Bechers Provokationen
Habt Demut, ihr Experten!
Diese Provokationen suchen nach der Glut unter der Asche, nach dem Kern der Botschaft, nach dem Feuer im Herzen. Heute geht’s um Soziologendeutsch in Strategiedebatten. Und um die spannende Frage, wer denn hier Experte ist. Von Johannes Becher.
Ganz ehrlich: Soziologen-Deutsch ist oft noch faselnder als Theologen-Vokabular. Der Gipfel aber wird erreicht, wenn sich beides mischt. Kostprobe gefällig? Zum Beispiel diese: „Ohne Zweifel bieten die Weltsicht und das Instrumentarium von Effectuation echte Inspirationschancen für Kirchenentwicklung und Pastoralinnovation. Die Methode führt mit etwas Geschick aus den Pfadabhängigkeiten einer planend organisierenden Versorgungskirche heraus und aktiviert nicht nur theoretisch, sondern operativ Talente und Ressourcen einer breiteren Basis an Getauften und Ungetauften im Gottesvolk.“
Gesegnet, wer das verstehen kann. Die Frage bleibt: Wer? Wer das wissen will im Volk Gottes. Aber gerade die aus dem Volk sollen ja alle mitgehen.
Das Grundproblem: Studierte Experten verständigen sich in ihrem je eigenen Vokabular über die Herausforderungen. Zum Beispiel, wie sich eine Kirche mit weniger Hauptamtlichen und weniger Geld, und zugleich mit gestiegenen Erwartungen an ehrenamtlich Engagierte und deren Mitbestimmung organisieren lässt. Dann gibt es Pläne, Strukturdebatten, Kundschafter-Reisen und Erprobungsprojekte. Aber selten hat sich jemand Gedanken gemacht um die Vermittlung: Wie sage ich es – verständlich – jenen, die nun gefragt werden, gerufen sind, beauftragt, die sich mit ihren Charismen einbringen wollen sollen und können dürfen?
Nur zum Vergleich (damit klar wird, wie schwierig die Herausforderungen hier sind): Der Oberarzt setzt den Schnitt an – obwohl ich längst nicht alles verstanden habe, was er tun wird und was aus seiner Sicht nötig ist, damit es mir wieder gut geht. Ich muss (ihm) glauben! Und vertrauen.
In der Kirche ist es anders. Heute jedenfalls. Und: Gott sei Dank! Alle Getauften und Gefirmten sind berufen mitzugehen. Sind „Mit Kopf und Herz und Hand dabei“, wie vor Jahren mal ein Slogan zur Pfarrgemeinderatswahl versprach. Das verschärft das Grundproblem: Da sind also solche, die sich als Profis um Lösungen kümmern. Das ist ihr Beruf. Sie entwickeln die Theorien, entwerfen Thesenpapiere. Und das ist ja gut und richtig so. Nur: In welchem Tempo und mit welcher Leidenschaft sodann all jene mitgehen können und wollen im Volk Gottes, die gebraucht werden für die ersonnenen Lösungen? Das wird ganz wesentlich davon abhängen, wie verständlich Wissen vermittelt wird. Und wie es erfahrbar (gemacht) wird.
Vielleicht gäbe es noch einen anderen Weg: Den Raum offen lassen für Eigendynamik – in den Gemeinden, Gruppierungen, Hauskreisen, Verbänden … Nicht immer alles in einem Masterplan mit Stichtag verordnen, sondern auf den Glaubenssinn des Volks vertrauen. Dann gilt es Ungleichzeitigkeiten auszuhalten, vielleicht läuft einiges in verschiedene Richtungen. Aber sind denn nicht alle Getauften letztlich die Experten für (ihr) Glaubensleben?
Gewiss: Auch dann werden „praktizierende Katholiken“ nach der hauptamtlichen Stimme fragen oder den gelehrten Blick des geweihten Hauptes suchen (und wenn keiner da ist, wird sich eine Laien-Lösung finden!). Es wird weiterhin bemühte Sitzkreise geben, die sich um ein Seidentüchlein drapieren und bei kleiner Flamme Kreativität in Dosen packen. Es wird sie geben, die Gruppen, die lautstark Reformstau rufen und mit ihrem Latein am Ende sind, bevor ihnen jemand zuhören mag.
Aber! Nur so geht es. Mit Geduld. Mit Vielfalt. Mit Zutrauen in Denken und Fühlen der willigen Getauften. Das entlässt die Fachleute nicht aus der Pflicht zum Vordenken. Aber es gibt Zeit zum Übersetzen. Und zum Nachholen der Seele … Es wäre für alle „Experten“ auch eine Übung der Demut. Und das ist ja gut katholisch.