Urlauberseelsorge an der Nord- und Ostsee

Lobpreis bei Wind und Wetter

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Menschen sitzen auf Stühlen und Strandkörben im Kreis
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Foto: Martina Albert

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In Cuxhaven gibt es von Juni bis Ende September Strandkorbandachten mit Blick auf das Meer.

Ferien – das heißt: durchatmen, auftanken, Zeit haben. Zeit nimmt sich auch die Urlauberseelsorge an der Nord- und Ostsee für die Menschen. Ganz offen, zugewandt, persönlich. Zum Beispiel in Norddeich, Cuxhaven und Eckernförde.

Das Wetter an diesem Sonntag könnte besser sein. Grau in Grau ist der Himmel über Norddeich, und der kühle Wind lässt eher an den Herbst als an den Sommer denken. „Wir wagen das trotzdem“, sagt Julia Kampsen, zieht die helle Albe über und verteilt mit Christiane Elster Liederzettel.  Es ist fast 10 Uhr – Zeit für den ökumenischen Familiengottesdienst direkt am Strand. Blendet man die Regentropfen im Gesicht aus, könnte der Standort kaum schöner sein. Sogar eine kleine Glocke läutet die Gäste herbei. Und das sind mehr als andernorts in manchem Hochamt. Über 60 Männer und Frauen, Kinder und Jugendliche sitzen auf den einfachen Bänken und Holzstühlen. „Herzlich willkommen an alle, die gekommen sind“, sagt Julia Kampsen lächelnd.

Am Kirchenstrandkorb in Norddeich

Eine Gruppe Menschen sitzt in Regenjacken am Strand
Die Urlauberseelsorge an der Küste in Norddeich und auf den Inseln in Ostfriesland wird ökumenisch organisiert. Foto: Petra Diek-Münchow

Julia Kampsen ist katholische Pastoralreferentin, Christiane Elster lutherische Pastorin. Die beiden Frauen, weitere Kolleginnen und Kollegen kümmern sich in ökumenischer Verbundenheit um die Urlauberseelsorge an der Küste und auf den Inseln in Ostfriesland. Der Strandgottesdienst, einer von vier bis Ende August, zählt zu den weit über 120 Veranstaltungen, die Haupt- und Ehrenamtliche für Touristen und natürlich auch Einheimische anbieten. Bei der „Seelsorge am Meer“ im Bistum Osnabrück gibt es im Sommer ein buntes Potpourri: Andachten, Konzerte, Lesungen, Ausstellungen, Meditationen, Spaziergänge, Singrunden. Und ein offenes Ohr für alle, die einfach nur mal reden möchten. Dafür steht ein Kirchenstrandkorb in Norddeich.

Zu dem jeder einfach kommen darf. Die Urlauberseelsorge will sich weder aufdrängen noch missionieren. „Umgekehrte Gastfreundschaft“, nennt Kampsen eines der Prinzipien. „Wir machen uns zu Gast an den Orten, die die Menschen für sich ausgewählt haben. Ohne Absicht, wir sind einfach da.“ Wie beim Strandgottesdienst. Unaufdringlich lädt Kampsen über das Mikro dazu ein. Der gar nicht mal so laute Ton erreicht sicher nicht alle Strandgäste an diesem stürmischen Vormittag. Manche bleiben auf der Promenade einen Moment stehen, hören kurz zu und gehen dann weiter. Andere setzen sich hin und bleiben bis zum Ende – wie ein Ehepaar aus der Schweiz, eine Familie aus Hessen, Urlauber aus Düsseldorf und Bielefeld. Auch Gudrun Herzog aus Darmstadt hat Platz genommen – wieder einmal. „Wir machen seit 1987 regelmäßig Ferien in Norddeich und seitdem komme ich zum Gottesdienst hierher“, sagt sie. „Das gehört für mich einfach dazu.“ Gesang und Gebet an der frischen Luft und direkt an der See: Das mag sie.

