Max Kronawitter. Ein Hirntumor veränderte alles
Er hat nie gefragt: Warum?
Eine schwere Zeit liegt hinter Max und Heike Kronawitter. Glückliche Momente gab es aber auch.
Max Kronawitter ist katholisch durch und durch. „Von meinem Kinderzimmer konnte ich in die Kirche schauen“, sagt er. In der Grundschulzeit habe er „jede Messe gedient“ und auch später stand das Berufsziel nie infrage: „Ich wollte Theologie studieren und Seelsorger sein.“
Bis ihm während eines Studienjahres in Rom klar wurde, dass das Priesteramt nicht passt. Plan B: Pastoralreferent. Aber der Bewerberkreis in seinem Heimatbistum Passau war voll und München-Freising, wo er studierte, nahm niemanden aus Fremdbistümern auf. „Das war eine große Enttäuschung, dass die Kirche mich nicht wollte“, sagt er.
Also Plan C. Denn zum Glück war das Studienjahr in Rom „faktisch ein Jahrespraktikum bei Radio Vatikan“, sagt Kronawitter. „Ich habe zu meinem Erstaunen gelernt, dass da wunderbarer Journalismus gemacht wird.“ Also fragte er den damaligen Redaktionsleiter, den Jesuiten Eberhard von Gemmingen, wo er mit sowas weitermachen könne. „Er hat mich zum Medieninstitut der Jesuiten in München geschickt. ‚Die machen da Filme‘, hat er gesagt.“
Von Filmen hatte Kronawitter wenig Ahnung. Prompt ging sein erster Versuch schief. „Pater Iblacker vom Medieninstitut hat den Film angeschaut und gesagt: Da kommt ja der Weihrauch aus den Lautsprechern raus!“ Weitergemacht hat Kronawitter trotzdem. Und 1989 eine Firma gegründet: Ikarus-Film, nach dem mythologischen Ikarus, der hoch fliegt und tief fällt.
Gott hat mich nie intensiver begleitet als jetzt.
„Eigentlich war es ein Glücksfall, dass die Kirche mich nicht wollte“, sagt Kronawitter heute. „Das Filmemachen hat mir die Möglichkeit gegeben, das zu verbinden, was ich liebe.“ Bilder, Musik, Geschichten. Und Menschen. „Meine Eltern hatten einen Edeka-Laden“, sagt er. „Ich hatte schon als Bub viel Freude daran, den halben Tag mit Leuten zu reden.“
Intensiv mit Menschen beschäftigt hat sich Kronawitter auch für seine Filme. Mit ihren Schicksalen. Etwa mit Wenke, die mit 13 Jahren an einem Hirntumor starb. Mit Ferdi, der nur in der eisernen Lunge überleben konnte. Mit dem Auschwitzüberlebenden Peter Gardosch. Mit Müllmenschen auf den Philippinen, Dorfkindern in Kenia, Karawanen in der Sahara, Mönchen im Kloster.
Wochen- oder monatelang hat Kronawitter sie getroffen, ihnen Aufmerksamkeit und Freundschaft geschenkt. Und jetzt, wo er selber Zuwendung braucht, bekommt er viel zurück. „Es ist unfassbar, wie viele Leute mich in den letzten Monaten angerufen oder besucht haben, die mir Mut gemacht haben, die sagten, dass sie für mich beten, mit denen ich erzählen und lachen konnte.“
Konkret: seit Dezember 2022, als von einem Tag auf den anderen nichts mehr so war wie zuvor. Kronawitters Frau Heike, eine Ärztin, hatte ihm kurzfristig einen MRT-Termin im Uniklinikum München besorgt. Seit einigen Wochen sah er Blitze rechts oben. Nur einen schnellen Blick wollte eine Radiologin auf die Bilder werfen, als sie erstarrte. Ein Tumor. Ein Glioblastom. Bösartiger Krebs.
Nur Tage später die OP. Und bald die Erkenntnis, dass der Kopf etwas abbekommen hat. „Hirnamputiert“ habe er sich gefühlt, sagt Kronawitter. Wenn Worte und Erinnerungen fehlten. Wenn die Augen nur verschwommene Doppelbilder erzeugten. Wenn er Buchstaben nicht mehr zu Worten zusammensetzen konnte. „Eine ganze Weile wartet man darauf, dass alles wieder normal wird“, sagt er. „Erst wenn man einsieht, dass es nie wieder normal wird, wird es besser.“
Hirntumor mit knapp über 60. Drei Kinder in Schule und Studium. Stellt man da Gott schon mal die Frage nach dem Warum? „Nein, nie“, sagt Kronawitter. „Für mich hat Gott nichts mit dem Entstehen des Tumors zu tun.“ Der sei schlicht „ein Defekt der Natur“. Das gebe es, „und jetzt hat es leider mich erwischt“. Sehr wohl habe Gott aber damit zu tun, wie man mit der Situation umgeht, mit den Einschränkungen, mit der Angst. „Ich glaube, dass Gott mich nie intensiver begleitet hat als jetzt“, sagt Kronawitter. Auch die Freunde von nah und fern seien für ihn „ein verlängerter Arm Gottes“.
Überhaupt, sagt Kronawitter, habe die Erkrankung „auch viel Positives bewirkt“. So sei seine Spiritualität gewachsen, er nehme sich mehr Zeit für sich selbst. „Und sehr viele Begegnungen und Beziehungen sind Frucht dieser Zeit, es hätte sie sonst nicht gegeben“, sagt er.
Auch sein Buch hätte es nicht gegeben: „Ikarus stürzt“. Mit einem Diktiergerät hat Kronawitter von Anfang der Krankheit an seine Erlebnisse und Gedanken aufgezeichnet und sie mit Geschichten aus seinen Filmen verbunden. Mit Hilfe seiner Frau, die alles machte, wofür man lesen können muss, entstand so ein Einblick in die Welt eines Menschen, dessen Sicherheiten verlorengegangen sind.
Ist im Himmel, wenn alles zur Ruhe kommt?
Ruhe Ein Buch, das Hoffnung gibt. Kronawitter selbst und dem Leser. „Ich dachte immer, ich sei Filmemacher“, sagt er. „Aber eigentlich bin ich Geschichtenerzähler. Und jetzt erzähle ich meine Geschichten eben auf andere Weise.“ Trotzdem: Die Zukunft ist ungewiss. Operation, Chemo und Bestrahlungen haben den Tumor zurückgedrängt. Wie lange, weiß niemand. Macht man sich da Gedanken über das, was nach dem Tod kommt? „Mich hat immer das alte Gebet tief berührt: Herr, gib ihnen die ewige Ruhe … lass sie ruhen in Frieden“, sagt Kronawitter. „Wenn es das am Ende des Lebens ist: dass alles zur Ruhe kommt, dass man alles Belastende ablegen kann, wenn man in die Stille der Gegenwart Gottes eingeht, dann wäre das durchaus eine Option für den Himmel.“ Ihn würde es nicht stören, „wenn sonst nicht viel geboten wird“. Wobei, setzt er nach: „Wenn’s mehr ist, habe ich auch nichts dagegen.“
Max Kronawitter: Ikarus stürzt. Herder Verlag. 272 Seiten 24 Euro