Koptische Christen engagieren sich in Ägypten

„Ohne uns würde Kairo ersticken“

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Die koptische Künstlerin Khalaf Alla
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Fotos: kna/Manuel Meyer

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Die Künstlerin: Khalaf Alla bemalt Fische, die aus alten Glasflaschen geschnitten worden sind.

Zehntausende koptische Christen leben in Ägyptens Hauptstadt im und vom Müll. Sie trennen, recyceln, verkaufen ihn – unter üblen Bedingungen. Ihr Glaube hilft ihnen, die Hoffnung auf ein besseres Leben nicht aufzugeben.

Fischreste, verfaulte Bananen, abgenagte Melonen, vergammelter Salat. Mit bloßen Händen trennt Miriam in einer Einfahrt zu ihrem Hinterhof die organischen Abfälle vom Plastikmüll. Ihre Mutter und drei Schwestern helfen dabei. Sie sitzen auf Bergen von Essensresten, die der Bruder morgens mit dem Laster aus anderen Stadtteilen abgeholt hat. Die stinkenden Haufen sind für die 50 Schweine, die Miriams Familie im Hinterhof hält. Ihr Fleisch verkaufen sie an die Schlachter von Manschiyyet Nasser, einem Slumviertel koptischer Christen am Stadtrand Kairos. Den Plastikmüll verscherbeln sie an den Nachbarn, der eine Recyclingmaschine betreibt.

Umgerechnet 100 Euro kann die Großfamilie mit den Schweinen und dem Sortieren von Müll im Monat verdienen. „Mit dem Geld kommen wir gerade so über die Runden. Jobalternativen gibt es für Menschen wie uns nicht“, sagt Miriam (32). Mit „Menschen wie uns“ meint sie die „Zabbalin“, übersetzt: Müllmenschen. So nennen die Ägypter die inoffiziellen Müllsammler Kairos. In Miriams Armenviertel leben fast alle Einwohner vom Müll – 70 000 koptische Christen.

Die christliche Müllsammlergemeinde ist strenggläubig. An den Wänden der unverputzten Ziegelhäuser des Slums hängen Kreuze, Marienbilder und Plakate des koptischen Kirchenoberhaupts Tawadros II. Ende der 1940er Jahre zogen die ersten Kopten auf der Suche nach Arbeit aus Mittelägypten nach Kairo. Doch es gab keine Jobs für Angehörige der christlichen Minderheit. So fingen sie an, den Hausmüll gegen geringe Entlohnung einzusammeln und zu verwerten.

Laut aktuellen Schätzungen sind bis zu 14 Prozent der Ägypter Christen. Davon gehört der Großteil der koptisch-orthodoxen Kirche an. In dem islamisch geprägten Land zählen sie zu einer gesellschaftlich oft verachteten Gruppe. Ägypter aus anderen Stadtvierteln verirren sich selten in das Armenviertel am Fuße des Mokattam-Berges.

Aus Hauseingängen raucht, zischt, dampft und rattert es

In den verdreckten, faulig riechenden Gassen wühlen Frauen und Kinder in den Müllbergen. Dazwischen suchen Schweine, Ratten und Ziegen nach Überresten. Aus Hauseingängen raucht, zischt, dampft und rattert es. Für fast jedes Material gibt es eine selbst zusammengebaute Maschine, die säubert, presst, zerkleinert und zerhackt. Vor allem Plastikmüll wird verwertet.

Kairo, Müll-Recycling
Die Sucherinnen: Zwei Frauen sortieren Müll und nutzen den organischen für ihre Schweinezucht. Foto: kna/Manuel Meyer

So entsorgen die Zabbalin fast die Hälfte des Mülls der Metropole mit ihren mehr als 20 Millionen Einwohnern – bis zu 7000 Tonnen täglich. Gut 85 Prozent des Abfalls können sie recyceln und verkaufen. Eine Quote, die von deutschen Städten mit ihren modernen Strategien nicht ansatzweise erreicht wird. 2006 bezeichnete die Fachzeitschrift „Habitat International“ die Arbeit der Zabbalin als „eine der effizientesten Ressourcen-Wiedergewinnungen der Welt“.

Doch dieser Erfolg wird auf Kosten bettelarmer Menschen erarbeitet, die gezwungen sind, ein Leben lang im Müll zu schuften. „Unser Glaube macht uns stark, gibt uns Kraft und eint uns als Gemeinschaft“, sagt Bekhit Mettry. Der 49-Jährige wünscht sich, dass seine vier Kinder diesem Leben entkommen können. Er selbst hat mit zehn Jahren angefangen, seinem Vater beim Müllsuchen zu helfen. Heute arbeitet er als eine Art PR-Manager bei der Association for the Protection of the Environment (APE).

Die Nichtregierungsorganisation im Zentrum des Slums kümmert sich vor allem um die schulische Förderung von Kindern aus armen Zabbalin-Familien. „Wir bieten täglich bis zu 500 Kindern Schulunterricht und Verpflegung. Es gibt auch Baby-Krippen und einen Kindergarten“, erläutert Bekhit. Wichtig sei auch die berufliche Ausbildung junger Frauen, damit sie besser bezahlte Jobs jenseits des Mülls finden können.

Darauf hofft zum Beispiel die Christin Khalaf Alla. Mit sechs weiteren Frauen arbeitet sie im Glasrecycling. Während einige aus alten Glasflaschen Fischmotive herausschneiden, bemalt die 26-Jährige die Stücke mit schwarzer Farbe. So stellen sie Ohrringe, Armbänder und verschiedene Dekorationsgegenstände aus den Glasresten her. 

Die Hilfsorganisation wiederum finanziert sich zu einem erheblichen Teil mit dem Verkauf der Produkte auf Kairos Basaren und zahlt den Frauen ein Gehalt. Die APE betreibt neben der Glasproduktion Schneidereien und Teppichknüpfkurse. In Workshops lernen Frauen, wie man Handtaschen aus Dosenclips fertigt. Andere dekorieren Tragetaschen mit gepressten Nespresso-Kapseln.

Viele leiden an Blutarmut, Dengue-Fieber, Tuberkulose

In der Nähe der Workshopräume unterhält die APE ein Gesundheitszentrum. Rund 45 Patienten betreut das Zentrum täglich. Wegen fehlender Hygiene, schlechter Trinkwasserqualität und den harten Lebensbedingungen leiden viele Menschen an Blutarmut, Dengue-Fieber, Tuberkulose und Pilzerkrankungen, berichtet Krankenschwester Nesma. Die bei der Müllverbrennung entstehenden Dämpfe und Gase führten bei vielen zu Atemwegsproblemen. Fehl- und Unterernährung kämen hinzu.

Die Lebenserwartung der Zabbalin soll laut Studien mit 60 Jahren weit unter dem Landesdurchschnitt liegen, die Kindersterblichkeitsrate doppelt so hoch sein. Diese Missstände werden von der übrigen ägyptischen Bevölkerung weitgehend ignoriert. „Doch ohne uns würde Kairo im Müll ersticken“, sagt Miriam – und stellt ihren Schweinen einen Plastikkübel mit Essenresten hin.

Manuel Meyer