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Engel machen Gott spürbar

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Engel am Wolkenhimmel
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Foto: istockphoto/w-ings

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Engel am Wolkenhimmel

Anselm Grün beschäftigt sich schon lange intensiv mit Engeln. Im Interview erzählt der Benediktiner, wann er in seinem Leben Engel gespürt hat, wie sie Menschen helfen und wie sie unseren Glauben bereichern können.

Glauben Sie an Engel?

Ja, natürlich glaube ich an Engel. Es ist eher die Frage, was Engel für mich bedeuten. 

Und? Was bedeuten sie Ihnen?

Ich bin Dogmatiker und wir sind von Haus aus sehr nüchtern: Engel sind geschaffene, geistige und personale Wesen – aber keine Personen. Wir können sie nicht individualisieren. Engel sind Kräfte, die wir erfahren: ein Impuls, eine Lichterscheinung, eine Schutzerfahrung. Oder ein Mensch, der für uns zum Engel wird. 

Haben Sie schon eine solche Erfahrung gemacht?

Ich habe hin und wieder gespürt, dass ich einen Schutzengel habe. Erst neulich bin ich beim Autofahren mit dem Vorderrad von der Straße abgekommen. Aber ich hatte keinen Unfall. Ich kam gut durch diese Schrecksekunde und konnte das Auto abfangen. Da habe ich gedacht: Da war mein Schutzengel an meiner Seite. Oder wenn ich einem Menschen begegne, der mir den Blick für etwas Neues öffnet und mir eine neue Perspektive gibt. Dann wird dieser Mensch für mich zu einem Engel. 

Wo spüren Sie noch die Anwesenheit von Engeln?

Manchmal, wenn ich zum Gebet in der Kirche bin. Der heilige Benedikt sagt, wir sollen im Angesicht der Engel singen. Da habe ich beim Chorgebet das Gefühl, wir sind nicht allein, wir haben Anteil am Gesang der Engel. Ich sehe dann keine Engel vor mir, aber ich fühle, dass sie eine Wirklichkeit sind. 

Anselm Grün
Benediktinermönch und Erfolgsautor Anselm Grün. Foto: imago images

Was fühlen Sie in solchen Momenten?

Dann ist der Himmel für mich geöffnet. Die Atmosphäre in der Kirche verändert sich und ich empfinde eine tiefe Dankbarkeit: Unser Glaube, der Grund für all das, was wir tun, ist wahr. Es stimmt, wir sind in unserem Leben nicht allein auf uns gestellt.  

Haben Sie manchmal das Gefühl, dass Sie auch zum Engel für andere werden?

Manche sagen mir, dass ich durch meine Bücher und Vorträge zum Engel für andere werde und sie im Glauben stütze. Das macht mich dankbar. Aber ich würde mich nie selbst als Engel bezeichnen. 

In Ihren Büchern erzählen Sie von unterschiedlichen Engeln, etwa vom Engel der Gelassenheit oder vom Engel der Hoffnung. Haben Sie einen Lieblingsengel?

Die beiden gefallen mir schon sehr gut. Wenn ich von ihnen spreche, ist das für mich auch ein Gedanke von Gnade: Ich muss nicht Gelassenheit üben. Der Engel führt mich. Manchmal wünsche ich anderen Menschen diesen Engel und es tut ihnen gut. Sie spüren, dass ich nicht moralisiere und sage: „Du musst jetzt gelassen bleiben, du musst Hoffnung haben.“ Der Wunsch, dieser Engel möge sie begleiten, drückt Zuversicht aus und die Menschen fühlen: Ja, diesen Engel habe ich gerade bitter nötig. 

Sprechen die Menschen Sie häufig auf Engel an?

Nein. Meist geht es in den Vorträgen, die ich halte, oder in Beratungen um den Umgang mit Ängsten oder um Beziehungsprobleme. Manche sprechen auch von Gotteserfahrungen. Wenn mich Menschen doch mal auf Engel ansprechen, fragen sie manchmal, ob sie überhaupt Engel brauchen. 

Was sagen Sie dann?

Dann sage ich, dass niemand Engel zwingend braucht. Wir können eine Eingebung, einen Impuls auch mit dem Heiligen Geist erklären. Aber Engel sind ein menschliches Bild von Gott. Sie machen Gott erfahrbar und spürbar. Und wir können über die Engel wie über Gott nur in Bildern sprechen. Wer genau wissen will, wer oder was Engel sind, dem fliegen sie weg. 

In welchen Bildern sprechen Sie von Engeln?

Zum Beispiel im Bild des Engels, der für mich eintritt. 

Was meinen Sie damit?

