Interview mit Bischof Dominicus Meier
"Wir müssen aus alten Denkformen raus"
Foto: Thomas Arzner
Herr Bischof, wie haben sie sich eingelebt?
Ich bin gut angekommen – im Generalvikariat, in der Stadt. Meine Hauptbeschäftigung im Moment sind die Begegnungen, um viele Menschen kennenzulernen. Die Kontakte werden breiter, mit den Mitarbeitenden im Generalvikariat, zur Oberbürgermeisterin, in die Ökumene hinein. So langsam ist Osnabrück mir sehr vertraut. Ich bin also nicht nur Osnabrücker im Pass, sondern fühle mich auch so.
Sie haben lange im Kloster gelebt. Konnten Sie mönchisches Leben ins Bischofshaus retten?
Ich trage immer noch mein Ordensgewand. Das erinnert mich immer, dass ich Mönch bin. Ich versuche, in der Kapelle hier im Haus das Stundengebet zu halten. Nicht in der Vollform eines Klosters, aber doch als sehr bewusste Orientierung am Tag. Ich merke, es braucht immer diese Rückbindung und die Unterbrechungen, damit ich mich wieder neu sammeln kann.
Ein wichtiger Auftritt von Ihnen hätte die Pressekonferenz nach dem Missbrauchsgutachten sein sollen. Sie waren krank. Der Generalvikar hat Sie vertreten. Wo steht das Bistum in der Aufarbeitung des Missbrauchs?
Ich hatte Corona und lag mit Fieber im Bett. Aber ich habe direkt eine Stellungnahme abgegeben, dass wir dankbar sind für dieses Gutachten. Die Narrative, die das Gutachten beschreibt, helfen uns bei der Prävention, etwa in der Jugendarbeit. Das Bistum hat schon viele richtige Weichen im Schutzprozess gestellt. Ich bin im Gespräch mit dem Betroffenenrat, dem Ombudsmann, der Arbeitsgruppe zum Umgang mit Tätern und Beschuldigten und mit anderen Beauftragten. Es ist mir wichtig, dass der Schutzprozess im Bistum gut in die Zukunft geführt wird.
Sie waren schon in Bremen und Ostfriesland unterwegs. Was ist Ihr erster Eindruck vom Bistum?
Es bestätigt sich die Diversität. Es gibt große Unterschiede zwischen Stadt und Land. Bremen zum Beispiel ist sehr multikulturell. Da gibt es polnische Gruppen – etwa eine Gemeinde, bei der samstags 170 Schülerinnen und Schüler zu einer eigenen Schule kommen –, Menschen aus Kroatien, Afrika oder Südostasien. Das sind stabile Säulen für das Gemeindeleben. Die Begegnungen waren sehr bewegend.
Was sind Ihre Eindrücke aus Ostfriesland?
Wir sind mit der Pfarrbeauftragten, Susanne Wübker, nach Langeoog gefahren. Da gibt es zurzeit drei Kommunionkinder. Kein einziges von ihnen kommt gebürtig von der Insel. Ihre Familien arbeiten im Tourismus. Frau Wübker weiß aber noch nicht, ob die Familien noch auf der Insel leben, wenn im nächsten Jahr Erstkommunion ist. Ich war in Esens, Norden, Aurich, Emden, Leer und im Kloster Ihlow. Die Gemeinden sind sehr lebendig und in der Ökumene gut aufgestellt. Bei allen Begegnungen waren die evangelische Pastorin oder der Pastor da. Da ist ein gutes Miteinander. Das finde ich einfach toll. Im Kloster Ihlow waren beim ökumenischen Gebet mehr als 70 Leute. Ich spüre da eine große Offenheit.
Offen, vielfältig und lebendig – so erleben Sie das Bistum?
Ja, das stimmt. In Leer gab es eine Gemeindeversammlung zum Leitbild. Die Gemeinden haben sich unter dem Namen Hermann Lange, einem der Lübecker Märtyrer, zusammengeschlossen. Dort gibt es auch eine Gedenkstätte. Sie fragen sich, was bedeutet das für uns? Sie sagen, wir brauchen Erfahrungsorte. Das meine ich auch: Glaube muss erfahrbar sein. Aber man spürte auch die Spannung. Es waren Ältere da, die etwa um den Kirchenchor trauerten. Jüngere sagten, es gibt doch jetzt was anderes.
Solche Veränderungen sind in allen Bereichen zu spüren. Haben Sie Schwerpunkte, die Sie setzen wollen?
Da liegt ein riesiger Berg vor mir: pastorale Fragen, Finanzprobleme, unsere ganzen Einrichtungen. Den Berg können Sie aber nicht in 100 Tagen bearbeiten. Es war jetzt Priesterrat und Dechantenkonferenz. Da haben wir zum Beispiel über die Firmung gesprochen. Ich erlebe Jugendliche oftmals mit einem dicken Rucksack von Problemen. Wir sollten helfen, diesen Rucksack leichter zu machen.
