Wie gehen Gemeinden mit Kirchenaustritten um?

Einfach Tschüss sagen?

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Immer mehr Menschen treten aus der katholischen Kirche aus. Auch im Bistum Mainz zeigen dies die Zahlen. Doch wie gehen Gemeinden damit um? Beispiele von der Mainspitze und aus Nieder-Olm. Von Theresa Breinlich



Vor St. Franziskus in Nieder-Olm hängt nun ein Banner, das alle, vor allem auch ausgetretene Menschen einlädt.


2021 sind 12 649 Menschen im Bistum aus der Kirche ausgetreten. Wie sollen Pfarreien auf die Tausenden reagieren, die offiziell ihre Mitgliedschaft beenden? Bischof Peter Kohlgraf rief in seiner Predigt bei der Missa Chrismatis im April 2022 die Seelsorger dazu auf, Menschen, die aus der Kirche ausgetreten sind, „nicht abzuschreiben und Gesprächsangebote zu machen“.

Viele von Institution Kirche enttäuscht

In der Pfarrgruppe Mainspitze hat sich der Pfarrgemeinderat bereits vor einigen Jahren mit der Frage beschäftigt, wie man mit Ausgetretenen in Kontakt bleiben könne. Sie haben einen Brief entworfen, in dem sie ihr Bedauern über die Entscheidung ausdrücken und darauf hinweisen, dass mit der Kirchenmitgliedschaft einige Rechte verbunden sind. Gleichzeitig signalisieren sie Gesprächsbereitschaft und, dass die Tür immer offenbleibt. Sie haben eine Telefonnummer angegeben und einen Fragebogen mitgeschickt. In Einzelfällen haben sich Menschen zurückgemeldet. Leider sei die Initiative in der Corona-Zeit beendet worden, berichtet der Pfarrer Karl Zirmer. Es gab auch Schwierigkeiten mit der Datenübermittlung von den Ämtern. Der Seelsorger wünscht sich, dass sich der Pfarrgemeinderat bald wieder mit dem Thema beschäftigt. Es sei ihm eine „Herzensangelegenheit“.


Pfarrer
Karl Zirmer

In Mainz-Bischofsheim seien die Austrittszahlen „eklatant“ gestiegen, von etwa 30 Austritten jährlich auf 75 im Jahr 2021, mehr als eine Verdopplung. Einige Namen auf der Liste kennt Pfarrer Zirmer gut. „Wenn Menschen aus dem inneren Kreis der Gemeinde austreten, trifft mich das umso mehr“, sagt er. Die Motive seien unterschiedlich. „Viele sind enttäuscht von der Institution Kirche. Sie hat ihren Anteil. Das kann ich verstehen, auch, wenn ich die Entscheidung in letzter Konsequenz nicht teile. Die Entwicklung darf uns nicht einfach kalt lassen. Wir können die Menschen nicht einfach gehen lassen“, sagt Zirmer. Die „kirchliche Großwetterlage“ sei keine gute. Das Thema werde sich verschärfen. Da brauche man sich keine Illusionen zu machen. Er sieht aber auch gesellschaftliche Entwicklungen dafür verantwortlich, dass Menschen die Bindung an die Kirche verlieren. „Wenn die Botschaft nicht mehr ankommt, müssen wir uns die Frage stellen, was können wir tun? Aber man muss auch damit rechnen, dass nicht alle sie hören werden. Das ist schon seit biblischen Zeiten so“, denkt der Seelsorger. Hier ist es ihm wichtig, dass keiner den Mut verliert. „Das wäre das Schlimmste, wenn wir resignieren würden“, ist er sich sicher. Für Zirmer käme ein Austritt nicht in Frage. In einem Brief an seine Gemeinde schreibt er: „In dieser Kirche bin ich Jesus Christus und seiner Botschaft begegnet. Ich bleibe in der Kirche, weil ich bei ihm, bei Jesus Christus bleiben möchte.“ Und weiter äußert er, dass eine Einzelentscheidung durchaus Auswirkungen auf alle hat: „Doch langfristig, so befürchte ich, ist eine Schwächung der Kirchen auch ein Verlust für die Gesellschaft.“
Auch in Nieder-Olm sind die Verantwortlichen beunruhigt über die hohen Austrittszahlen. Mit 101 ist in der Pfarrei
St. Franziskus, Nieder-Olm, Sörgenloch, Zornheim im vergangenen Jahr ein neuer Rekord erreicht worden. Im Pfarrgemeinderat und zusammen mit der evangelischen Kirchengemeinde vor Ort haben sich die Mitglieder Gedanken gemacht, wie sie darauf reagieren sollen. Es reiche nicht mehr nur, die Statistik zu veröffentlichen, denkt Pfarrer Hubert Hilsbos. Insbesondere beschäftigt sie, dass in den letzten Jahren immer mehr Engagierte aus der Kerngemeinde ihre offizielle Mitgliedschaft beenden, Menschen, die 50, 60 oder 70 Jahre alt sind. St. Franziskus schreibt bisher jeden Ausgetretenen in einem persönlichen Brief an und bietet ein Gespräch an. Auf etwa drei, vier von zehn Briefen gibt es eine Antwort.
St. Franziskus entschied, es der Leipziger Propstei-Gemeinde nachzutun. Diese hatte Plakate aufgehängt mit einem Angebot an Ausgetretene, weiter am kirchlichen Leben teilzunehmen. Im Pfarrbrief von St. Franziskus heißt es, die Gemeinde will „alle(!) Ausgetretenen, die es möchten, weiterhin einladen, am Gemeindeleben teilzunehmen, auch an Gottesdiensten und am Sakramentenempfang“. Seit kurzem nun hängt ein entsprechendes Banner vor St. Franziskus.

Getaufte können niemals aus der Kirche austreten


Pfarrer Hubert Hilsbos

Pfarrer Hilsbos erkennt durchaus ein Dilemma darin, dass Menschen, die austreten, auch der Gemeinschaft vor Ort ihre Unterstützung entziehen, und seinem Verständnis für die, die aus Enttäuschung über die Amtskirche entscheiden zu gehen. Dies seien meist die Gründe für den Austritt: Zölibat, Rolle der Frau und Umgang mit Missbrauch. Der Kirchenaustritt sei nicht immer mit einem „Glaubensverlust“ verbunden. Er wisse auch von vielen Gottesdienstbesuchern, dass sie keine Mitglieder mehr sind. Theologisch sei es so, dass Getaufte niemals aus der Kirche austreten können. Der Kirchenaustritt sei ein reiner Verwaltungsakt. Den Verantwortlichen der Kirche stehe es nicht zu, zu beurteilen, welcher Mensch es wert sei, die Sakramente zu empfangen und wer nicht. Ihm ist wichtig, den Ausgetretenen Wertschätzung und Respekt für ihre Entscheidung zu zeigen. „Wie sollen wir reagieren? Einfach tschüss sagen oder die Türen offenlassen?“, fragt er sich. Eine Reaktion gab es bereits. Nach dem Gespräch mit „Glaube und Leben“ hat Pfarrer Hilsbos einen Termin mit einem Ausgetretenen, der wieder den Kontakt mit der Pfarrgemeinde sucht.

Von Theresa Breinlich