule. Die Schwierigkeit. Die Familie spricht kein Wort Deutsch. Der Seelsorger spricht weder Russisch noch Ukrainisch. „Zum Glück gibt es für das Smartphone Übersetzungs-Apps. So kommunizieren wir miteinander. Das funktioniert ganz gut“, erklärt er und meint: „Die Zeit war intensiv und stressig, aber es war ein positiver Stress.“ In zweieinhalb Monaten ist es der Gemeinde gelungen, nicht nur eine Unterkunft bereitzustellen, sondern auch für die Integration in Hackenheim und einen guten Start ins neue Leben zu sorgen.
Jetzt können Rheinbay und Eckart erleichtert feststellen: „Es herrscht Alltag.“ Die großen Kinder gehen zur Schule und sind schon Mitglied bei einem Sportverein. Das Jüngste hat einen Kita-platz in Aussicht. Jetzt wollen sie bei der Arbeitssuche helfen und über die Kreisverwaltung einen Deutschkurs organisieren. Auch sonst kümmert sich der Pfarrer weiter um die Neuankömmlinge und sagt ihnen etwa Bescheid, wenn das Wasser abgestellt wird. „Sie strengen sich sehr an und wollen hier ankommen. Das merkt man. Sie richten sich darauf ein, dass sie länger bleiben“, meint der Pfarrer. Er freut sich über seine neuen Nachbarn, auch wenn es im Haus jetzt lauter zugeht. „Die Kinder machen natürlich Krach. Das ist völlig normal“, sagt er.
Für Marion Eckart und Pfarrer Rheinbay war es selbstverständlich, zu helfen. „Wir hatten einfach Glück, dass wir im Pfarrhaus Platz haben. Es hat sich gut gefügt“, meint er. Auf der Homepage der Pfarrkuratie ist sein Anliegen zusammengefasst so zu lesen: „Dieses Projekt dient zwei Zwecken, zum einen den ankommenden Menschen und zum anderen den Menschen bei uns vor Ort. Schon für die Kleinen im Kindergarten bedeutet es eine Ermutigung fürs Leben, wenn sie sehen, wie Erwachsene und Kinder in einer düsteren Lebenssituation Helles wirken können, dass Menschenwürde geachtet wird und Liebe in ganz konkreten Taten gezeigt werden kann.“

Von Theresa Breinlich

 

ZUR SACHE

Solidarität gefordert
Die drei großen christlichen Kirchen in Deutschland haben zur Solidarität mit den Opfern von Krieg und Gewalt sowie mit Flüchtlingen aufgerufen. Migrantinnen und Migranten bräuchten Teilhabe und rechtliche Gleichstellung, damit sie in die Gesellschaft hineinwachsen können, heißt es in einer gemeinsamen Mitteilung der Deutschen Bischofskonferenz, der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Griechisch-Orthodoxen Kirche. Die Kirchen stünden „solidarisch an der Seite derjenigen, die zur Zielscheibe von verbaler und tätlicher Gewalt werden“. Es sei nicht hinnehmbar, dass Menschen weiterhin unter zum Teil sehr schlechten Zuständen in Flüchtlingsunterkünften leben müssten. Angesichts des Leids in der Ukraine dürfe das Schicksal der Menschen in anderen Krisengebieten, etwa Afghanistan, nicht vergessen werden. (kna)

 

HINTERGRUND

16 Kriterien für eine gute Integration
Beim sechsten Flüchtlingsgipfel der katholischen Kirche wurden ganz aktuell 16 Kriterien benannt, die aus christlicher Sicht für eine gute Integration von geflüchteten Menschen unverzichtbar sind. In  den ersten acht Thesen geht es um Grundhaltungen: „Ein christlich geprägtes Verständnis von Integration“. In den Thesen 9 bis 16 um die Handlungsfelder: Sprache, Familie, Bildung, Arbeit, Gesundheit, Politik und Religion.

These 1: Ohne Achtung der Menschenwürde und Solidarität gibt es keine Integration

These 2: Bereitschaft zur Offenheit gegenüber Vielfalt und Wandel ist Voraussetzung für Integration

These 3: Integration bedeutet Zugehörigkeit trotz Verschiedenheit

These 4: Integration ist eine theologisch zentrale Aufgabe der Kirche und ihrer Seelsorge

These 5: Teilhabe und Anerkennung bedingen sich gegenseitig

These 6: Integration beinhaltet wechselseitige Vermittlung und Aushandlung

These 7: Institutionen setzen Rahmen für Integration

These 8: Integration bedeutet den Abbau von ausschließenden Grenzziehungen

These 9: Eine gemeinsame Sprache und die Anerken-nung lebensweltlicher Mehrsprachigkeit aktivieren Teilhabe und Anerkennung

These 10: Familien sind Ausdruck multigenerationaler und transnationaler Netzwerke

These 11: Bildung schafft Räume für Dialog und Entwicklung

These 12: Arbeit führt zu sozialer Anerkennung und eröffnet Zukunftsperspektiven

These 13: Wohnen bedarf der sozialpolitischen Intervention

These 14: Zugang zu Gesundheitsversorgung ist ein Menschenrecht

These 15: Religiöser Vielfalt ist mit Offenheit zu begegnen

These 16: Staatsangehörigkeit ist Voraussetzung für volle politische Teilhabe und Mitgliedschaft

Ganze Arbeitshilfe „Anerkennung und Teilhabe“: www.dbk.de