Einmal kam eine alleinerziehende Mutter zu mir. Sie machte sich Sorgen, ob ihre fünfjährige Tochter krank sei, weil sie ständig sagte, da sei ein Engel bei ihr. Wenn die beiden nach Hause kamen, sagte die Tochter: „Schließ nicht so schnell die Tür, mein Engel muss noch hereinkommen.“ Am Tisch musste der Stuhl neben dem Kind frei bleiben – für den Engel. Die Mutter reagierte darauf barsch und verbot dem Kind, solchen Blödsinn zu erzählen. Aber der Engel blieb. 

Was haben Sie getan?

Ich habe erklärt, dass dieser Engel am Tisch als Bild zu verstehen ist. Da ist jemand, der die Ideen des Kindes aushält, der für das Mädchen eintritt. Der Engel ist keine Person, aber eine Macht, die mein Personsein schützt. Gerade für Kinder ist die Vorstellung eines Engels viel konkreter als andere Bilder über das Wirken Gottes. 

Aber es gibt Menschen, die sagen, ihnen sei ein echter Engel begegnet. Was sagen Sie ihnen?

Ich nehme das erst einmal an. Grundsätzlich sind solche Erfahrungen möglich, ich verneine das nicht und versuche nicht, den Leuten das auszureden. Manche Menschen geben aber mit einer solchen Erfahrung an. Dann bin ich immer skeptisch. Denn solche Menschen wollen sich oft nur selber interessant machen. 

Und das kann gefährlich werden?

Ja, gefährlich für die, die davon hören oder davon in Büchern lesen. Sie können sich zerrissen fühlen zwischen der Realität und den vermeintlichen Engelbotschaften. Denn das, was da behauptet wird, muss ja wahr sein. Das hat ja ein Engel gesagt. Außerdem erheben sich jene, die solche Dinge verbreiten, über andere. Der heilige Benedikt sagt, die wichtigste spirituelle Haltung sei die Demut. Wir sollen mit beiden Füßen auf dem Boden stehen und unsere Schattenseiten annehmen. Sich zum Sprachrohr der Engel zu machen und sich als etwas Besonderes zu fühlen, ist immer gefährlich.  

Wie wichtig ist daher auch die Rückkopplung an den christlichen Glauben, wenn wir von Engeln sprechen?

Wir können über Engel nicht ohne Gott sprechen. Engel sind Boten Gottes. Wenn wir in die Bibel schauen, sehen wir: Gott schickt Engel in unsere Not. Zum Beispiel zu Hagar in die Wüste, als sie orientierungslos ist. Das ist doch die tröstliche Botschaft: Gott schaut auf uns und er schickt uns seine Engel, wenn wir sie am nötigsten brauchen.   

Engel sind uns viel näher, konkreter und menschlicher als Gott. Sehen Sie die Gefahr, dass der Glaube an Engel den Glauben an Gott verdrängt?

Nein. Ich denke eher, dass die Offenheit für Engel eine niederschwellige Offenheit für Gott ist. Sie bieten eine Chance, über Gott zu sprechen. Sie zeigen eine Sehnsucht nach Transzendenz, dass etwas von Gott einbricht in unsere Welt. Engel sind Erfahrungen von Gottes Nähe.

Das Gespräch führte Kerstin Ostendorf


Engel im Klosterladen

Wie viele Engel sie bereits verkauft hat, weiß Teresa Günther nicht: „Es waren aber auf jeden Fall sehr viele.“ Seit 1997 arbeitet sie im Klosterladen der Abtei Münsterschwarzach, den sie heute gemeinsam mit einer Kollegin leitet. „Engel waren in all diesen Jahren immer beliebt.“ Egal, ob große oder kleine Figuren, Engel aus Speckstein, Holz, Keramik oder Bronze, als Figur für Gräber, als Anhänger für Ketten oder Schlüssel oder als Handschmeichler für die Hosentasche – täglich verkaufen die Angestellten des Shops viele dieser Wegbegleiter. 

Engel Klosterladen

„Zu uns kommen Junge und Alte, auch viele Schülerinnen und Schüler, die einen kleinen Engel mitnehmen“, sagt Günther. Besonders beliebt sei der Ärgere-dich-nicht-Engel, der 2007 in der klostereigenen Goldschmiede entwickelt wurde. Die schlichte Figur ähnelt der Spielfigur des Brettspiel-Klassikers, hat aber seitlich große Flügel. Das soll daran erinnern: Selbst im größten Ärger ist da jemand, der uns nicht alleinlässt.