Wer nutzt sonst die Angebote der Urlauberseelsorge? Da spürt das Team die Unterschiede zur klassischen Ortsgemeinde. „Natürlich kommen Leute zu uns, die mit Kirche verbunden sind, denen ihr Glaube sehr wichtig ist, die sich zu Hause engagieren“, erklärt Kampsen. „Aber wir treffen auch viele, die schon lange damit abgeschlossen haben – die gar nicht mehr da sind.“ Trotzdem spürt sie bei ihnen eine Sehnsucht nach Spiritualität, nach Auszeiten mit Sinn, nach Antworten auf Lebensfragen. Und das in einem geschützten Raum einer gewissen Anonymität. „Wir sind eine Gemeinde auf Zeit“, sagt die Pastoralreferentin. „In der nächsten Woche sind ganz andere Leute da und keiner erwartet, dass man wiederkommt.“ Mit „Fremden“ redet es sich einfacher über Sorgen und Zweifel, die auf Herz und Seele lasten. Dabei erzwingen die Urlauberseelsorgerinnen und -seelsorger solche Themen keinesfalls. Nicht selten passiert das eher zufällig beim freundlichen „Hallo“ am Kirchenstrandkorb oder bei kurzen Tür-und-Angel-Gesprächen bei anderen Veranstaltungen. „Das ist das Tolle an dieser Aufgabe“, findet Kampsen. „Wir können für die Menschen konkret in ihrer Situation da sein.“

Auch der Strandgottesdienst tut den Besuchern offensichtlich gut. Erst zaghaft, dann lauter singen und beten sie mit. Hören mit einem Schmunzeln die Geschichte von „Willi, dem Wattwurm“ und danach mit nachdenklichen Gesichtern die Dialogpredigt über Vielfalt und Achtsamkeit. Empfangen am Ende den Segen und ein kleines Geschenk für zu Hause. In der nun doch aufscheinenden Sonne bleiben die Gäste nach dem Schlusslied ein paar Minuten sitzen, plaudern noch und bedanken sich bei dem Team. Gern nehmen einige das Programm mit – und vielleicht eine positive Erfahrung von Kirche. Gerade das sieht Julia Kampsen als Chance der Urlauberseelsorge. „Gerade in Zeiten, wo es sonst in Gemeinde weniger wird, müssen wir an den Orten sein, wo Menschen sind.“

 

Blick aufs Meer in Cuxhaven

Wie auch in Cuxhaven: Knallrot steht der Kirchenstrandkorb am Gründeich in der Grimmershörnbucht. Hier, keine drei Steinwürfe vom Deich und der knapp dahinter gelegenen katholischen Herz-Jesu-Kirche, liegt das Herzstück der örtlichen Urlauberseelsorge. Annemarie Höchtl ist jeden Donnerstag um 11 Uhr in der Saison von Juni bis Ende September vor Ort und lädt zu einer Strandkorbandacht mit Blick auf das Meer ein. Bis zu 30 Menschen versammeln sich dann mit Klappstühlen rund um den roten Strandkorb, um geistliche Impulse zu erhalten, zu singen und zur Ruhe zu kommen. Im Anschluss ist noch Zeit für ein Gespräch und einen Cappuccino im benachbarten Café. „Im Urlaub öffnen sich die Herzen“, sagt die 78-Jährige, die seit rund zehn Jahren die Urlauberseelsorge ehrenamtlich leitet. Die ehemalige Gemeindereferentin ist eng verwurzelt mit Stadt und Gemeinde.

Ausgangspunkt für alle Aktivitäten der Urlauberseelsorge ist die „Kirche am Meer“, wie die Herz-Jesu-Kirche auch genannt wird – das nördlichste Gotteshaus des Bistums Hildesheim. Höchtl wurde in der Kirche getauft, gefirmt und heiratete auch dort. Sie hat sich dann vor Jahren, als einmal die Schließung im Raum stand, zusammen mit anderen Menschen stark gemacht für diese Kirche. „Am Ende gelang es, die Rolle, die die Kirche für Touristen hat, deutlich zu machen und den Erhalt zu sichern.“

Erst vor knapp zwei Jahren sind das Gebäude renoviert, die Bleiglasfenster frisch gemacht, der alte Boden entfernt und neue Fenster eingebaut worden. Täglich ist die Kirche nun von 9 bis mindestens 18 Uhr geöffnet, im Sommer manchmal sogar bis 22 Uhr. Annemarie Höchtl wohnt ganz in der Nähe und findet es wichtig, dass die Kirche zugänglich ist. Zahlreiche Touristen würden sie als erste Anlaufstelle nutzen, sich hier noch vor dem Einzug in ihre Unterkünfte für die gute Anreise bedanken und dann ihren Urlaub beginnen. Ein gut gefülltes Gästebuch am Eingang zeigt das. Wer die Seiten durchblättert, entdeckt viele persönliche Bitten und Gebete, aber auch reichlich Danksagungen von Urlaubern.

