St. Maria in Tripkau
Was soll das denn?
Für die einen ist es ein einziges Kunstwerk, für die anderen die Verschandelung einer alten Dorfkirche. Wie auch immer: die Marienkirche in Tripkau am
östlichen Ufer der Elbe sorgt für Gesprächsstoff – auch wenn ihre künstlerische Umgestaltung inzwischen zehn Jahre zurück liegt.
Schwindelig kann einem werden, wenn man auf die Wände ringsum schaut. Irgendwann findet der Blick keinen Halt mehr. Dann verschwimmen die vielen Kreuze. Am Altar, entlang der Empore und im Fußboden setzen sie sich fort – mal gedreht, dann gekippt, hier nur angedeutet. Wer unvorbereitet durch die schwere Holztür in den Innenraum kommt, weicht einen Augenblick später zunächst zurück. Der Anblick ist zu unerwartet. Außen präsentiert sich die Tripkauer Kirche St. Maria als typisch für die Gegend, das Fachwerk ist mit rotem Ziegelstein ausgemauert, wuchtig erhebt sich der Turm über dem Kirchengelände mit den alten Grabsteinen. Im Kirchenraum sieht sich der Besucher mit moderner Kunst konfrontiert – fast wie in einer Ausstellung der documenta in Kassel.
Architekt aus Hannover übernimmt Umbau
Seit ihrem Bau vor inzwischen 450 Jahren ist die Tripkauer Kirche nicht weiter in Erscheinung getreten. Gelegen an der Straße zwischen Dömitz und Neuhaus war sie für die Menschen Anlauf in guten und in schlechten Zeiten. Der Dreißigjährige Krieg zieht spurlos am Haufendorf vorbei. Immerhin nimmt sich später der bekannte Architekt Conrad Wilhelm Hase, an dessen Geburtstag vor 200 Jahren derzeit erinnert wird, der ursprünglich schlichten Betscheune an und verpasst ihr – als einziger Fachwerkkirche, um die er sich kümmert und trotz kontroverser Diskussionen – das heutige Erscheinungsbild mit Sakristei und Glockenturm. Über Jahrzehnte genügt das der kleinen Gemeinde, die sich hier zum Gottesdienst versammelt.
Nach dem Zweiten Weltkrieg müssen die Tripkauer einen Schock verdauen, weil sie der DDR zugeschlagen werden. Ihre kleine Gemeinde allerdings bleibt unter Verwaltung der hannoverschen Landeskirche – ähnlich wie drei, vier katholische Gemeinden, die während der Teilung Deutschlands zum Bistum Hildesheim gehörten.
In den 1970er-Jahren kommt Pastor Bernhard Ullrich nach Tripkau und übernimmt die Seelsorge. Engagiert kümmert er sich um die Belange seiner Schäfchen, sorgt für neue Impulse, steigt zur Verwunderung mancher Alteingesessener sogar in die Bütt, organisiert Konzerte. Und pflegt seine Kontakte nach Halle, wo er studiert hat. Gut kennt er aus jenen Jahren Ludwig Ehrler, der als Künstler auf sich aufmerksam macht. Ihn beauftragt der Tripkauer Pastor mit der Ausgestaltung der Dorfkirche von Tripkau.
Und damit beginnt die Kontroverse um St. Maria.
Ein Künstler mit klarer Haltung
Ehrler, vor vier Jahren gestorben, hatte sich schon zu DDR-Zeiten einen Namen gemacht, unter anderem durch die Gestaltung eines Kinos in Halle. Die Studenten verehrten ihn nicht zuletzt „wegen seiner warmherzigen Art und einer klaren Haltung in einer schwierigen Phase des Umbruchs“, heißt es in einem Nachruf.
1998 übernimmt Ehrler die künstlerische Umgestaltung der Tripkauer Kirche. Und als er fertig ist, reibt sich die Gemeinde verwundert und verstört gleichermaßen die Augen. Der schlichte Innenraum von St. Maria präsentiert sich als ein Gewusel aus angedeuteten Kreuzen. Was soll denn das jetzt?
Pastor Matthias Schieferdecker, Nachfolger von Pastor Ull-rich, steht auf der Empore und stellt sich die gleiche Frage. Was soll das? Schieferdecker vermutet: „Als Ehrler die Neugestaltung unserer Kirche plante, hatte er einen schweren Schicksalsschlag zu verarbeiten, seine Lebensgefährtin war gerade gestorben. Das hat ihn schwer beschäftigt“, sagt Schieferdecker. Eine Auseinandersetzung mit der theologischen Aussage des Kreuzes als Symbol für den Tod Christi und der dann folgenden Auferstehung könnte Anlass gewesen sein, den Kirchenraum in genau dieser Art zu gestalten.
Verunsicherte Gemeinde, begeisterte Touristen
Der Pastor ist bereit, sich mit dem ungewöhnlichen Konzept auseinander zu setzen. Seine Gemeinde allerdings zeigte sich anfangs verunsichert und empört, und bis heute gibt es gespaltene Meinungen, berichtet er: Da sind die einen, die überhaupt nichts mit der Gestaltung ihrer Kirche anfangen können. Es gibt Widerstand, und die Lokalzeitung berichtet „Vom Kreuz mit den Kreuzen“. Dann sind da die anderen, die stolz beobachten, dass St. Marien weit über das Elbufer bekannt geworden ist, dass Radtouristen begeisterte Bemerkungen ins Gästebuch schreiben. „Immerhin gehört die Tripkauer Kirche in den letzten Jahren zu den am meisten besuchten Kirchen unserer Gegend“, freut sich Schieferdecker.
Als Theologe kann Matthias Schieferdecker mit einigem Nachdenken durchaus etwas Anfangen mit dem künstlerischen Konzept Ehrlers. „Das Kreuz Christi ist natürlich etwas Einmaliges. Aber in der Gestaltung unserer Kirche kommt zum Ausdruck, dass es im Leben der Menschen eine Vielzahl ganz unterschiedlicher Kreuze gibt. Das kann ich in meinen Predigten gut aufgreifen, und die Menschen in den Bänken haben diese Symbolik immer vor Augen.“
Stefan Branahl