Interview mit Uwe Appold

Mit Erde aus dem Garten Getsemani

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Uwe Appold lässt sich als Maler und Bildhauer schwer einordnen. Ein Besuch in seinem Atelier im Museumsdorf Unewatt ganz im Norden Deutschlands bestätigt das. Neben den üblichen Mal-Utensilien hält der Künstler dort gut 140 Bodenproben ausgewählter Orte bereit. Bei einem Werkstattbesuch  erzählt er von der Arbeit für das Hungertuch.


Der Künstler Uwe Appold lebt in Flensburg. Er hat das aktuelle
MISEREOR-Hungertuch gestaltet. | Fotos: Härtle/MISEREOR

Was schoss Ihnen als Lutheraner durch den Kopf, als Sie gefragt wurden, ob Sie die künstlerische Vorlage für das Hungertuch des katholischen Bischöflichen Hilfswerks MISEREOR liefern könnten?

Überrascht war ich schon. Aber nur positiv. Ich erlaube mir, nicht in konfessionellen Kategorien zu denken. Umso schöner, dass es die Verantwortlichen bei MISEREOR auch nicht tun. Durch den Kopf schoss mir nur die Frage: Warum ausgerechnet ich? Die Hungertücher wurden in den vergangenen 40 Jahren zum allergrößten Teil von Künstlern aus Asien, Afrika und Lateinamerika gestaltet. Ihre Bildsprache ist eine ganz andere als meine.

Der 1976 von MISEREOR wiederbelebte Brauch der historischen Hungertücher war Ihnen also schon vor dem Anruf ein Begriff?

Ja, die Aktion kannte ich. Sie fasziniert mich, weil sie so viel in sich vereint. Es geht um Glauben und um altes Brauchtum, es geht um Gerechtigkeit und Solidarität, um gesellschaftliches Bewusstsein. Und es geht um Kirche und Kunst – über konfessionelle und geografische Grenzen hinweg.

Wie lange haben Sie an dem Konzept gearbeitet, das in der Idee gipfelt, Originalerde aus dem Garten Getsemani in das Bild einzuarbeiten?
 


„Mensch, wo bist du?“ – das MISEREOR-Hungertuch 2019/20.

Der Entwurf entstand im Kern innerhalb zweier Tage. Das lag am Papst.

Wie bitte?

Ich las in der Enzyklika „Laudato Si“, der zweiten Enzyklika von Papst Franziskus aus dem Jahr 2015. Darin schreibt er von dem einen, „gemeinsamen Haus“, in dem die Menschheit zur Schicksalsgemeinschaft verschmilzt: Der Klimawandel, die Folgen der Umweltzerstörung, die soziale Ungerechtigkeit, der Hunger, die Kriege – das betrifft uns alle. Wir leben auf der Erde unter einem Dach. Da hilft auch keine Abschottungspolitik.

Ein stilisiertes Haus steht im Mittelpunkt Ihres Werkes, umgeben von einem großen, goldenen Kreis. Hätte nicht ein zerstörtes Haus besser den aktuellen Zustand der Zivilisation beschrieben?

Wohl wahr. Aber Glauben verbinde ich mit Hoffnung. Die christliche Botschaft will Mut machen. Mein Werk mag ein kleiner Beitrag dazu sein. Ich beobachte in der Gesellschaft einen wachsenden Vertrauensverlust in die Institutionen, in uns selbst. Wer die Hoffnung nicht verliert, wird sich behütet fühlen. Deswegen der goldene Kreis um das Haus.

Das Haus auf Ihrem Werk hat eine große Öffnung. Warum?

Weil es nicht fertig ist. Die ganze Menschheit muss weiter daran arbeiten. Es ist zugleich offen für alle. Es gibt keine Abschottung, kein Verschließen der Augen und der Ohren. Wir sehen nicht nur nach draußen, wir hören auch nach draußen, lauschen den Rufen der geschundenen Menschen und der Natur, uns erreicht der stumme Schrei der Erde.

Das Haus steht im wahrsten Sinne des Wortes auf ungewöhnlichem (Hinter-)Grund. In die Farbe haben Sie Erde aus dem Garten Getsemani eingearbeitet. Wie entstand diese Idee?

Als ich die Enzyklika las, spürte ich den heiligen Ernst der Worte des Papstes. Er beschwört eindrucksvoll die Bewahrung der Schöpfung. Die Erde, die ich seit vielen Jahren in zahlreichen Bildern verarbeitet habe, erzählt wie kein anderer „Werkstoff“ Geschichte. Worte wie „Mutterboden“ oder „Vaterland“ deuten die Verbundenheit an. Erde bedeutet zugleich Heimat.

Die so viele Menschen wie noch nie angesichts von Umweltzerstörung und Krieg verlieren.

Richtig. Auch deswegen hat für mich als Alt-68er der Begriff Heimat, der lange Zeit verpönt war, wieder große Bedeutung bekommen. Wir sehen mit jedem Flüchtling, was es heißt, Heimat zu verlieren. Wir erkennen, was es heißt, Heimat zu haben. Und wir stehen vor der Herausforderung, Heimat mit Fremden zu teilen. Ich weiß, Heimat ist ein endloser Begriff. Aber er ist eben auch mit Boden, mit Erde verbunden.

Warum haben Sie für dieses Bild speziell Erde aus dem Garten Getsemani verwendet? Hätte es nicht jede andere Erde auch getan?