Manchmal erzählen die Menschen Günther, warum sie die Engel kaufen: als Begleiter für den Enkel, der zu einer Reise aufbricht, als Geschenk zur bestandenen Führerscheinprüfung und zum Schutz bei kommenden Autofahrten, als ersten Mitbewohner in der neuen Wohnung  – oder als persönlichen Wegbegleiter. „So ein kleiner Handschmeichler kann in der Hosentasche oder im Portemonnaie immer dabei sein“, sagt Günther. „Ein Engel drückt unser Bedürfnis und unseren Wunsch nach Schutz und Behütetsein aus. Und diesen Wunsch drücken wir auch mit dem Geschenk aus.“

Besonders beliebt seien Engel natürlich zur Feier von Taufe, Erstkommunion oder Hochzeit – egal, wie religiös oder nicht-religiös die Beschenkten seien. „Oft sagen uns die Leute, dass sie gar nicht genau wissen, ob das Kind schon eine Kette mit einem Kreuzanhänger hat oder ob die Familie nach dem Umzug überhaupt ein Kreuz mit einem Segensspruch wünscht“, sagt Günther. Dann griffen sie lieber auf eine Engelfigur zurück. Denn: „Das Bild des Engels spricht jeden Menschen an.“


Engel in der Bibel

Wegweiser, Befreier, Himmelswächter: 274 Mal erzählt die Bibel von Engeln. Manche dieser Geschichten sind sehr bekannt – etwa die von Gabriel und Maria. Andere hat man seltener gehört. Etwa diese beiden Rettungsgeschichten, nacherzählt von Susanne Haverkamp

Petrus und sein Engel der Befreiung

In der Bibel erscheinen Engel nicht selten Menschen in Schwierigkeiten. Zum Beispiel dem Petrus. Der Fischer Simon hatte sich nach Tod und Auferstehung Jesu zum bedeutenden Prediger entwickelt. Kraftvoll und unerschrocken verkündigte er den neuen Glauben und vermochte sogar, Kranke zu heilen.

Engel Petrus Gefängnis
Rettung aus dem Gefängnis: Ein Engel hilft Petrus. Foto: Classic Image / Alamy Stock Foto

Das traf natürlich auf Widerstand. Mehrfach. Das erste Mal erzählt die Apostelgeschichte in Kapitel 5 davon: „Da erhoben sich voll Eifersucht der Hohepriester und alle, die auf seiner Seite standen, nämlich die Partei der Sadduzäer. Und sie legten Hand an die Apostel und nahmen sie in öffentlichen Gewahrsam.“ (5,17–18) Dort blieben sie aber nicht lange, denn: „Ein Engel des Herrn öffnete nachts die Gefängnistore, führte sie hinaus und sagte: Geht, tretet im Tempel auf und verkündet dem Volk alle Worte dieses Lebens!“ (5,19–20)

Als die Diener des Hohepriesters am nächsten Morgen die Gefangenen zum Verhör holen wollten, staunten sie nicht schlecht. Sie berichteten: „Wir fanden das Gefängnis sorgfältig verschlossen und die Wachen vor den Toren stehen; als wir aber öffneten, fanden wir niemanden darin.“ (5,23)

Einige Kapitel weiter eine ähnliche Geschichte, nur dramatischer. Gerade hatte König Herodes Jakobus, den Sohn des Zebedäus, hinrichten lassen, und „als er sah, dass es den Juden gefiel, ließ er auch Petrus festnehmen“. (12,2–3) Die Situation war also lebensbedrohlich und „die Gemeinde betete inständig für ihn bei Gott“. (12,5)

Mit Erfolg. „Und siehe, ein Engel des Herrn trat hinzu und ein Licht strahlte in dem Raum. Er stieß Petrus in die Seite, weckte ihn und sagte: Schnell, steh auf! Da fielen die Ketten von seinen Händen. Der Engel aber sagte zu ihm: Gürte dich und zieh deine Sandalen an! Er tat es. Und der Engel sagte zu ihm: Wirf deinen Mantel um und folge mir!“ (12,7–8) Dann eskortierte der Engel Petrus vorbei an den Wachen  bis zum Gefängnistor. „Es öffnete sich ihnen von selbst. Sie traten hinaus und gingen eine Gasse weit; und sogleich verließ ihn der Engel. Da kam Petrus zu sich und sagte: Nun weiß ich wahrhaftig, dass der Herr seinen Engel gesandt und mich der Hand des Herodes entrissen hat.“ (12,10–11)

Und wieder konnte sich niemand die Flucht erklären: „Als es Tag wurde, herrschte bei den Soldaten keine geringe Aufregung darüber, was wohl mit Petrus geschehen sei.“ (12,18) Mit einem Engel der Befreiung hatte offenbar niemand gerechnet. Noch nicht einmal Petrus selbst.


