Interview mit Pfarrer Matthias Eggers und Christiane Kreiß

Leitung auf Augenhöhe

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Seit zwei Jahren wird die St.-Petrus-Gemeinde in Wolfenbüttel von einer Doppelspitze geführt. Die Leitungsaufgaben teilen sich Pfarrer Matthias Eggers und Christiane Kreiß, die viele Jahre als Dozentin am Niedersächsischen Studieninstitut Verwaltungskräfte für Kommunen und Land ausgebildet hat.


Wie kam es zu dieser Leitungs-Doppelspitze?

Kreiß: Seit zwei Jahren habe ich diese Stelle, die eigentlich als reine Verwaltungsstelle gedacht war. Aber es hat sich dann doch anders entwickelt.

Eggers: Die Verwaltungsstelle als solche war vorher da und sollte besetzt werden. Aber ich bin von Anfang an an den Bischof herangetreten und habe ihn gebeten, Frau Kreiß für den Bereich der Leitung einzustellen. Das hat dann aber nicht der Bischof entschieden, sondern der Generalvikar hat gesagt, dass das vor Ort in der Gemeinde entschieden werden müsse. So hat Frau Kreiß dann auch hier angefangen – mit mir zusammen als Doppelspitze auf Augenhöhe. Hintergrund der Bitte war die Tatsache, dass eine ganze Diakonenstelle und eine halbe Priesterstelle nicht besetzt waren und ich als einziger Priester für die große Pfarrei den liturgischen, seelsorglichen und administrativen Aufgaben, die an der Leitung hängen, nicht mehr gerecht werden konnte. Seit zehn Jahren habe ich das Bistum immer wieder gebeten, die Diakonenstelle zu besetzen. Nun bin ich dem Bistum für diese Lösung sehr dankbar und es gibt ja auch eine neue Berufsgruppe: Die in der Pastoral Mitarbeitenden. Aus der Not ist also eine Tugend geworden.

Wie hat die Gemeinde die Doppelspitze aufgenommen?

Kreiß: In der Gemeinde erlebe ich allgemein Zustimmung. Ich bin in der Gemeinde bekannt, habe lange Jahre im Vorstand vom Kirchortsrat St. Petrus und im Pfarrgemeinderat mitgearbeitet. Man kannte mich also und ich kannte die Pfarrgemeinde. Das war natürlich von Vorteil. Mir schlägt viel Wohlwollen entgegen und ich werde auch in vielen Bereichen als Leitungsperson angefragt und akzeptiert. Was allerdings in vielen Köpfen bleibt ist, der Pfarrer ist der Pfarrer. Das gibt es auch. Und es wäre naiv, zu denken, dass das Bild vom Pfarrer als Leiter der Gemeinde von heute auf morgen verschwinden würde. Und es gibt auch ganz bestimmte Situationen, da will jemand den Pfarrer sprechen und das akzeptiere ich natürlich auch. Schließlich hat der Pfarrer eine wichtige Position, als der, der den Gottesdiensten vorsteht. Und viele Menschen wollen sich an ihn wenden – auch, wenn es sich um Dinge handelt, wo es nicht unbedingt des Pfarrers bedarf.

Eggers: Das liegt natürlich auch daran, dass sie sich vorher mit allem an mich wenden mussten. Das jetzt Frau Kreiß da ist und wir auch Zuständigkeiten untereinander aufgeteilt haben, daran müssen sich einige erst noch gewöhnen. Aber, dass sie hier soviel Zustimmung bekommt, liegt nicht daran, dass sie eine Frau ist, sondern weil sie kompetent ist. Sie bringt viel Wissen und Erfahrung aus der Verwaltung mit, was für uns ein großer Gewinn ist. Und sie ist jemand, die für ihre ausgleichende und sachliche Art sehr geschätzt wird, auf die Verlass ist und die sich dann auch tatsächlich kümmert. Ihre Qualifikation spielt bei der Akzeptanz eine große Rolle. Und so ist sie für mich eben eine große Hilfe.

Wie sieht die Arbeitsteilung in der Doppelspitze denn konkret aus?