Ich erlebe immer wieder, was bestimmte Erden von verschiedenen Orten, die ich in Bildern verarbeitet habe, bei Betrachtern auslöst. Erde aus dem Heiligen Land, dort, wo die Wurzeln der Christenheit liegen, schien mir bei dem Hungertuch-Werk naheliegend zu sein. Im Garten Getsemani begann das ganze Ostergeschehen, das der Fastenzeit mit dem Hungertuch folgt.

Erkennt das der Betrachter?

Man muss genau hinschauen. Jede Erde sieht anders aus, und jede Erde hat im ursprünglichen Zustand eine andere Konsistenz. Hinzu kommen die Spuren des Menschen, der Geschichte. Als ich für einen Bilderzyklus über die Schriftstellerin Nelly Sachs Erde aus einem Konzentrationslager verarbeitete und Asche und Frauenhaar hinzufügte, spürte ich tiefe Trauer und Demut. Vielen Betrachtern ergeht es nicht anders. Ich hoffe, das Hungertuch führt zu ähnlichem Nachdenken.

 


Reliefartig gestaltet Uwe Appold mit einem Spezialkleber
Erde aus dem Garten Getsemani auf der Leinwand.

Mit Hilfe von Misereor haben Sie die Erde aus dem Garten Getsemani bekommen. Waren Sie mit der Zusammensetzung der Erde, die Sie auf der Leinwand verarbeiten wollten, zufrieden?

Und wie. Ich habe neben der Erde alte Olivenkerne gefunden. Und ich habe tatsächlich zwölf größere Steine entdeckt. Tatsächlich zwölf, die nun in meinem Bild auf die zwölf Jünger hindeuten, die dort im Garten Getsemani schliefen, während Jesus in der Nacht vor seiner Kreuzigung betete.

Sind die Steine deshalb auf dem Ölbild mit roter Farbe umrahmt?

Nein. Hier denke ich im Sinne der Papst-Enzyklika an Kriege, Gewalt und Umweltzerstörung sowie an das Bibelwort: „Wer ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein.“ Wir alle sind längst schuldig, haben Blut an den Händen.

Wie bekommt die Erde rein technisch auf der Leinwand Halt?

Ich benutze einen speziellen Kleber, der es ermöglich, dass die Oberfläche des Bildes dort, wo ich die Erde einsetze, reliefartig gestaltet werden kann.

Verändert sich durch den Kleber nicht das Aussehen der Erde?

Ihre Farbigkeit wird ein wenig kräftiger, ohne dass aber Ursprünglichkeit und Authentizität verlorengehen. Das Problem war ein anderes. Ich hatte Sorge, dass sich die Originalfarbe der Erde nicht mit dem Blau verträgt, das auf der Leinwand den großen Hintergrund bildet. Erde und Blau – das passte bislang nicht in meinen Farbkanon. Umso froher war ich, als ich feststellte, dass die Erde keine zusätzliche Farbe braucht. Sie muss nicht überhöht werden, sondern wirkt neben dem Blau von allein.

Das majestätische Blau auf Ihrem Bild steht für die Weltmeere?

Es steht für so viel. Natürlich das Meer. Blau gilt aber auch als Farbe des Glaubens und der Zuverlässigkeit. Es wird mit Mediation und Ferne oder mit dem Weltraum assoziiert. Im Kapitel 12 der Johannes-Offenbarung wird von der Himmelskönigin gesprochen, die einen blauen Mantel trägt. Sie ist Vermittlerin zwischen Menschen und Gott. Unter diesem Blickwinkel bekommt die „Mutter Erde“ eine ganz andere Bedeutungsebene.

Auf Ihrer Vorlage fürs Hungertuch sind keine Menschen zu sehen. Haben Sie sie vergessen?

Nein, nein. Das hängt mit dem Titel des Bildes zusammen. Er lautet: „Mensch, wo bist du?“.

Wie kam es zu diesem Titel?

Ich erinnerte mich an ein Gespräch mit einem Rabbiner, dessen gesamte Familie in der NS-Zeit von den Nationalsozialisten ermordet wurde. Er sagte mir, dass wir angesichts solcher Verbrechen die falsche Frage stellen. „Gott, wo bist Du?“, werde gefragt. Dabei – so der Rabbiner – sollten wir die Verantwortung bei uns selbst suchen. Entsprechend müsse es heißen: „Mensch, wo bist du?“.

Was verbinden Sie persönlich mit der christlichen Botschaft?

Mut zur Hoffnung. Wir hören täglich von neuen Krisen. Alles scheint auf einer schiefen Ebene abwärts zu gehen. Die christliche Grundhaltung der Hoffnung verändert alles.

Ihr Werk als Vorlage für das neue Hungertuch ist fertig. Ist damit das Projekt für Sie abgeschlossen?

Oh nein, es fängt erst an. Die Botschaft des Papstes, gemeinsam an dem einen Haus zu bauen, muss umgesetzt werden. Wir müssen den Schalter umlegen in der Klima- und Umweltpolitik, im Bereich der sozialen Gerechtigkeit. Alle sind dazu aufgefordert – auch ich als Künstler. Davor werde ich die Erde im Garten Getsemani und im Heiligen Land auf einer Reise unter meinen Füßen spüren. Wo ist die Idee vom gemeinsamen Haus aktueller und mehr gefragt als im Nahen Osten?

Interview: Stephan Richter