Stefan Spangenberg läuft nach Jerusalem
Sein längster Weg
Früher lief er Marathon, sogar Ultramarathon mit 74 Kilometern in acht Stunden. Jetzt ist Stefan Spangenberg zu seinem längsten Weg aufgebrochen. Zu Fuß will er von Ingelheim nach Jerusalem gehen – 5000 Kilometer. Seinen Weg beschreibt er in einem Blog. Von Elisabeth Friedgen.
Als Stefan Spangenberg im September 2013 zum ersten Mal das Heilige Land besucht, wird sein Plan konkret: Er will zu Fuß nach Jerusalem laufen. Damals ist er mit einer Pilgergruppe der katholischen Pfarrei St. Remigius aus Ingelheim unterwegs, wird wenige Wochen später vom evangelischen zum katholischen Glauben konvertieren. Noch ist der Pilgerweg nach Israel nicht mehr als eine fixe Idee. Doch Pfarrer Tobias Schäfer, der damals die Gruppe leitet, sagt zu ihm: „Wenn du das wirklich machst, dann werde ich am Damaskustor in Jerusalem stehen, wenn du ankommst, und dich begrüßen.“ Inzwischen ist Schäfer Domprobst in Worms. Ob es noch klappt mit dem Damaskustor, das weiß er nicht, versuchen will er es.
Ende April. In Stefan Spangenbergs Wohnung in Ingelheim sind auf anderthalb Quadratmetern seine Habseligkeiten ausgebreitet, die er mitnehmen will auf die große Reise. Unter anderem mehrere Paar Schuhe, Instant-Nahrung, atmungsaktive Shirts, ein kleines Zelt. Immer weiter reduziert Spangenberg beim Probepacken, wird Anfang Mai mit 29 Kilogramm Gepäck starten. Alles steckt nun in Spangenbergs Monowalker, den er, ein bisschen wie einen Pferdewagen, hinter sich herzieht. Über 5000 Kilometer weit. Lausanne, Rom, Philippi, Tarsus und Larnaka sind nur einige der Städte an seiner Wegstrecke. Der 59-Jährige, der auf seiner Wanderung im November seinen 60. Geburtstag feiern wird, ist bestens vorbereitet. Monatelang hat er die Route ausgetüftelt, Experten befragt, Trainingseinheiten absolviert. Seit vier Jahren lernt er Türkisch, unter anderem mit einem Tandempartner aus Mainz, da sein Weg ihn einmal quer durch die Türkei führen wird. Wo das Meer oder der wie in Syrien seinen Weg versperrt, will er Schiffe und Flieger nutzen.
Doch noch sitzt Spangenberg an seinem Esszimmertisch und erzählt, wie er zum Pilger wurde. Dieser Mann war sein ganzes Leben unterwegs, in vieler Hinsicht.
Dabei war das Reisen und Pilgern gar nicht vorgesehen in der Welt, in die er 1958 hineingeboren wurde. Erfurt, damals DDR. Als Spangenberg drei Jahre alt war, zog man um seine Welt herum eine Mauer hoch. Auch, wenn das religiöse Leben in der DDR nicht gern gesehen war, bekam er etwas davon mit. Im katholischen Kindergarten, den er besuchte, und von seinen Eltern – Vater evangelisch, Mutter katholisch – die ihre Konfessionen nicht vergaßen. Er wuchs auf, studierte, heiratete. Lebte nicht schlecht in dem Land, aus dem er nicht hätte fortgehen können. Er kannte es nicht anders. „Der Vogel weiß erst, dass er gefangen war, wenn er aus dem Käfig kommt“, sagt er heute. Er lebte seinen Glauben, so gut es ging, auch wenn mal „ein dummer Spruch“ kam. In der katholischen Studentengemeinde war er aktiv. Dann kam der Mauerfall. Stefan Spangenberg wird sie nie vergessen, die erste Fahrt in den Westen. Freiheit.
Wie so viele wollte er dauerhaft weg aus der ehemaligen DDR. Es verschlug ihn nach Mainz, die Partnerstadt seiner Heimat Erfurt. Auf der Suche nach einem neuen Job lebte er ein Jahr lang im Pfarrhaus von Mainz-Gonsenheim, pendelte am Wochenende im Trabi nach Erfurt zu seiner Familie, die er 1992 nachholte.