Was heißt das?
Wir brauchen neue Konzepte für das Sakrament der Firmung. Ich habe ermutigt zu experimentieren, um neue Formen zu finden. Das Jugendkloster Ahmsen wird einen Kurs anbieten, zu dem Jugendliche von überall eingeladen sind. Sie machen eine kurze, aber intensive Vorbereitung. Am Ende komme ich am Sonntagnachmittag zur Firmung. Wir probieren solche Dinge aus – mir ist wichtig, dass die Jugendlichen dabei immer im Mittelpunkt stehen. Denn dieses Sakrament ist ja Ermutigung für das Leben, soll bestärken und nicht neue Fragen hinterlassen.
Wir müssen uns um die jungen Menschen kümmern. Das ist unsere Zukunft.
Was sind weitere Fragen, die sich Ihnen stellen?
Wie gehen wir mit den rückläufigen Besucherzahlen in den Gottesdiensten um? Neben dem Priestermangel haben wir mittlerweile einen Gemeindemangel. Was macht die jeweilige Gemeinde aus? Wir schauen immer auf die Messfeier. Was sind andere gottesdienstliche Formen? Wie beleben wir sie? Das Morgen- oder Abendlob, die Wortgottesfeiern mit Kommunionspendung. Wir machen gerade eine Befragung der Gemeinden, um zu sehen, was schon passiert.
Diese anderen Formen beheben aber nicht den Gemeindemangel.
Die Gemeinden müssen selber merken, dass andere Formen genauso wertvoll sind wie die Messe. Da gibt es viele verengte Bilder. Es ist wichtig, mit der Gemeinde eine Form zu haben, mit Gott in Verbindung zu kommen und diese Vielfalt wertzuschätzen. Wir brauchen unterschiedliche Orte, etwa für Jugendliche oder für junge Familien. Die suchen häufig was anderes als den typischen Sonntagsgottesdienst.
Was können das für Orte sein?
In unserer Gesellschaft gibt es eine große Frage von Religiosität und Spiritualität. Dafür müssen wir nach Orten und Formen schauen. Wenn ich in den zehn Jahren hier nur an einer Stelle etwas erreicht habe, war es schon sinnvoll, dass ich hier war. Zu unseren Wallfahrtsorten kommen viele unterschiedliche Menschen. Es sind neutrale Orte, wo es auch Zeit gibt für Gespräche. Dann müssen wir schauen, wo Liturgieformen den Bedarfen der Menschen vor Ort angepasst werden können. Etwa als Krabbelgottesdienst. Oder für Schüler. Musik spielt dabei eine wichtige Rolle. Ein anderes Beispiel habe ich in Aurich gesehen: Dort gibt es im Dekanatsbüro 18 einfache Zimmer. Für die Jugendlichen ist wichtig, dass sie dort übernachten können, wenn sie an einer Veranstaltung teilnehmen – wegen der teils sehr weiten Wege. So muss man schauen, wie wir Räume schaffen, wo junge Leute da sein können.
Sie sprechen sehr viel über Jugendliche und junge Menschen. Wird das ein Schwerpunkt für Sie?
Sicher. Das ist die Zukunft. Ich will die anderen nicht ausklinken. Die brauchen wir auch. Aber die haben wir bislang meist viel besser im Blick als diejenigen, die auf der Suche sind. Wir müssen uns um die jungen Menschen kümmern bis hinein in die Kitas. Ich erlebe dort Erzieherinnen und Erzieher, die großartige Katecheten sind. Dort wird täglich grundlegende Arbeit geleistet.
Gibt es Dinge, die das Bistum künftig lassen muss?
Das ist eine ganz große Frage. Können wir alle Einrichtungen halten? Das Thema haben wir gerade bei den Krankenhäusern. Es betrifft auch die Trägerschaft der Schulen. Müssen wir nicht unsere Schulstiftung zu einer größeren Eigenständigkeit entwickeln? Müssen wir Einrichtungen vom Bistum zur Caritas verschieben? Caritas ist Kirche. Wir müssen wieder deutlicher machen, wie stark wir darüber kirchlich in die Gesellschaft hineinwirken.
Bei diesen Fragen geht es auch um Geld. Wie sehen Sie die Finanzsituation des Bistums?
Die aktuellen Jahresabschlüsse und Haushaltspläne werden gerade erarbeitet. Es ist an vielen Stellen nicht unbedingt rosig. Man hat sicher in den letzten Jahren an einigen Stellen Aufgaben übernommen, die wir auf Dauer nicht mehr leisten können. Wir werden auch die Struktur des Generalvikariats anpassen. Dazu arbeitet gerade eine Beratungsgesellschaft, auch die Mitarbeiter werden befragt. Da gibt es viele Ideen. Das müssen wir nicht erfinden, sondern zusammentragen.
Welche Fragen werden da angesprochen?
