Anstoß 08/23
Trügerischer Durchblick
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Es passierte mir vor wenigen Tagen. Ich war bei einem Optiker, was beim Fortgang dieses Ereignisses einer gewissen Komik nicht entbehrt. Gerade als ich den Laden verlassen wollte, machte es kräftig und schmerzhaft Rumms.
Ich war schnellen Schrittes und mit voller Wucht gegen die Tür geprallt. Zu meiner Ehrenrettung muss ich sagen, dass sie vollkommen aus Glas bestand und bis in die letzte Ecke blitzblank geputzt war. Ich konnte alles sehen, die gegenüberliegende Straßenseite, die Passanten auf dem Gehweg – nur das Naheliegende nicht, die Tür. Zum Glück blieb die Brille heil, ebenso meine Nase. Nur eine kleine Beule auf der Stirn erinnert mich noch an das Ereignis, welches mir einen Anstoß für meine Gedanken gab:
Es gibt Situationen, in denen einem alles klar und deutlich ist, dann wird entsprechend gehandelt. Das ist gut so, denn alles dreimal zu hinterfragen, wäre nicht nur lästig, sondern der Sache auch nicht dienlich. Am Aschermittwoch, bei dem alles klar ist, lohnte es sich für mich, doch noch einmal genauer hinzuschauen. Asche aufs Haupt beziehungsweise Kreuz auf die Stirn: eine Erinnerung daran, dass Umkehr nötig ist. Das will ich nicht bestreiten und keineswegs den Aschermittwoch schmälern. Doch das Aschekreuz kann auch eine Last sein. Du bist eine Sünderin. Du bist nicht würdig. Eine Überbetonung macht klein. Meine religiöse Erziehung hat mich über Jahrzehnte dahingehend geprägt, zu denken, ich bin (für Gott) immer noch nicht gut genug. Ich muss immer danach streben, besser zu werden – in allem. Das kann einen zerstören. Heute sehe ich den Aschermittwoch als Teil der Liebesgeschichte zwischen Gott und mir. Gott, das hat Jesus uns nachhaltig gezeigt, zieht keinen Schlussstrich, wendet sich nicht ab: statt Niederdrücken Aufrichten. Vielleicht sollten wir, statt so oft zu betonen, dass wir arme Sünder sind, mit dem Leben davon singen, wie sehr Gott uns liebt. Und die passende Antwort auf Liebe kann doch nur Liebe sein.
Andrea Wilke
Rundfunkbeauftragte/ Bistum Erfurt
Rundfunkbeauftragte/ Bistum Erfurt