Vom Bürgerkrieg ins norddeutsche Fernsehstudio

„Gebete haben mir sehr viel Kraft gegeben“

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Yared Dibaba
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Foto: Sebastian Fuchs

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Bekanntes Fernsehgesicht in Norddeutschland: Yared Dibaba

Yared Dibaba ist viel in der Welt herumgekommen – nicht immer freiwillig. Der Glaube hat ihm geholfen, auch finstere Zeiten durchzustehen. Heute ist der evangelische Christ ein erfolgreicher Fernsehmoderator und will etwas von dem Glück zurückgeben, das er gehabt hat.

Plötzlich fallen Schüsse auf einer Demonstration in Addis Abeba, zu der Yared Dibaba seinen Vater begleitet. Panik bricht aus, und auch der siebenjährige Yared will losrennen. Doch der Vater hält seine Hand fest und bremst ihn – um nicht die Aufmerksamkeit der Regierungssoldaten auf sich zu lenken. 

Während des Bürgerkrieges in Äthiopien, sagt Dibaba, habe es oft Situationen gegeben, in denen er um sein Leben gefürchtet habe. Einmal, bei einer Schießerei direkt vor dem Wohnhaus der Familie, verkriecht er sich mit seinem Bruder unter dem Bett im Elternschlafzimmer. Und es kommt noch schlimmer. Als er zwei Wochen in einem Krankenhaus liegt, als einziges Kind unter Erwachsenen im Krankenzimmer, halten ihn jede Nacht Schüsse wach; er beobachtet am Fenster sogar, wie Menschen erschossen werden. 

Trost und Halt geben ihm die Eltern, aber auch ein Geschenk – das Buch „Kindergebete an den lieben Gott“. Gott wird in den Schreckensnächten zum Helfer, zum Retter. Der Junge denkt: „Wenn ich an ihn glaube und zu ihm bete, wird er mich beschützen.“ Und so betet er jeden Morgen und jeden Abend, dass die Familie Äthiopien verlassen und wieder nach Deutschland gehen möge – dorthin, wo es friedlich und sicher ist, wo es keinen Terror gibt. „Diese Gebete haben mir sehr viel Kraft gegeben.“

Yared Dibaba, 55 Jahre alt, ist ein bekanntes Fernsehgesicht in Norddeutschland: Moderator, Schauspieler, Autor, Sänger, Plattsnacker, Mitherausgeber des evangelischen Monatsmagazins Chrismon. Er ist ein lebensfroher Mensch, der sich seiner Wurzeln bewusst ist und der Erfahrungen von Krieg, Flucht, Verlust von Heimat.  

1973 bekommt sein Vater einen Studienplatz für Erziehungswissenschaften in Osnabrück, Frau und Söhne begleiten ihn. Yared und sein Bruder besuchen den Kindergarten und sprechen bald nur noch Deutsch. 

Drei Jahre später geht es zurück nach Äthiopien. Doch dann bricht der Bürgerkrieg aus. Die Familie plant die Flucht über Kenia und landet 1979 in Falkenburg bei Ganderkesee in Niedersachsen. So lautet die Kurzfassung einer abenteuerlichen Odyssee. Immer wieder heißt es in dieser Zeit: Aufbruch, an einen neuen Ort ziehen, sich neu anpassen.

»Wir sehen die Dinge, die uns verbinden.«

Später dann, beim Norddeutschen Rundfunk, wird Dibaba eine Sendung drehen, in der er Menschen kennenlernt, die ihr Dorf nie verlassen haben. Das macht ihn neugierig. „Ich habe mich immer gefragt, wie es ist, in einem Ort auf die Welt zu kommen und dort ein Leben lang zu sein“, sagt er. Das sei eine Form von Sicherheit und Selbstverständlichkeit, die er so nicht erfahren habe. „Ich bewundere das.“ 