Da geht es etwa um den Zuschnitt der Abteilungen und um die Klärung, wie sich Aufgaben für die Zukunft verändern. Wir erwarten von allen Gemeinden und Einrichtungen im Bistum die Bereitschaft, Gewohntes zu prüfen und den Wandel zu gestalten. Wir werden insgesamt mit weniger Mitteln auskommen müssen. Das gilt auch für die zentralen Einrichtungen rund um den Dom.
Änderungen gibt es auch im Domkapitel.
Drei Domkapitulare sind über 75 und deshalb in diesem Jahr ausgeschieden. Der nächste wird im März 75 Jahre alt. Innerhalb des ersten Dreivierteljahres meiner Zeit wird das halbe Domkapitel neu besetzt. Wie machen Sie das, wenn Sie keinen kennen? Ich hole mir Rat. So wird die Suche nach möglichen Kandidaten viel transparenter.
Kirche geschieht nicht nur rund um den Kirchturm.
Aber holen Sie sich Pfarrer aus der Fläche des Bistums als residierende Domkapitulare nach Osnabrück?
Ich kann doch keinen Pfarrer zum residierenden Domherrn machen, nur damit er hier sitzt. Ich werde neue Domkapitulare ernennen, sie aber von der Residenzpflicht befreien. Die nächsten Domkapitulare werden mehrheitlich Leute aus der Fläche sein. Die können per Video an den Sitzungen teilnehmen. Dafür müssen aber Regelungen verändert werden, weil in den Satzungen Präsenz vorgesehen ist. Das überprüfen wir gerade. Genauso wie die Gremienstruktur. Die muss effektiver werden. Das wird ein Thema der Bistumsklausur im Januar.
Für die Gemeinden im Bistum gibt es unterschiedliche Leitungsmodelle. Pfarreien mit einem Pfarrer, Pfarreiengemeinschaften, Pastorale Koordinatoren, Pfarreileitung durch Laien. Sind das zukunftsfähige Modelle?
Es ist das, was zurzeit realistisch ist. Wir müssen akzeptieren, dass verschiedene Modelle nebeneinanderstehen dürfen. Und wir müssen auch wahrnehmen, dass es Unterschiede gibt. Es gibt Gemeinden, die lassen sich leicht auf neue Dinge ein. Und es gibt andere, die tun sich schwerer. Da muss ich schauen, wie man den verschiedenen Interessen entgegenkommen kann.
Andere Diözesen führen ihre Pfarreien durch Fusionen zu sehr großen Einheiten zusammen. Das scheint nicht Ihr Modell zu sein?
Das ist für mich zurzeit nicht das Modell. Aber auch deshalb, weil wir die Erlebnisorte brauchen, von denen ich gesprochen habe. Die Pfarrei als Verwaltungsebene kann ruhig groß sein. Dafür gibt es technische Möglichkeiten. Das entlastet den Geistlichen und die Gremien vor Ort. Kirche geschieht ja nicht nur rund um den Kirchturm, sondern an ganz vielen anderen Stellen. Dieses Kirchenbild aufzusprengen, ist eines der größten Themen der nächsten Zeit. Das machen wir auch bei der Bistumsklausur. Unsere Seelsorgeabteilung hat dafür den Auftrag, ein Bild der Kirche der Zukunft vorzustellen.
Aber viele Menschen kleben doch noch sehr an ihrem Kirchturm.
Wenn engagierte Christen vor Ort sind, können sie sich natürlich auch künftig um ihren Kirchturm versammeln. Aber es wird nicht immer noch hauptamtliches Personal dabei sein. Wir können nicht überall jemanden hinsetzen. Es gab im Sauerland den Begriff des Kirchspiels. Das war immer eine größere Einheit. Es gab einen Ort, da weiß man, wann Messe ist, wann Sakramente gespendet werden. Dann gab es zugeordnete Orte, die gestalteten das, was sie konnten. Der oder die Geistlichen waren mit ihnen im Austausch. Ich finde den Begriff schön: Wie können wir heute Kirchspiel, sprich spielerisch Kirche sein? Da müssen wir aus alten Denkformen raus. Hier im Bistum wird übrigens nur in Emsbüren vom Kirchspiel gesprochen.
Es ist nicht mehr weit bis Weihnachten. Wie werden Sie Weihnachten feiern?
Die Christmette hier im Dom ist der Pfarrgottesdienst, den der Pfarrer hält. Daher werde ich Heiligabend wahrscheinlich nicht im Dom sein, sondern dorthin gehen, wo Not ist und aushelfen. In einer Pfarrei oder bei Ordensschwestern. Hier im Bischofshaus werden dann Bekannte zu Besuch sein, so dass ich Weihnachten nicht ganz allein bin.
Interview: Astrid Fleute, Ulrich Waschki
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Zur Person
Dominicus Meier ist seit dem 8. September Bischof von Osnabrück. 1982 trat der heute 65-Jährige in die Benediktinerabtei Königsmünster in Meschede ein. 2001 wurde er dort Abt. Ab 2015 war er Weihbischof in Paderborn.