Kreiß: Grundsätzlich besprechen wir alle Fragen gemeinsam, damit wir sicher sind, der andere trägt das mit. Und dann gibt es natürlich so etwas wie eine Aufteilung. Da ist natürlich klar, dass alles, was mit dem Weiheamt zusammenhängt, beim Pfarrer verortet ist und ebenso das, was im Bereich Seelsorge anfällt. Bei mir angesiedelt sind die Bereiche Öffentlichkeitsarbeit, Bauvorhaben, die ich koordiniere, ein großes caritatives Projekt, das ich hier in der Gemeinde leite, und alles rund um die Verwaltung. Und trotzdem, wenn es irgendwo knirscht, wenn es um die Gottesdienstordnung über Ostern geht oder ich das Gefühl habe, dass eine Sache gerade zu groß für mich wird oder etwas finanziell aus dem Ruder zu laufen droht, dann besprechen wir uns gemeinsam und suchen gemeinsam nach einer Lösung. Aber wichtig ist das regelmäßige Gespräch, um zu sehen, was geschieht bei dir, was geschieht bei mir. So können wir uns gegenseitig beraten.

Eggers: Wir sind vom Typ her eher unterschiedlich und haben unterschiedliche Sichtweisen. Aber gerade dadurch entsteht auch eine neue Weite in der Betrachtung. Das ist zugleich eine Herausforderung, aber auch gut.

Aber im Klartext heißt das ja auch, dass Sie als Pfarrer Macht teilen mussten. Ist das schwer gefallen?

Eggers: Also theoretisch ist das ganz einfach, de facto ist es dann aber eine Herausforderung. Erst einmal ist es toll, zu sagen, wir machen das gemeinsam. Aber dann, wenn es konkret wird, muss man auch bereit sein, Entscheidungen des anderen zu akzeptieren, obgleich man es selbst vielleicht anders gemacht hätte. Und da muss man in den Tälern des Alltags immer wieder drum ringen. Mein Vorteil war natürlich, dass ich Frau Kreiß schon über viele Jahre kenne und wusste, auf was ich mich einlasse. Und da ist dann die Frage: Wie ist das, wenn man sich nicht so gut kennt? Was passiert dann in der Leitung? Das sind Fragen, die man bei so einer Doppelspitze mitbedenken muss. Aber auch für die Zukunft würde ich immer an einem solchen Modell festhalten wollen. Ich bin auf den Geschmack gekommen und möchte diese positiven Aspekte nicht mehr missen.

Welchen Stellenwert hat bei der Installierung der Doppelspitze die Entlastung von Verwaltungsaufgaben zugunsten der Seelsorge gespielt?

Eggers: Dieser Punkt wird viel zu wenig thematisiert. Die institutionelle Überforderung, die mit der Gemeindefusion zusammenhängt und mit der zunehmenden Bürokratisierung unserer Gesellschaft, – das fliegt uns ja an vielen Stellen gerade um die Ohren. Es ist leicht, neue Gesetze und Verordnungen zu Datenschutz, Arbeitssicherheit oder Prävention zu erlassen, setzt aber viel Arbeit voraus, damit es gut gemacht und dann auch gut umgesetzt werden kann.

Es gibt jetzt im Rahmen der Aufarbeitung von Machtmissbrauch und sexualisierter Gewalt Studien, die darauf aufmerksam machen, dass es in bischöflichen Verwaltungen mitunter eine Kultur der Verantwortungslosigkeit und des Chaos gibt. Und das ist auf der Ebene der Pfarrei ja nicht viel anders. Deshalb ist es natürlich super, dass ich hier jetzt eine Dozentin für Verwaltungsrecht habe, die die Probleme erkennt und klare Strukturen schafft – zum Beispiel in Sachen Datenschutz oder Prävention. Da brauchen wir kompetente Fachleute so wie Frau Kreiß.

Erschreckend finde ich, dass der Terminkalender von Frau Kreiß genauso voll ist wie meiner und dennoch Sachen unerledigt bleiben, weil keine Zeit dafür da ist. Da frage ich mich, wie war das vorher, als es noch keine Doppelspitze, noch keine Entlastung für mich gab?