Hagar und ihr Engel der Rettung

Lange vor Petrus war die Ägypterin Hagar in Schwierigkeiten. Sie war Sklavin und hatte Abrams Frau Sarai zu dienen. Auch die hatte ein Problem: Sarai war kinderlos, was für sie und ihren Mann eine Katastrophe war. Deshalb musste Hagar einen ganz besonderen Dienst übernehmen. „Geh zu meiner Sklavin!“, schlug Sarai Abram vor. „Vielleicht komme ich durch sie zu einem Sohn.“ (Genesis 16,2)

Es kam wie gewünscht: Hagar wurde schwanger. Und bildete sich etwas darauf ein. Oder vielleicht war Sarai auch nur eifersüchtig. Jedenfalls beschwerte sie sich bei Abram, aber der hielt sich raus: „Siehe, sie ist deine Sklavin, sie ist in deiner Hand. Tu mit ihr, was in deinen Augen gut erscheint!“ (16,6) Was aber nicht gut war: Sarai misshandelte Hagar – und die lief davon. 

Engel Petrus Brunnen
Der Engel zeigt Hagar den rettenden Brunnen. Foto: pa

Aber wohin? Mit welchem Ziel? Hagar irrte verzweifelt umher, als ihr ein Engel des Herrn erschien. Des einen Herrn, der sich offenbar für alle Menschen zuständig fühlte, auch für heidnische Ägypterinnen. Seine erste Nachricht wird Hagar ungern gehört haben: „Da sprach der Engel des HERRN zu ihr: Kehr zurück zu deiner Herrin und beuge dich unter ihre Hand!“ 

Die zweite Botschaft war besser: „Der Engel des HERRN sprach: Mehren werde ich deine Nachkommen, sodass man sie wegen ihrer Menge nicht mehr zählen kann.“ Und die dritte erinnert sehr an den Engel Gabriel bei Maria: „Weiter sprach der Engel des HERRN zu ihr: Siehe, du bist schwanger, du wirst einen Sohn gebären und du sollst ihm den Namen Ismael – Gott hört – geben, denn der HERR hat dich in deinem Leid gehört.“ (16,9–11)

Hagar tat, was der Engel ihr gesagt hatte, ging zurück und „gebar dem Abram einen Sohn. Und Abram gab seinem Sohn, den ihm Hagar geboren hatte, den Namen Ismael“ (16,15). 

Etwas später hatte Abram eine Gottesbegegnung. Er und seine Frau bekamen neue Namen: Abraham und Sara. Und die Verheißung, als uraltes Ehepaar noch leiblichen Nachwuchs zu bekommen (17,1–21). Was schön war für Sara, aber schlecht für Hagar und Ismael. Denn kaum war Isaak auf der Welt, erwachte Saras Eifersucht erneut. „Eines Tages beobachtete Sara, wie der Sohn, den die Ägypterin Hagar Abraham geboren hatte, spielte und lachte. Da sagte sie zu Abraham: Vertreibe diese Magd und ihren Sohn! Denn der Sohn dieser Magd soll nicht zusammen mit meinem Sohn Isaak Erbe sein.“ (21,9) Und Abraham tat es. Er setzte Hagar und Ismael in der Wüste aus – mit nicht mehr als einem Schlauch Wasser.

Wieder war Hagar in Schwierigkeiten, in lebensgefährlichen sogar. „Als das Wasser im Schlauch zu Ende war, warf sie das Kind unter einen Strauch, ging weg und setzte sich in der Nähe hin, denn sie sagte: Ich kann nicht mit ansehen, wie das Kind stirbt.“ (21,14–16) Aber wieder erschien ein Engel des Herrn. „Er rief Hagar zu: Fürchte dich nicht, denn Gott hat die Stimme des Knaben gehört. Steh auf, nimm ihn hoch und halt ihn fest an deiner Hand; denn zu einem großen Volk will ich ihn machen.“ (21,17–18) Und als Hagar aufblickte, sah sie einen Brunnen. „Sie ging hin, füllte den Schlauch mit Wasser und gab dem Knaben zu trinken.“

Für das Volk Israel war die Geschichte von Hagar und Ismael damit zu Ende. Nur kurz wird erwähnt, dass Ismael Stammvater eines nicht näher genannten Volkes wurde (25,16–18), dann verschwanden die beiden aus der Bibel. 

Aus dem Koran verschwanden sie hingegen nicht. Dort wird erzählt, dass Mutter und Sohn auf ihrer Wüstenwanderung nach Mekka gelangten, zur Kaaba, dem ersten Gotteshaus der Welt, das Adam erbaut haben soll.

Hagars Suche nach Wasser in der Wüste wird von den Muslimen bei jeder Wallfahrt nach Mekka symbolisch nachvollzogen: Die heilige Quelle Zamzam ist nach islamischer Auffassung der von Gott geschenkte Brunnen, der Hagar und Ismael das Leben rettete. Die Gräber Hagars und Ismails verehren Muslime in der Kaaba.