Gegen den Fachkräftemangel

Hohe Durchhalte-Quote

Image
Fachkräftemangel
Nachweis

Fotos: adobestock / mrmohock

Caption

Der schulische Unterricht stellt hohe Anforderungen an die jungen Menschen aus Marokko.

Pflege-Azubis aus Nicht-EU-Staaten: Die Caritas Westerwald-Rhein-Lahn hat vor anderthalb Jahren eine Offensive gestartet gegen den Fachkräftemangel – mit jungen Menschen aus Marokko. Wie sind die Erfahrungen?

Stefanie Krones ist voll des Lobes: „Wir machen fast ausschließlich positive Erfahrungen, sowohl in der stationären als auch in der ambulanten Pflege“, sagt die Direktorin  des  Caritasverbands Westerwald-Rhein-Lahn. „Die alten Menschen nehmen eine Mentoren-Rolle ein und erklären den Azubis das Leben in Deutschland. Sie sind oft bezaubert und begeistert und beobachten genau die Fortschritte ihrer Schützlinge.“


Anstrengender Weg der Integration


Die „Durchhaltequote“ der jungen Menschen aus Marokko sei „wesentlich höher als bei Auszubildenden aus der Region“, hat Stefanie Krones festgestellt. „Einige wenige sind in andere Bundesländer gegangen, um dort die Pflegeausbildung fortzusetzen. Aus der ersten Gruppe sind 13 von 18 noch bei unserem Verband, aus der zweiten Gruppe setzen 15 von 20 ihre Ausbildung bei uns fort.“ In diesem Jahr kämen sieben neue Azubis an, „und für 2024 sind bereits sechs Kandidatinnen vorausgewählt“, berichtet sie. Die erste Gruppe wird im Sommer und Herbst 2024 ihre Ausbildung beenden, die zweite Gruppe im Folgejahr. „Alle, die das erste Ausbildungsjahr absolviert haben, haben von uns schriftlich ein verbindliches Angebot für eine Übernahme unbefristet und in Vollzeit erhalten“, ergänzt die Caritasdirektorin.
„Die jungen Menschen wissen, dass es ein langer und mitunter auch anstrengender Weg der Integration und der Ausbildung ist“, so ihre Erfahrung. Der schulische Unterricht sei anspruchsvoll, die Prüfungen „nicht ohne“. „Dennoch erleben wir die Azubis als engagiert und zielorientiert. Manchmal benötigen sie auch Zuspruch und Aufmunterung. Aber wem geht das nicht so?“ Die meisten von ihnen möchten nach der Ausbildung bleiben. „In der Branche besteht das Vorurteil, dass kein echtes Interesse an der Ausbildung besteht. Das haben wir nur im absoluten Ausnahmefall erlebt.“
Das größte Problem der jungen Menschen aus Marokko sei der Einstieg in den schulischen Unterricht, der in Deutschland ganz anders sei als in ihrem Heimatland. „Es kommt nicht auf’s Auswendiglernen an, sondern es müssen eigene Leistungen erbracht werden, zum Beispiel die Erstellung eines Dossiers“, berichtet Krones. „Das ist eine hohe Anforderung, wenn Deutsch nicht Muttersprache ist.“ Deswegen habe die Caritas die schulische Ausbildung und die „Nachhilfe“ stärker zur betrieblichen Aufgabe gemacht.  

Offenheit und Verlässlichkeit bilden die Grundfeste des Teams.

Nadine Heil, Ausbildungsleiterin


Krones stellt fest, dass die Mitarbeiterschaft in manchen Pflegeeinrichtungen zum Teil geprägt sei von der Haltung „Uns wurde auch nichts geschenkt“. Die Direktorin: „Hier ist noch viel Information, Mitnehmen und Change-Management gefragt.“
Nadine Heil ist als Pflegepädagogin und Ausbildungsleiterin Ansprechpartnerin für alle Pflegeauszubildenden der Caritas Westerwald-Rhein-Lahn. Diejenigen, die Deutsch als Zweitsprache lernen, unterstützt sie im Spracherwerb, vertieft mit ihnen das Wissen, das ihnen die Pflegeschule vermittelt. „Wir alle wollen fachlich gute, freundliche und einsatzbereite Mitarbeiter“, betont sie. „Dann müssen wir sie auch selbst ausbilden.“
Ob sie sich hier gut integriert fühlen, hat sie die jungen Menschen aus Marokko gefragt. „Die Antwort war folgende: ,Innerhalb unserer Einrichtungen gehören wir dazu und fühlen uns unterstützt und angenommen. Leider sieht es im Alltag manchmal anders aus. Gerade Menschen mit Migrationshintergrund oder ältere Menschen außerhalb der Pflegeeinrichtung neigen dazu, uns anzufeinden’“, zitiert Nadine Heil. 
Behördengänge, Erwerb des Führerscheins, Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel, die Ferne zur Heimat und die Andersartigkeit des Alltags in Deutschland führten erst einmal zu einer Überforderung. „In vielem versuchen wir, zu unterstützen. Wir haben es mit erwachsenen und mündigen Menschen zu tun, deren Selbständigkeit wir fördern wollen. Die Wege dahin gehen sie aber häufig schon von sich aus“, berichtet sie.


Transformationsprozess für die Gesellschaft 


Die Mitarbeitenden in den Pflegeteams hätten gelernt, „geduldig zu erklären, um Verstehen zu ermöglichen“. Die verschiedenen Kulturen hätten sich mit ihren unterschiedlichen Auffassungen beschäftigt und dabei Gemeinsamkeiten festgestellt – „zum Beispiel, dass Offenheit und Verlässlichkeit die Grundfeste des Teams bildet“, erläutet Nadine Heil.
Als der Caritasverband Westerwald-Rhein-Lahn vor anderthalb Jahren seine Pflegeoffensive startete, hat Caritasdirektorin Stefanie Krones darauf verwiesen, dass es dafür „nicht nur gute Arbeitgeber, sondern auch freundliche Vermieter, wohlwollende Nachbarn, nette Unterstützung von allen Seiten“ brauche. Mittlerweile bezeichnet sie diesen Weg als „gesellschaftlichen Transformationsprozess“. Die gesamte Gesellschaft müsse im wahren Sinn des Wortes „gastfreundlicher“ werden. „Ich beobachte an vielen Stellen, dass unsere Mitarbeitenden und Mitmenschen diesen Weg gerne und engagiert mit uns gehen“, hat Krones festgestellt. Ihr Fazit: „Integration ist ein Langstreckenlauf. Manches hat sich bereits erfüllt, manches müssen wir noch trainieren.“
Das Beispiel der Pflegeoffensive der Caritas Westerwald-Rhein-Lahn hat Schule gemacht, inzwischen gehen auch andere diesen Weg. Der Caritasverband Rhein-Sieg hat bereits Auszubildende eingestellt, die Caritasverbände aus dem Bistum Mainz haben Bewerbungsgespräche mit Azubis aus Marokko geführt. 

Heike Kaiser