Kreiß: Man darf nicht vergessen, dass moderne Pfarreien heute sehr komplexe Systeme sind, mit vielen Erwartungen, die erfüllt werden sollen. Und da ist das klassische Gebilde von Pfarrer, Pfarrsekretärin und Gemeindereferentin sehr eng. Irgendwann sind mit Firmung, Erstkommunion, Prävention und, und, und die Kapazitäten einfach ausgeschöpft. Da ist kein Raum mehr dafür da, alles zu machen. Im Grunde sind die Gemeinden personell viel zu schwach ausgestattet für die Aufgaben, die sie zu erfüllen haben. Und das Problem von Leitung ist: Wenn ich keinen habe, der es macht, muss ich es selber machen.

Aber wie sieht das denn rechtlich aus? Wer trägt letztendlich die Verantwortung?

Kreiß: Das, was ich hier machen darf, liegt daran, dass Pfarrer Eggers freiwillig Verantwortung an mich abgegeben hat. Er entscheidet oder hat entschieden, dass er mir dies überträgt. Rechtlich gesehen ist er mein direkter Dienstvorgesetzter.

Eggers: Aber ich möchte noch ergänzen, dass zu diesem Recht auch die Satzungen von Kirchenvorstand und Pfarrgemeinderat gehören. Und da ist ganz klar beschrieben, dass die alleinige Macht nicht beim Pfarrer liegt. Da gibt es die hierarchische und die synodale Struktur. Daraus ergibt sich, dass der Pfarrgemeinderat Anteil an der Leitung hat und im niedersächsischen Konkordat ist festgeschrieben, dass der Kirchenvorstand den Pfarrer sogar überstimmen kann. Es heißt zwar immer, der Pfarrer bestimmt, wo es lang geht. Aber das wird der Wirklichkeit nicht gerecht. Für mich war schon immer klar, ich kann eine Gemeinde nur leiten, wenn es im Konsens von mir und den Gremien geschieht. Und ich kann mir nicht besser das Wasser abgraben, wenn ich mich nicht um dieses Einvernehmen bemühe. Das heißt, die Pfarrei wird von mehreren geleitet. Und das ist auch rechtlich so vorgegeben.

Wenn es einmal hart auf hart kommt, bin ich natürlich als Pfarrer für alles, was hier passiert, gegenüber dem Bischof verantwortlich – auch juristisch gesehen als Körperschaft des öffentlichen Rechtes. Das stimmt, es muss am Ende einer dafür einstehen. Aber diese Letztverantwortung kann nicht dazu führen, dass man immer sagt, und der Pfarrer leitet die Pfarrei.

Kreiß: Und das möchte ich noch einmal unterstreichen: Hier passiert nichts gegen den Willen der Gremien. Und rein rechtlich ist das Leitungsgremium der Gemeinde natürlich der Kirchenvorstand.

Wenn überall nach diesen Vorgaben gearbeitet würde, würde es dann auch weniger Machtmissbrauch in der Kirche geben?

Kreiß: Das würde ich so sagen. Wenn alle Pfarrgemeinderäte von ihren Rechten Gebrauch machen würden, auch mal sagen würden „so geht es nicht“ und nicht darauf vertrauen würden, dass der Pfarrer schon weiß, wie es richtig ist, dann hätten wir weniger Machtmissbrauch in der Kirche. Definitiv.

Eggers: Das würde ich auch so sehen. Die Satzungen sind gar nicht so schlecht und geben viel Raum. Aber stecken zum Teil immer noch in den alten Bildern von „Hochwürden“ und sind da immer noch nicht raus. Ich selber an manchen Stellen auch nicht. Ich ertappe mich da auch manchmal. Die Bilder aus der Kindheit sind da sehr nachhaltig. Und zum Teil ist das auch in der Liturgie verankert.

Kann man die Doppelspitze in St. Petrus als Erfolg bezeichnen?

Eggers: Auf jeden Fall. Der institutionalisierte Dialog in der Leitung weitet den Blick, ist katholischer.

Kreiß: Auch aus meiner Sicht ist es ein Erfolg. Es ist eine super Möglichkeit, verschiedene Sichtweisen zusammenzubringen und dadurch Leitung auf eine breitere Basis zu stellen.

Interview: Edmund Deppe
 


 

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