Sucht bei Menschen mit Behinderung

Wenn aus dem Feierabendbier mehr wird

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Immer mehr Menschen mit Behinderung leben selbstständig in ihren Wohnungen. Das ist gut so. Aber damit steigt auch das Risiko, dass sie suchtkrank werden. Die Caritas und das Papenburger St.-Lukas-Heim haben ein Präventionsprojekt gestartet – mit Hilfe von jungen Leuten.


Sechs junge Leute aus Papenburg haben einen Flyer entwickelt, der Menschen mit Behinderung über die Gefahren übermäßigen Alkoholkonsums aufklären will. Foto: Petra Diek-Münchow

Bier und Schnaps gibt es bei uns an fast jeder Ecke. Auch Dieter D. (Name geändert) kann im Kiosk oder im Supermarkt Alkohol kaufen, ohne dass jemand nachfragt. Wenn er abends in seiner Wohnung Sport oder Filme im Fernseher guckt, trinkt er dabei gerne ein Pils. Aber mit der Zeit sind aus einem Glas vier bis fünf Bier geworden – und daneben steht manchmal auch der eine oder andere „Korn“.  

Irgendwann bemerken seine Kollegen in der Caritas-Werkstatt Nördliches Emsland, dass Dieter D. sich verändert hat: Er kommt zu spät zur Arbeit, ist nicht bei der Sache – kann seinen Alkoholkonsum offenbar selbst nicht mehr kontrollieren. Und er versteht nicht, dass er auf einem schleichenden Weg in die Abhängigkeit ist. Denn der 32-jährige Papenburger hat eine leichte geistige Behinderung. Deshalb fällt es ihm nicht nur schwer, seinen Alltag alleine zu regeln, sondern auch die Gefahren seines „Feierabendbieres“ richtig einzuschätzen.

Die Geschichte von Dieter D. ist laut Burchhard Speller und Karsten Schomaker (St.-Lukas-Heim) sowie Manfred Velt und Marion Feldmann (Caritasverband für den Landkreis Emsland, Fachambulanz Sucht ) kein Einzelfall. Zunehmend mehr Menschen mit Behinderung laufen nach ihren Worten Gefahr, zu viel Alkohol oder andere Suchtmittel zu konsumieren. Warum das so ist? Immer öfter leben sie statt im Heim in ambulant betreuten Wohnungen und haben dort zu Recht größere Freiheiten – aber damit auch einen einfacheren Zugang zu Alkohol. „Da fällt es nicht so schnell auf wie in einer stationären Einrichtung“, sagt Burchhard Speller. So ist es auch bei Dieter D., der in seiner eigenen Wohnung lebt und von der Wohnassistenz des St.- Lukas-Heimes in allen Aktivitäten des täglichen Lebens betreut wird. Komplette Kontrolle bedeutet das nicht und soll es auch nicht bedeuten, dann wäre die angestrebte Selbstbestimmung schnell wieder eingeschränkt.

„Unsere bisherigen Materialien sind dafür viel zu kompliziert“

Es gibt bei diesem Thema laut Manfred Velt und Marion Feldmann ein weiteres Problem. Bei der Forschung und Behandlung von Suchtkranken spielte der Personenkreis der Menschen mit geistiger Behinderung bisher keine große Rolle – auch nicht in der Ausbildung der Heilerziehungspflegerinnen und -pfleger. „Weil man fälschlicherweise davon ausging: Das passiert einfach nicht“, sagt Velt. Genauso wenig gab es laut Feldmann bisher spezielle Programme oder Methoden für diese Zielgruppe. „Unsere bisherigen Materialien sind dafür viel zu kompliziert.“ Denn Menschen mit geistiger Behinderung benötigten eine einfache Sprache und andere Räume, um über ihre Sucht nachdenken und reden zu können. 

Die Caritas und das St.-Lukas-Heim haben deshalb ein Präventionsprogramm gestartet, das Menschen mit Behinderungen helfen will, gesundheitsbewusster mit Suchtmitteln umzugehen (siehe auch „Zur Sache“). Mitgeholfen haben dabei sechs Schülerinnen und Schüler aus der Oberstufe des beruflichen Gymnasiums Gesundheit-Pflege. „Volle Kontrolle – Zeig dem Alkohol deine Grenzen“: So nennen Jannes Lampen und Annemarie Kalinowski, Jule Brake und Mareike Wellens, Peter Schmitz und Thorben Aalderks ihr Unterrichtsprojekt. Nach intensiven Recherchen in Büchern und im Internet, nach vielen Gesprächen mit Beratern und Mitarbeitern haben die jungen Erwachsenen mehrere Materialien entwickelt, die die Caritas und das St.-Lukas-Heim künftig einsetzen können.

Das ist zunächst ein Flyer, der Menschen mit Beeinträchtigung in einfacher Sprache und mit Bildsymbolen erklärt, warum und wie sie aufpassen müssen, wenn sie (zu viel) Alkohol trinken. Diese Faltblätter liegen jetzt bei der Caritas und an verschiedenen Stellen im Lukas-Heim aus. Für genau diese Zielgruppe haben die sechs jungen Leute außerdem eine inhaltlich ähnliche Präsentation erarbeitet, die zum Beispiel in den Werkstätten, Wohnheimen und bei Zusammenkünften gezeigt werden kann. Als Drittes haben die Schüler eine weitere Präsentation erstellt, die sich an Mitarbeiter und Betreuer der Sucht- und Behindertenhilfe im St.-Lukas-Heim und bei der Caritas richtet. Sie kann jetzt als Grundlage für künftige Fortbildungen dienen. Manfred Velt und Marion Feldmann sind von den Beiträgen der jungen Erwachsenen ganz begeistert. Und das Thema betrifft nicht nur Papenburg. Marion Feldmann kann sich gut vorstellen, dass die Erfahrungen sich auf andere Städte und Einrichtungen übertragen lassen. Ein überregionaler Fachtag ist für Ende Februar geplant.

Dieter D. hat das Projekt schon geholfen. Nach einigen gescheiterten Selbstversuchen, um mit dem Trinken aufzuhören, ging sein Wohnbetreuer mit ihm zur Caritas-Fachambulanz. Innerhalb der Wohnassistenz des St.-Lukas-Heimes Papenburg nimmt er nun an einem Angebot teil, das ihm hilft, seinen Alkoholkonsum zu kontrollieren. Wenn er jetzt beim Fußball ein Bier aufmacht, setzt er sich ein Limit: eine Flasche, mehr nicht.

Petra Diek-Münchow


Fachtagung Ende Februar in Papenburg

Mit dem durch Landesmittel und der Gesundheitsregion Emsland geförderten Projekt „Geistige Behinderung: Problematischer Konsum –(k)ein Thema?“. entwickeln der emsländische Caritasverband und das St.-Lukas-Heim in Papenburg für Menschen mit Behinderungen ein Konzept zum Umgang mit Suchtmitteln. Dabei denken die Träger zum Beispiel an Selbsthilfegruppen, eine veränderte Beratungsform oder Kurse mit einem Selbstkontrolltraining (SKOLL). Auch die Mitarbeiter in Werkstätten und anderen Einrichtungen der Behindertenhilfe sollen fortgebildet werden. 

Am 25. Februar findet dazu eine Fachtagung von 10 bis 15 Uhr in der Historisch-Ökologischen Bildungsstätte Emsland (HÖB) in Papenburg statt. Anmeldung bis 2. Februar per Fax: 0 59 31/98 42 52 oder per E-Mail: sucht.pbg@caritas-os.de