Zeit zum Zuhören bei der Vesper

Wegen der guten Akustik der über 120 Jahre alten Kirche und dank des beharrlichen Einsatzes von Annemarie Höchtl als Urlauberseelsorgerin finden dort jedes Jahr bis zu 30 Konzerte statt. Sie gehören zu der Reihe „Zeit zum Zuhören“: eine musikalische Vesper jeden Freitag um 18 Uhr mit anschließendem Gottesdienst sowie „Kleine Sonntagsmusiken“ um 17 Uhr. Solche und weitere Angebote sind Annemarie Höchtl eine Herzensangelegenheit. „Ich mache es mit Leidenschaft und kann mir kein schöneres Ehrenamt vorstellen“, sagt sie. Auch wenn sie auf die 80 zugeht – weitermachen will sie noch einige Jahre, wie sie mit einem Schmunzeln verrät. „Ich mache das, so lange ich kann“, sagt sie. Dann muss sie weiter, die nächste Strandkorbandacht will vorbereitet werden.

 

Die Schäferwagenkirche in Eckernförde

Szenenwechsel, es geht an die Ostsee: In der Tourismusseelsorge im Erzbistum Hamburg wird die Ökumene großgeschrieben. In Eckernförde etwa hat der lutherische Kirchenkreis Rendsburg-Eckernförde 2019 die Schäferwagenkirche an den Strand gerollt.  Angefertigt in einer Schäferwagen-Manufaktur, ist das Gefährt ein besonderer Ort für Gottesdienste, Gespräche mit Seelsorgern oder einfach ein Raum der Ruhe; auch Taufen und Trauungen sind bei dieser mobilen Kirche möglich.

Eine Frau im weißen Gewand breitet die Arme aus und lächelt
In Eckernförde hat der lutherische Kirchenkreis Rendsburg-Eckernförde 2019 die Schäferwagenkirche an den Strand gerollt. Foto: Inga Lange/KKRE

Christen sollten „an verschiedenen Orten außerhalb ihrer Kirchengemeinde mehr zusammen ökumenisch machen, weil ihnen viele Themen ja gemeinsam sind und sie dadurch noch einmal eine andere Strahlkraft bekommen“, findet die beim Kirchenkreis für Tourismusseelsorge zuständige Pastorin Brigitte Gottuk. „Wenn Menschen zu uns kommen, erleben wir immer eine sehr positive Resonanz auf unsere ökumenische Arbeit und manchmal auch die Sehnsucht, dass es doch an anderen Orten auch so sein möge.“

Neben dem Kirchenkreis engagieren sich die örtliche lutherische, zwei weitere evangelische Gemeinden und die katholische Pfarrei. Diakon und Pastoralreferent Robert Klimek ist neu dabei, doch einige katholische Ehrenamtliche setzen sich von Beginn an für dieses Aufgabenfeld ein. Das Programm umfasst Segens-, Andachts- und Gottesdienstformate, nicht selten mit Posaunenchor. Darüber hinaus werden Schreibworkshops zu Themen wie Trauer und Demenz mit einer Autorin, Lebens- und Sterbeamme angeboten, und es gibt „tröstliche Geschichten von Wandel und Übergang“ mit einer Märchenerzählerin.

Schwere Themen bleiben nicht zu Hause

Wohlfühlthemen sind das nicht, doch die Gäste beschäftigten sich im Urlaub oft mit Fragen von Tod, Verlust, Krankheit oder Krieg, so Gottuks Erfahrung. Die Menschen ließen „ihre schweren Themen nicht einfach zu Hause, nur weil sie in den Urlaub fahren“. Im Gegenteil, in der heutigen Zeit fühlten sie sich oft belastet, sei es wegen der politisch unruhigen Zeiten oder der Nachwirkungen der Corona-Pandemie. „Menschen fühlen sich bei uns mit ihren Ängsten, Fragen und Themen ernstgenommen und gestärkt“, sagt die Theologin. Und ergänzt: „Ich mag es, wenn Menschen sich ehrlich mit solchen schweren Themen auseinandersetzen – und was kann es da Besseres geben als den Ort Schäferwagenkirche, im Horizont von Glaube, Liebe, Hoffnung?“

 

Petra Diek-Münchow, Martina Albert und Marco Heinen