Herzenswunsch-Krankenwagen

Glücksmomente auf der letzten Fahrt

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Portätfoto von einem Mann in Uniform vor einem Krankenwagen
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Foto: Malteser

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Die Herzenswunsch-Krankenwagen wird je nach Einsatz ausgestattet. Dennis Lindemann hat das Projekt ins Bistum geholt. Foto: Malteser

Ans Meer oder ins Fußballstadion fahren, noch einmal die eigenen vier Wänden sehen – letzte Wünsche von Sterbenden sind individuell. Ehrenamtliche Malteser helfen, sie zu verwirklichen. Dennis Lindemann hat das Projekt „Herzenswunsch-Krankenwagen“ ins Bistum geholt.

Borussia Dortmund erweist sich als harter Brocken. Alle Rollstuhlplätze seien bis zum Ende der Spielsaison ausgebucht, heißt es am Telefon, „aber Sie können sich auf eine Warteliste setzen lassen“. Dennis Lindemann antwortet unverblümt: „Würden wir gern, aber dann ist unser Fahrgast tot.“ Kurze Pause. „Wie meinen Sie das denn?“ „So, wie ich es sage, ich rufe ja nicht zum Spaß an.“ 
Lindemann bleibt hartnäckig und erreicht schließlich sein Ziel. Der ehrenamtliche Behindertenbeauftragte des BVB vermittelt ihm den Kontakt zu einem Pärchen aus Rheinland-Pfalz, große Dortmund-Fans, die zum Mittwochsspiel nicht anreisen können und ihre Dauerkarten zur Verfügung stellen. 

Und die Begleitpersonen? „Die haben wir kurzerhand im Dortmunder Malteser-Sanitätsdienst untergebracht. Wir konnten sie ja nicht vor dem Stadion stehen lassen.“ Ganz anders bei Bayern München: „Dort habe ich angerufen, wurde mit der persönlichen Assistentin von Karl-Heinz Rummenigge verbunden, und zwei Tage später waren die Tickets da. Völlig unkompliziert.“ 

Dennis Lindemann, 29 Jahre alt und gelernter Kaufmann, arbeitet auf der Malteser-Rettungswache in Bramsche. Rettungs- und Notfallsanitäter, das ist jetzt sein Beruf. Ehrenamtlich erfüllt er Wünsche – letzte Wünsche unheilbar kranker Menschen mit begrenzter Lebenszeit. Wenn also jemand ein letztes Mal seinen Lieblingsfußballverein anfeuern will, organisiert Lindemann das. Er fährt auch selbst im „Herzenswunsch-Krankenwagen“ mit und schult als Projektleiter neue Kolleginnen und Kollegen. Alles in seiner Freizeit.

Nach langer Corona-Pause freut er sich wieder über mehr Einsätze: Für eine Frau aus Wallenhorst zum Beispiel geht es im Liegendtransport zur Hochzeitsfeier ihrer ältesten Tochter nach Haltern am See. Und ein Mann aus Alfhausen möchte noch einmal seinen alten Verein besuchen, die Dampflokfreunde in Osnabrück. Auch das ist fest gebucht. Ob Lokomotivmuseen, Ausstellungen, Familienbesuche – „wir haben schon fast alles gemacht“, sagt Dennis Lindemann. 

Die Klassiker sind Fußball und Meer: Kraft tanken an den Sehnsuchtsorten, noch einmal erleben, was der Seele immer gutgetan hat. Lindemann erzählt von einer seiner ersten Fahrten, nach Dangast am Jadebusen. „Wir wussten nicht, ob wir mit der Frau, die wir abgeholt hatten, überhaupt ankommen, so schlecht ging es ihr“. Am Hafen in Dangast wartet die gesamte Familie, etwa 40 Personen. Mit einem gemieteten Kutter geht es raus zu den Seehundbänken. Dieser Tag gibt der todkranken Frau einen solchen Energieschub, dass sie es auf eigenen Beinen an Bord schafft. „Absolut beeindruckend“, sagt Dennis Lindemann, „eine wunderschöne Sache. Für solche Momente haben wir unser Projekt ins Leben gerufen.“

Erst musste der Malteser-Vorstand überzeugt werden

Oft sind es auch bescheidene Wünsche, etwa der, noch einmal die eigenen vier Wände zu sehen. Vielen Patienten im Hospiz oder auf der Palliativstation ist es wichtig, einen letzten bewussten Moment mit ihren Angehörigen zu verbringen – nicht im sterilen Krankenhauszimmer, sondern im vertrauten Zuhause. 