Geboren ist Dibaba in der Region Oromia. Die Oromo sind die größte Bevölkerungsgruppe in Äthiopien. Einst waren sie ein freies Volk – eines der ältesten demokratischen Systeme. Sie sind aber auch ein Volk mit langer Unterdrückungsgeschichte. Mit Oromia fühlt sich Yared Dibaba auch heute noch stark verbunden. Zugleich hat er Wurzeln in Norddeutschland geschlagen: im Oldenburger Land, wo er fließend Plattdeutsch gelernt hat, in Bremen, wo er den Schritt vom Kaffee-Großhandelskaufmann zur Schauspielausbildung wagte, in Hamburg, wo er mit seiner portugiesisch-deutschen Frau und zwei Söhnen lebt; sein Vater ist im Norden beerdigt. Er sagt: „Ich habe das Glück, nicht zwischen den Stühlen zu sitzen, sondern auf zwei Stühlen gleichzeitig. Auf welchem Stuhl mehr Gewicht ist, ergibt sich aus der jeweiligen Situation. Das hat mir geholfen, aus einer Zerrissenheit herauszukommen.“ 

Die Oromo lernen früh, mit verschiedenen Religionen zu leben, sagt Dibaba. Evangelisch-lutherisch, koptisch-orthodox, katholisch, muslimisch – in seiner eigenen Familie existieren all diese Glaubensrichtungen harmonisch miteinander. Wie gelingt das? „Wir sehen die Dinge, die uns verbinden – das Familiäre, das Wir-Gefühl.“ Er lacht. Natürlich könne Kuddelmuddel auch Konflikte mit sich bringen, „aber die erlebe ich eher in anderen Kontexten“.

Für den evangelischen Christen sind gesellschaftliche Vielfalt, Menschenrechte und Nächstenliebe wichtige Themen. Er spricht sie in seinen Kolumnen als Chrismon-Mitherausgeber an und engagiert sich ehrenamtlich. Zum Beispiel in der „Gesellschaft für bedrohte Völker“, die sich vor allem für die Rechte religiöser, sprachlicher und ethnischer Minderheiten einsetzt, und für ein Hospiz in seiner alten Heimat Falkenburg. „Dass wir dem Bürgerkrieg entkommen konnten, haben wir auch anderen Menschen zu verdanken“, sagt er. „Ich habe das innere Bedürfnis, von meinem Glück etwas abzugeben und meine Privilegien dafür zu nutzen, um anderen zu helfen.“

»Dass ich schwarz bin, hatte er inzwischen vergessen«

Yared Dibaba ist in der Welt herumgekommen – nicht immer freiwillig. Das Wort Heimat hat für ihn viele Ebenen, Formen und Zustände. Heimat können Orte sein, Menschen, Musik, eine Atmosphäre, eine Temperatur, eine Stimmung – auch der Glaube. „Der Glaube an Gott hat mir oft geholfen, und tatsächlich auch meine Familie, die mir Kraft, Zuversicht und ein Gefühl der Zugehörigkeit gegeben hat.“ 

Auch in Sprachen schwingt ein Heimat- und Lebensgefühl mit. Und Sprache kann zum Schlüssel in Begegnungen werden. Bei Dreharbeiten in der Fernsehreihe „Die Welt op Platt“ trifft Dibaba in Südafrika auf einen weißen deutschen Farmer, der seine Farm während der Apartheid aufgebaut und Vorbehalte gegen Schwarze hatte. „Er hätte mich sicher nie auf seinen Hof und in sein Haus gelassen, wenn ich kein Plattdeutsch gesprochen hätte.“ Irgendwann im Gespräch fällt der Satz: „Mensch, der Yared, dat is een von uns!“ Dibaba schmunzelt. „Es gab wenig, was wir gemeinsam hatten. Das Einzige, was uns in dem Augenblick verbunden hat, war die plattdeutsche Sprache. Dass ich schwarz bin, hatte er inzwischen vergessen.“

Zur Person: Nach dem Namensrecht der Oromo erhalten Jungen den Vornamen des Vaters als Nachnamen. Deshalb hieß Dibaba eigentlich Yared Terfa. Doch sein späterer Flüchtlingspass wurde auf den Namen Yared Dibaba und somit auf den Nachnamen seines Vaters (und Vornamen seines Großvaters) ausgestellt. Bei seiner Einbürgerung in Deutschland 1993 erhielt er seinen heutigen Namen Yared Terfa Dibaba.

 

Anja Sabel