Die „Fragen der Menschen“ zum Thema Wohnen
Ohne Wohnung geht nichts
„Die Fragen der Menschen“: Hier stehen Antworten, die Klarheit bringen. Dieses Mal beantwortet Andreas Ruf, Geschäftsführer des Gemeinnützigen Siedlungswerks (GSW) in Frankfurt, Fragen rund ums Wohnen.
Welche Bedeutung hat eine Wohnung? Ist sie mehr als ein Dach über dem Kopf?
Wohnen und damit auch die Wohnung ist ein existentielles Grundbedürfnis des Menschen. Bietet die Wohnung doch den Schutz gegen Klimaeinflüsse oder gegen Einwirkungen von außen. Viele Dinge sind in unserem Kulturraum mit einer Wohnung verknüpft, sie ist der Ort, über den wir erreichbar sind. Wollen wir bei einer Bank ein Konto eröffnen, benötigen wir eine Adresse. Bewerben wir uns auf einen Arbeitsplatz, ist dies ohne Anschrift nahezu unmöglich, und für fast alle staatlichen Vorgänge brauchen wir ebenfalls eine Adresse. Dies bedeutet letztendlich, dass wir ohne eine Wohnung am wirtschaftlichen und kulturellen Leben nicht teilhaben können, sie ist für uns unabdingbar.
Gibt es eine Quadratmeter-Mindestgröße für Wohnraum?
Aus dem Baurecht gibt es eine Mindestgröße für ein Zimmer, das als Wohnraum gelten soll, dies sind zehn Quadratmeter. Für eine Wohnung besteht dies im Prinzip nicht. „Microappartements“ für Studenten oder Berufspendler, die ein Wohnen, Schlafen, Kochen mit Bad ermöglichen, gibt es ab etwa 18 Quadratmetern Wohnfläche. Alles andere ist eine Frage persönlicher Bedürfnisse und Ansprüche. Das GSW hat ein Planungshandbuch erarbeitet, in dem wir Standards für unsere Neubauwohnungen definiert haben: Für einen Zweipersonenhaushalt sehen wir 55 bis 65 Quadratmeter vor, für jede weitere Person rund 12 Quadratmeter mehr.
Wer entscheidet über die Größe einer Wohnung, zum Beispiel einer Sozialwohnung?
Bei Sozialwohnungen gibt es aus den Förderrichtlinien der einzelnen Bundesländer konkrete Vorgaben zu den Wohnungsgrößen, sie erfolgen in Abhängigkeit von der Anzahl der Personen, die zum Haushalt gehören.
Ansonsten ist dies eine Frage über Angebot und Nachfrage auf einem freien Markt. Hier regulierend einzuwirken, würde tief in Eigentumsrechte und damit in den Schutzbereich des Artikels 14 Grundgesetz eingreifen. Das GSW-Planungshandbuch orientiert sich bei seinen Wohnungsgrößen an diesen Förderrichtlinien.
Wen sollten Vermieter, denen der christliche Aspekt wichtig ist, bei der Wahl ihrer Mieter berücksichtigen?
Da Wohnen ein existentielles Grundbedürfnis ist, sollte die Frage, wer eine Wohnung bekommt, unter christlichen Aspekten gerade nicht von der Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft abhängig gemacht werden. Hilfe benötigen in der Regel die Menschen, die nicht der wirtschaftlich stärksten Gruppe angehören.
Bin ich als Christ verpflichtet, Zimmer zu vermieten, wenn ich viel Wohnraum habe?
Das ist eine individuelle persönliche Entscheidung jedes Einzelnen und darüber hinaus auch von den Gegebenheiten und der Lage des Zimmers abhängig. Ist das einzelne Zimmer ein Zimmer innerhalb meiner Wohnung, dann ist dies sicher anders zu sehen als wenn das Zimmer abgetrennt von meiner Wohnung, innerhalb des Hauses liegt.
Leider werden dem Wohnungsmarkt viele Wohnungen vorenthalten, obwohl sie jederzeit vermietbar wären. Mancher Vermieter glaubt, mehr Wert aus der Nichtvermietung schöpfen zu können als aus der Vermietung, welche manchmal auch eine Auseinandersetzung mit dem Bewohner bedeutet.
Was können wir in Sachen Wohnen von anderen Kulturen lernen?
Was wir lernen können oder beachten sollten, ist zum Beispiel die Frage, wie viel Wohnfläche der einzelne Mensch braucht. Die durchschnittliche Wohnfläche in Deutschland beträgt mittlerweile über 45 Quadratmeter pro Person – Tendenz seit Jahren steigend.
Andere Länder oder Kulturen kommen mit weit weniger Fläche pro Person aus: Italien 36 Quadratmeter, Schweiz 35 Quadratmeter, Großbritannien 33 Quadratmeter, China 30 Quadratmeter, Polen 23 Quadratmeter, Russ-land 22 Quadratmeter, Nigeria sechs Quadratmeter.
Wenn alle Menschen auf der Welt beim Wohnen einen ähnlichen Anspruch wie wir Deutschen hätten, wäre das schon im Hinblick auf die dafür erforderlichen Boden- und Materialressourcen kaum möglich.
Wenn die Gerechtigkeit bei der Verteilung lebensnotwendiger Güter, wie Wasser, Luft und Erde, ein christlicher Wert ist, kann unsere Lektion bei der Inanspruchnahme von Wohnfläche nur die persönliche Zurücknahme sein.
Die Fragen hat Anja Weiffen zusammengetragen.
Zur Sache
Wie viel vom Einkommen für die Miete?
Sozialwissenschaftler haben eine Faustregel gebildet, die den Aufwand für Wohnen bis zu einem Drittel des Haushaltseinkommens als vertretbar ansieht. Problematisch ist dies, wenn das verbleibende Einkommen unter die Regelsätze von Hartz IV fällt. Nach dem Statistischen Bundesamt der Bundesrepublik Deutschland liegt der Anteil des verfügbaren Haushaltseinkommens, der für selbstgenutzten Wohnraum aller privater Haushalte im Jahr 2016 aufgewendet wurde, bei 21,2 Prozent [1]. Dies entspricht in etwa dem langjährigen Durchschnittswert über die letzten zehn Jahre. Allerdings wenden nach einer Studie der Humboldt-Universität Berlin circa 40 Prozent der Haushalte vorwiegend in Großstädten mehr als 30 Prozent ihres verfügbaren Einkommens für Wohnen auf. Der mittlere Miet-aufwand in Großstadthaushalten liegt bei etwa 27 Prozent des Haushaltseinkommens [2].
Richtet man den Blick auf die westeuropäischen Länder, dann sind die Aufwendungen für Wohnen nur noch in Portugal, Österreich und Irland auf einem vergleichbaren Niveau, in allen anderen Ländern ist der Anteil des Haushaltseinkommens, der für Wohnen aufgewendet werden muss, höher als in Deutschland. [3] Gleichzeitig sind die Qualitätsstandards, die Wohnungen in Deutschland aufweisen, in der Regel höher als im europäischen Raum.
Andreas Ruf
[1] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/459578/umfrage/mietanteil-am-haushaltseinkommen-privater-haushalte-in-deutschland/
[2] Hans-Böckler-Stiftung; Sonderauswertung Mikrozensus 2014
[3] Europäische Gemeinschaftsstatistik über Einkommen und Lebensbedingungen des Jahres 2013
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