Der Theologe Massimo Faggioli erklärt den US-Wahlkampf

Perfekte Gegner

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US-Wahlkampf: Harris & Walz
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Schaut her! Tim Walz zeigt auf Kamala Harris.

Die Nominierung von Kamala Harris hat den Präsidentschaftswahlkampf in den USA verändert. Die Demokraten wirken beschwingt, Donald Trumps Republikaner ratlos. Der Theologe Massimo Faggioli erklärt, warum das auch an den möglichen Vizepräsidenten liegt – und an der Art, wie sie ihr Christsein verstehen.

Seit Wochen werden Kamala Harris und Tim Walz von ihrer Partei gefeiert. Wo immer sie auftreten, jubeln die Anhänger der US-Demokraten ihnen zu. Und sie jubeln nicht nur, weil jetzt Wahlkampf ist und das da Pflicht ist – wie zuletzt beim Parteitag in Chicago. Sondern, weil die Präsidentschaftskandidatin Harris und ihr Vize Walz ihnen neue Hoffnung geschenkt haben. Hoffnung, dass sie die Wahl am 5. November gewinnen und Donald Trumps zweite Präsidentschaft verhindern können. 

Der Wandel hat viel damit zu tun, dass der aktuelle Präsident Joe Biden (81) nicht noch einmal antritt, sondern die mit 59 Jahren deutlich jüngere Harris. Aber er hat auch mit dem Stellvertreter zu tun, den sie sich ausgesucht hat – und mit der Art, wie er seinen christlichen Glauben lebt. „Walz ist eine interessante Wahl“, sagt Massimo Faggioli, Professor für Theologie und Religionswissenschaft an der Universität Villanova im Bundesstaat Pennsylvania. „Er ist für viele Christen wählbar. Und er ist der perfekte Sparringspartner für Trumps Vizepräsidentschaftskandidat J. D. Vance.“

Die Stellvertreter sind vor allem wichtig, um unentschlossene Wähler zu überzeugen. Wer sich in den tief gespaltenen USA fest zu einem Lager rechnet, bleibt sich an der Urne garantiert treu. Diejenigen aber, die offen sind, werden interessiert auf Walz und Vance schauen – und prüfen, ob die etwas bieten, was Harris und Trump fehlt. 

Vance interpretiert seinen Glauben streng bis radikal

Massimo Faggiol
Massimo Faggioli. Foto: Jeanne Lockner

Der Republikaner Trump hat in Vance einen Mann gewählt, der protestantisch aufgewachsen ist, sich später als Atheist verstanden hat und 2019 katholisch geworden ist. Wie einige Konvertiten interpretiert er seinen Glauben streng bis radikal. 2021 sagte Vance über führende demokratische Politikerinnen, darunter auch Harris, sie seien „ein Haufen von kinderlosen Katzenfrauen, die sich elend fühlen im eigenen Leben und mit den Entscheidungen, die sie getroffen haben“. Das Video mit dieser Äußerung verbreitete sich nach seinem Aufstieg zu Trumps Vize rasend schnell. Was er darin ausdrückte, passt zu seiner Haltung, dass Kinderlose in einer Demokratie weniger zu sagen haben sollten. Und es sorgte vor allem bei Frauen für Empörung.

„Vance spricht beleidigend und provozierend über Themen wie Amerikas Problem mit der Geburtenrate“, sagt der Theologe Faggioli. „Ich glaube nicht, dass das funktioniert.“ Denn ultrakonservative Katholiken und evangelikale Christen würden ohnehin Trump wählen – auch ohne einen Stellvertreter, der frauenfeindliche Sprüche klopft und für ein Abtreibungsverbot eintritt. Liberalere Christen aber dürfte Vance verschrecken. „Einige seiner Positionen sind extrem“, sagt Faggioli. „Der Start seiner Kampagne war schlecht, er war eine Enttäuschung für die Republikaner.“ In Umfragen schneidet Vance miserabel ab.

Walz spricht Liberale wie gemäßigt Konservative an

Der demokratische Vizekandidat Walz wirkt wie der Gegenentwurf zu Vance. Er war Football-Trainer, Highschool-Lehrer und Nationalgardist, er ist Jäger. Und er gehört der Evangelical Lutheran Church in America an, einer traditionellen Volkskirche, die für Nächstenliebe, Bescheidenheit und Zurückhaltung steht. Er stellt seinen Glauben nicht öffentlich zur Schau, er lebt ihn lieber. Er will seine Überzeugungen anderen Menschen nicht aufzwingen. 

So unterzeichnete er im vergangenen Jahr in Minnesota ein Gesetz, das Betroffenen „ein fundamentales Recht auf eigenständige Entscheidungen“ in Sachen Abtreibung, Verhütung und künstliche Befruchtung zuspricht. Das störte konservative Bischöfe und Katholiken, doch viele andere Christen dürfte sein Profil ansprechen. 

Trump, Vance
Schaut her! Donald Trump zeigt auf J. D. Vance. Foto: imago/ZUMA Press Wire

„Walz verkörpert als gemäßigter Lutheraner sicherlich viel mehr den christlichen Mainstream als Vance mit seinem reaktionären Katholizismus“, sagt Faggioli. Er könne als volksnaher weißer Mann aus Minnesota die beruhigen, die fürchten, die Demokraten stünden unter Harris zu weit links – etwa beim Kulturkampfthema Gender. Er spreche nicht nur liberale, progressive Katholiken an, auch gemäßigt konservative Christen aus dem Mittleren Westen. Walz sei „das totale Gegenteil des militanten Christentums, das Donald Trump und die Republikaner repräsentieren“. Wegen seiner überzeugenden Vita werde es „schwer für sie, ihn mit religiösen Themen zu attackieren“.

Noch ist völlig offen, welche Themen im Wahlkampf noch wichtig werden und wer im November gewinnt. Fest aber steht, dass schon die zwei Vize-Kandidaten zeigen, wie grundlegend die Entscheidung ist, die in den USA zu treffen ist. Massimo Faggioli sagt: „Vance ist der Kandidat der Disruption, der Provokation, der Spaltung. Walz steht für Kontinuität.“

Andreas Lesch

Zur Person: Massimo Faggioli ist Professor für Theologie und Religionswissenschaft an der Universität Villanova im US-Bundesstaat Pennsylvania. Der Italiener schreibt für international renommierte katholische Magazine.