Für eine Leib- und Seelsorge
„Caritas und Kirche“ hört man nicht selten. Ausdruck für ein Verständnis von Seelsorge, das mit dem Handeln Jesu nicht übereinstimmt. Er sieht den ganzen Menschen. Darum ging es einmal mehr am Tag der Caritas und der Seelsorge. Von Maria Weißenberger.
Die Versuchung der Christen, die Sorge um die Seele von der Sorge um den Leib zu trennen, zeigt sich schon ganz am Anfang – und hält sich hartnäckig. Obwohl mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil ein neues Seelsorgeverständnis ins Spiel gekommen ist, wie Bischof Peter Kohlgraf in seinem Grundsatzreferat zum Thema „Caritas und Seelsorge neu denken“ deutlich machte.
Mehr als 250 Frauen und Männer, die haupt- und ehrenamtlich im Bistum und in den Caritasverbänden tätig sind, waren zu der Veranstaltung nach Mainz in den Erbacher Hof gekommen. Dass Caritas zum Wesen der pastoralen Arbeit gehört, „wissen wir seit 2000 Jahren“, rief Bischof Peter Kohlgraf in seinem Referat in Erinnerung. Er bezog sich auf die biblische Erzählung über die Speisung der 5000 (auch „wunderbare Brotvermehrung“ genannt), wobei er sich auf Gedanken des Theologen Gerhard Lohfink stützte. Nachdem die Menschenmenge Jesus lange zugehört hat, merken die Jünger durchaus, dass die Leute Hunger haben. Aber das fällt für sie nicht in die Zuständigkeit Jesu – ihre Lösungsideen basieren auf der sauberen Trennung von geistlich-seelischen und körperlichen Bedürfnissen. Jesus hingegen macht deutlich, dass er nicht nur Interesse am Seelenheil der Menschen hat, sondern sie mit allem in den Blick nimmt, was sie brauchen.
Kein „Abspeisen“ – sondern Teilhabe
Und: Er veranlasst die Jünger, die vielen Menschen in überschaubare Gruppen von 50 oder 100 aufzuteilen – überschaubare Mahlgemeinschaften zu bilden. Hier geschieht kein „Abspeisen“ oder Abfertigen, sondern Menschen werden zusammengeführt zum Mahl – und damit auch zur Kommunikation.
„Es reicht nicht, den Menschen Nahrung zu reichen und ansonsten nichts mit ihnen zu tun haben wollen“, sagte Kohlgraf. „Es geht darum, sie in die Gemeinschaft aufzunehmen, sie zu beteiligen“, betonte er auch anschließend in einer Talkrunde, die Michaela Pilters vom ZDF moderierte.
Durch den Einfluss der griechischen Philosophie habe sich im Christentum schon früh die Neigung gezeigt, sich auf die religiöse Sehnsucht des Menschen zu konzentrieren – und die Seelsorge auf den Empfang der Sakramente und die Verkündigung des Wortes Gottes zu reduzieren. In der kirchlichen Praxis habe zwar neben diesem „Heilsdienst“, der allein den Priestern zustand, auch der „Weltdienst“ eine wichtige Rolle gespielt, allerdings nicht als „Kerngeschäft“ kirchlichen Handelns gegolten. Dafür seien die „so genannten Laien“ zuständig gewesen, wie Kohlgraf es formulierte.
Das Zweite Vatikanische Konzil habe hingegen deutlich gemacht, dass sowohl Liturgie und Verkündigung als auch Caritas zum Wesen der Kirche gehören. Und dass diese „Grundvollzüge“ von allen getauften Christen getragen werden. Der Auftrag der Kirche heute bestehe darin, die Not von Menschen wahrzunehmen, zu fragen, was sie brauchen – und dies zum Ausgangspunkt christlichen Handelns zu machen. Für Hauptamtliche bedeute dies, nicht nur Anbieter zu sein, sondern auf Menschen zuzugehen und sie zu ermutigen, im Sinne des Chris-tentums zu leben.
Entscheidend ist die Motivation
Wie sich die Zusammenarbeit von Haupt- und Ehrenamtlichen „auf Augenhöhe“ gestalten kann, das war in den Tischgruppen und in der Talkrunde ebenso ein Thema wie die Frage nach der Notwendigkeit einer offiziellen Beauftragung für Ehrenamtliche. Auch wenn eine solche unter Umständen hilfreich sein könne: „Die Hauptbeauftragung ist die Taufe“, betonte der Bischof. Gewiss werde Begleitung und Qualifizierung gebraucht. Aber: „Der Wert hängt nicht in erster Linie von der Professionalität ab, sondern von der Motivation der Menschen, ihr Getauftsein zu leben.“
Meinung: Im Auftrag des Herrn unterwegs
Warum nur stand die Frage nach der Beauftragung ehrenamtlich tätiger Laien so schnell im Raum? Ich will gar nicht bezweifeln, dass es Aufgaben gibt, für die eine solche – im Interesse der Ehrenamtlichen durchaus mit zeitlicher Begrenzung – angebracht ist. Dass es eine der ersten aufkommenden Fragen ist, irritiert mich allerdings. Umso sympathischer ist mir die Aussage von Bischof Kohlgraf, dass die Taufe die Hauptbeauftragung ist. Wenn dies im Bewusstsein aller Beteiligten verankert ist, ist es die beste Grundlage, miteinander zu schauen, wer welches Charisma mitbringt, wer sich wie an der kirchlichen Arbeit beteiligen will und – nicht zuletzt wegen der unterschiedlichen zeitlichen Ressourcen – auch kann. Dann wird sich auch herausstellen, für welche Ämter und Dienste es eine Beauftragung braucht.
Dasselbe gilt für die Frage nach einer Ausbildung für spezielle Aufgaben. Allein an der Absolvierung von Qualifizierungmaßnahmen und entsprehenden Zertifikaten lässt sich, auch das hat der Bischof festgestellt, der Wert einer ehrenamtlichen Tätigkeit nicht festmachen.
Es gibt Naturtalente – oder sollte ich sagen vom Heiligen Geist inspirierte Menschen – die intuitiv ihrer Berufung folgen und die „ihre Sache“ sehr gut machen. Ich wage zu behaupten, dass schon heute eine ganze Menge an Seelsorge im weitesten Sinne geschieht, ohne dass Menschen sich dabei als ehrenamtlich tätig empfinden. Menschen, die ihren Nachbarn, Freunden oder auch Unbekannten in Bus, Bahn oder Supermarkt ihr Ohr leihen, sie einfach „nur“ ernstnehmen in ihrer jeweiligen Situation, mit ihren Belastungen und Problemen, die einmal „rausmüssen“. Manchmal genügt es ja schon, jemandem sein Herz ausschütten zu können. Wenn ein Anderer eine schwere Last mitträgt – und sei es in Form der Einkaufstasche. Formen christlichen Handelns, für die in Gemeinden, Gruppen und Kreisen vielleicht manchmal vor lauter ehrenamtlichem Aktionismus gar keine Luft mehr bleibt ...