In der DDR war Spangenberg Lehrer für Mathe und Physik an einer polytechnischen Oberschule gewesen. Doch seine Abschlüsse wurden in Westdeutschland nicht anerkannt. Also schulte er um. Zuletzt arbeitete er als Projektleiter bei einem IT-Unternehmen, hat inzwischen die passive Phase seiner Altersteilzeit erreicht. Auch darum passt es jetzt so gut mit dem Pilgern.
In den vergangenen Jahren ist er zunehmend in die katholische Gemeinde St. Remigius in Ingelheim hineingewachsen, engagiert sich hier und da. Spätestens bei der Pilgerreise nach Israel steht fest, dass Stefan Spangenberg Katholik werden möchte. Seit dem Nikolaustag 2013 gehört er nun zur Pfarrgruppe Katholische Kirche Ingelheim, damals noch Sankt Remigius.
Pilgern für einen guten Zweck
Im Rückblick wirkt es fast so, als hätte Stefan Spangenberg in dieser Zeit vorbereitend eine große Portion Segen und Kraft erhalten, denn kurz vor dem Jahreswechsel auf 2014 trifft ihn ein großer Schock: sein Sohn Martin erkrankt mit 32 Jahren an Multipler Sklerose. Grade mit seinem Studium fertig, will er ein Volontariat in einem Fachverlag beginnen. Zwei heftige Schübe machen den Berufsstart unmöglich. Die Krankheit beeinträchtigt vor allem sein Gedächtnis- und Sprachzentrum. „Viel Unterstützung“, habe er von Anfang an durch die Deutsche-Multiple-Sklerose-Gesellschaft, kurz DMSG, erfahren, sagt Stefan Spangenberg. Martin, der heute auf Zeit verrentet ist und ehrenamtlich in der Bibliothek der Mainzer Unimedizin arbeitet, hat durch die Mitarbeiter der DMSG gelernt, mit seiner Krankheit umzugehen und den Alltag zu meistern.
Und darum pilgert Stefan Spangenberg nicht nur für sich, seinen persönlichem Glauben und aus kulturellem Interesse. Seine große Wanderung nach Israel ist auch mit einem Spendenaufruf verbunden: Jeder, der seine Idee gut findet, ist eingeladen, für die Arbeit der DMSG zu spenden, siehe unten.
Mitte Mai: Zwei Wochen ist Stefan Spangenberg unterwegs – inzwischen wandert er durch Frankreich – und klingt beim Telefonat genauso begeistert wie damals in seinem Wohnzimmer. „Schöne Landschaften, nette Menschen, viel Spaß und zum Glück keine Pannen“, sagt er gutgelaunt. „Ich habe immer ein Quartier für die Nacht gefunden, manchmal war das schon wie Gottes Fügung.“ Lediglich für die erste Woche hatte er die Unterkünfte fest geplant, inzwischen klopft er einfach abends bei Pfarrhäusern an – oder was sich ergibt. Gerade sitzt er in seiner Unterkunft im Antoniterkloster Isenheim, wo im 16. Jahrhundert Matthias Grünewald den Isenheimer Altar schuf. Hier ist Spangenberg nur zufällig gelandet, weil es mit der Unterkunft drei Kilometer zuvor nicht geklappt hatte – und nun froh, dass er den Blick auf das berühmte Kunstwerk noch mitnehmen konnte.
Nach einigen Tagen, an denen ihn Blasen an den Füßen plagten, ist er nun wieder bester Dinge. Den ganzen Tag laufen, Neues kennenlernen, Abenteuer bestehen – das ist sein Ding. Wenn man ihm das damals, zu DDR-Zeiten, gesagt hätte: ,Du nimmst eines Tages einfach den Monowalker und wanderst durch ein Dutzend Länder!’ – „das hätte ich nie geglaubt!“, sagt er, „und ich bin sehr dankbar dafür!“
Zur Sache: Im Internet mitgehen
Wer die Pilgerreise von Stefan Spangenberg live miterleben möchte, kann im Internet seinen Blog besuchen. Spangenberg wandert von Montag bis Samstag, der Sonntag ist jeweils zur Erholung und zum Bloggen vorgesehen. Im Blog gibt es auch Informationen zum Spendenaufruf an die DMSG. Ende Juni möchte er seine Lebensgefährtin in Florenz treffen, die bis Rom mit ihm mitwandert. Im Dezember möchte Spangenberg in Jerusalem eintreffen. https://meinwegnachjerusalem.wordpress.com