Interview mit Professor Richard Hartmann

„Kirche ist nur einer der Player“

Hunderttausende verlassen die Kirche. Auch kirchennahe Menschen gehen immer öfter diesen Schritt.Warum? Im Interview: Richard Hartmann, Professor für Pastoraltheologie an der Theologischen Fakultät Fulda.

Richard Hartmann Foto: privat
Professor
Richard Hartmann
Foto: privat

Warum entfremden sich Menschen von der Kirche? Welche Rolle spielen Skandale?

Es ist schon erschreckend, dass auch im Kreis der Menschen, die lange einen Weg mit Gott und seiner Kirche gehen, immer deutlicher gefragt wird, ob sie in der Kirche bleiben sollen.
Sie haben persönlich bittere Erfahrungen gemacht; sie erschrecken über schlimme Erfahrungen im Missbrauchsskandal und dessen Bearbeitung; sie sind enttäuscht über den Reformstau zu Themenfeldern wie zum Beispiel Gender, die Zulassung zu Ämtern, Sakramentendisziplin, Mitsprache und -verantwortung. Dieser Reformstau müsste längst gebrochen werden.

Doch ist dies nur der kleinere Teil derer, die mit der Kirche in Spannung leben, sie verlassen haben oder wollen. Diese lange engagierten und suchenden Menschen werden auch kaum andere zur Kirche gewinnen wollen.
Der größere Teil entscheidet irgendwann, dass für ihn die Bedeutung der Kirche so gering geworden ist, dass er ihr den Rücken kehrt. Aus Angst vor der Hölle bleibt heute kaum einer in der Kirche.

Aber die Kirche hat mehr zu bieten als das Thema Hölle ...

Die rituelle Gestaltung von Lebenswenden haben längst – zum Teil noch professioneller – zivile Trauerbegleiter und Hochzeitsmanager übernommen. Für die Sicherung gesellschaftlichen Wertekonsenses ist die Kirche nur einer der Player.
Auch das Bedürfnis von vertiefender Besinnung und „Spiritualität“ wird längst nicht mehr allein durch die Kirchen gedeckt. Der Markt der geistlichen Orientierungen ist vielfältiger. Und um besinnliche Tage im kirchlichen Umfeld mitzumachen, muss ich ja kein Mitglied sein. Die Freiheit zur Teilnahme ist groß – und das ist gut so.

Was muss die Kirche aus Ihrer Sicht tun?

Es wird darauf ankommen, dass die Verantwortlichen in unserer Kirche umdenken:

  • Sie müssen bescheiden sein im Auftreten, da sie ihre eigene Umkehrnotwendigkeit immer neu durchbuchstabieren müssen.
  • Sie sollten vorsichtig sein, zu behaupten, sie hätten etwas anzubieten, das alle Menschen brauchen, und das sie allein „vermitteln können“.
  • Sie können neu lernen hinzuhören, was Gott ihnen durch die Menschen sagt, die ihnen begegnen. Und wenn sie wie Jesus fragen: „Was willst du, dass ich dir tue?“, dann werden sie spüren, dass sie das längst nicht alles leisten können, was erwartet wird.
  • Sie sollten radikal zeigen, dass sie nach den Menschen suchen, dass sie Interesse an ihnen haben – nicht, weil sie sie einspannen, sondern, weil Gott Interesse an ihnen hat.


Fragen: Sarah Seifen

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