Die Idee des „Herzenswunsch-Krankenwagens“ ist nicht neu, als Initiator Lindemann vorschlägt, sie im Bistum Osnabrück umzusetzen. Dennoch gilt es, erst den Malteser-Vorstand zu überzeugen, denn streng genommen handelt es sich um einen Krankentransport, der viele rechtliche Fragen aufwirft: Wer darf überhaupt fahren? Welche Qualifikationen sind nötig? Was passiert, wenn ein Fahrgast unterwegs stirbt oder Medikamente braucht? Wer trägt die Kosten? „Rettungs- und Notfallsanitäter sind darauf gepolt, Leben zu retten. Sterbende Menschen zu begleiten – das war eine völlig neue Situation für sie.“

Der „Herzenswunsch-Krankenwagen“ ist für alle da, die nicht mehr selbst ins Auto steigen oder im Rollstuhl sitzen können, die beatmet werden müssen oder ständig Morphium gegen die Schmerzen brauchen. Trotzdem bleiben manche Wünsche unerfüllbar: wenn die Erkrankung schon zu weit fortgeschritten ist, wenn das Ziel im weiter entfernten Ausland liegt oder jemand zur Sterbehilfe in die Schweiz gefahren werden will. „Das müssen wir aus organisatorischen und ethischen Gründen leider ablehnen.“ Die Sorge, sich einen Ausflug finanziell nicht leisten zu können, sei hingegen unbegründet, sagt der Projektleiter, „unser Problem ist eher, dass die Leute nichts von uns wissen, vor allem im ländlichen Bereich, wo noch viel zu Hause gepflegt wird“.

Nach letzten Wünschen zu fragen, wenn ein Mensch im Sterben liegt – das bedeutet, den nahenden Tod zu akzeptieren. Dennis Lindemann spricht von einem Gefühlsmix: „Ich erlebe unfassbar traurige Momente, wenn es Krebspatienten in meinem Alter sind oder Eltern, Mitte 40, deren Kinder mit im Wagen sitzen.“ Es gibt aber auch „die Glücksmomente, die noch einmal ein Lächeln ins Gesicht zaubern“ und die Schmerzen erträglicher machen. 

Fischbrötchen: kleine Geste, große Wirkung

An einen dramatischen Fall erinnert er sich besonders. Der Patient kommt mittwochs mit Oberbauchbeschwerden ins Krankenhaus, wird einen Tag später operiert und mit Metastasen im gesamten Körper auf die Palliativstation verlegt. „Wir hatten geplant, ihn am Samstag noch einmal nach Hause zu fahren, aber daraus wurde nichts mehr, er starb am Morgen.“ Lindemann hält kurz inne, sagt dann: „Das gibt mir schon zu denken. Krankheit kann ohne Vorwarnung über mich hereinbrechen, und innerhalb von vier Tagen kann alles vorbei sein.“ 

Dennoch ist er motiviert und verspricht: „Unsere Fahrgäste werden keinem unfreundlichen und schlechtgelaunten Menschen begegnen, weil es kein Job ist, für den sie bezahlt werden, sondern ein Ehrenamt. Diejenigen, die sich samstags oder sonntags Zeit nehmen, um mit einem wildfremden Menschen zehn, zwölf oder 14 Stunden zu verbringen, machen das aus Leidenschaft.“ 

Einmal parkt das Malteser-Team auf einer Hafenfläche an der Nordsee und eine Kollegin geht in einem Fischladen auf die Toilette. Der Inhaber fragt nach dem Herzenswunsch-Krankenwagen, kommentiert das Ganze aber nicht weiter. Wenig später bringt er ein Tablett mit Fischbrötchen raus: „Das möchte ich Ihnen mitgeben, weil ich es toll finde, was Sie hier machen.“ Kleine Geste mit großer Wirkung. „Das sind die Momente, die Spaß machen“, sagt Dennis Lindemann. „Wenn Leute wertschätzen, was wir tun, ist das Bezahlung genug.


Zur Sache

Seit 2016 erfüllen die Malteser auch im Bistum Osnabrück kranken und sterbenden Menschen kostenlos und ehrenamtlich letzte Wünsche mit dem „Herzenswunsch-Krankenwagen“.

Als Vorbild diente das Projekt „The Wish Ambulance“ aus Israel und ein vergleichbarer Dienst der Malteser in Leverkusen. Inzwischen gibt es mehrere Fahrzeuge im Bistum, die jeweils mit einem Rettungssanitäter, einem Fahrer und einer qualifizierten Kraft aus dem Hospizbereich besetzt sind. 

Bei einem Einsatz werden die Krankenwagen aufgerüstet, unter anderem mit einer Langstreckentrage, Halterungen für ein Beatmungsgerät, einem Tablet zum Filme schauen sowie Spielen, Kuscheltieren und Büchern für junge Patienten.

Weitere Infos, auch zum Spendenkonto, gibt es hier.

Anja Sabel