Matthias Sellmann im Interview
"Wir wollen ein Hoffnungszeichen setzen"
Foto: Martin Steffen
Warum machen Sie die dennoch-Konferenz?
In den vergangenen Jahren spüren wir alle in der Kirche sehr viele enttäuschende, negative Entwicklungen: Die Pfarrverbände werden immer größer. Die Bistümer haben Schwierigkeiten, Priester zu finden. Wir hören schlimme Nachrichten über sexuellen Missbrauch. Wir lesen von Kirchenaustrittsrekorden. All das belastet die Menschen, denen die Kirche am Herzen liegt. In diese Stimmung hinein wollen wir ein Hoffnungszeichen setzen.
Bleiben wir kurz bei der Stimmung. Können Sie sie noch genauer beschreiben?
Ich glaube, das dominierende Gefühl ist Erschrecken darüber, dass Missbrauch und seine Vertuschung etwas mit dem System von Kirche zu tun haben, nicht mit einzelnen Personen. Dazu kommt eine enorme Ratlosigkeit. Es gibt aber auch sehr viel Trauer. Und ein großes Gefühl der Vergeblichkeit. Viele Menschen strengen sich sehr an, in ihrer Familie, in ihrer Nachbarschaft, in ihrer Gemeinde für gute religiöse Erlebnisse zu sorgen – und merken doch, dass ihre Energien verpuffen. Viele ärgern sich über nicht oder falsch gefällte Entscheidungen im Vatikan. Und über die Vorgänge um Kardinal Woelki in Köln.
Wie soll Ihre Konferenz da ein Hoffnungszeichen setzen?
Wir sind froh, dass der Synodale Weg die strukturellen Probleme der Kirche bearbeitet. Bei der Konferenz wollen wir den Mut, die Tatkraft und die Hoffnung der Menschen stärken, die wir gerade jetzt brauchen – in Zeiten, in denen die Kirche in einem so großen Umbruch steckt. Wir wollen kein Happening feiern und keine billige „Jesus liebt dich“-Stimmung erzeugen. Sondern die Probleme ernstnehmen und in der allgemeinen Verunsicherung an das erinnern, wofür Kirche gegründet worden ist und wofür es sich lohnt, weiterzumachen. So ist der Titel „dennoch“ zustande gekommen.
Was soll er bedeuten?
Wir haben uns gefragt: Welches Wort bringt die positive Energie, die wir vermitteln wollen, aber auch den Realismus, den man in diesen Zeiten haben muss, am besten auf den Punkt?
So sind Sie bei „dennoch“ gelandet?
Genau. „dennoch“ bedeutet etwas anderes als „trotzdem“. Der Unterschied ist hauchdünn, aber er ist wichtig. Wenn jemand „trotzdem“ sagt, ist er in einer negativen Weise fixiert auf das, was er überwinden will. „Dennoch“ ist positiver und konstruktiver. Eine dennoch-Stimmung hat ihren Frieden mit der Krise geschlossen, die wir gerade durchmachen – weil sie weiß, es gibt etwas Stärkeres als diese Krise.
Haben Sie dafür ein Beispiel?
Wenn meine Familie mich nervt und ich sage, ich fahre „trotzdem“ mit ihr in den Urlaub, dann will ich mir eigentlich nur selbst beweisen: Ich kann das, auch wenn’s doof ist. Das „trotzdem“ klingt irgendwie bockig und schlecht gelaunt. Wenn ich aber „dennoch“ mit meiner Familie in den Urlaub fahre, dann sage ich: Das, was uns verbindet, ist stärker als das, was uns trennt – und ich will den Urlaub nutzen, um diese schöne Basis zwischen uns zu stärken. Wir wollen Menschen mit dennoch-Qualitäten starkmachen. Und wir merken, dass dieses Wort funktioniert. Denn unsere 520 Teilnehmerplätze waren schnell ausgebucht.
Was passiert bei der Konferenz konkret?
Die Konferenz soll den Teilnehmerinnen und Teilnehmern eine vierfache Krafterfahrung bieten. Erstens zeigt sie ihnen die Kraft der Weite. Thomas Arnold …
… der Direktor der Katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen …
… erklärt: Warum ist Kirche für eine moderne Gesellschaft wichtig? Und wie hilft unser Christsein der Demokratie? Zweitens geht es um die Kraft der Tiefe. Es wird eine ausführliche Möglichkeit geben, über die Frage nachzudenken: Warum engagiere ich mich in der Kirche? Was fasziniert und motiviert mich in der Kirche? Wem bin ich dort dankbar? Drittens geht es um die Kraft der Professionalität. Wir stellen in 25 Workshops neue handwerkliche Ideen und Methoden vor und bilden die Leute ganz praktisch weiter. Und viertens geht es um die Kraft der Sendung. Wir feiern starke Liturgien und hören beeindruckende Zeugnisse, die uns helfen sollen, motiviert zurück in unsere Orte und Gemeinden zu gehen.
Konkret anwendbar klingen für mich vor allem die Workshops. Um welche Fragen geht es da?
Es geht um Fragen wie: Wie finde ich meine Zielgruppen – und wie komme ich mit ihnen in Kontakt? Wie kann Kirche sich an den Bedürfnissen der Menschen orientieren und sie begeistern? Warum machen wir eigentlich Kirche? Wie erschließen wir neue Geldquellen für unsere Pfarrei?
In vielen Gemeinden gibt es eingefahrene Strukturen und Denkweisen, auch bei Ehrenamtlichen. Gibt die Konferenz Tipps, um auch dieses Problem zu überwinden?
Ja. Wir haben Workshops zur Frage: Wie beginne ich einen Innovationsprozess? Auf welche typischen Blockademuster treffe ich da? Wie argumentiere ich überzeugend für meine Vorhaben? Wir wollen bei unserer Konferenz viele Wege zeigen, wo es in der Kirche der Zukunft hingehen kann. In einem Workshop geht es auch um die Frage: Wie heben wir die Talente in unserer Gemeinde?
Was könnten da Antworten sein?
Ich habe dazu selbst in den USA ein schönes Beispiel erlebt. Da waren ein paar alte Damen, die konnten super stricken. Und sie haben Fürbitten gestrickt.
Ernsthaft?
Ja! Das hört sich jetzt vielleicht komisch an, aber ich fand das wunderbar. Die Damen waren in einem Strickklub und sie haben gesagt: Wir können nicht mehr groß rumlaufen und riesige Menschenmengen begeistern, aber wir können zusammen stricken. Gebt uns die wichtigsten Fürbitten!
Und dann?
Dann hat die Gemeinde ihnen Fürbitten gegeben. Zum Beispiel die Fürbitte einer Frau: „Ich bete für meine kranke Tochter, die hat eine schwierige OP.“ Die Damen haben dann einen Gebetsschal gestrickt, auf dem die Fürbitte stand: „Gott, gib Segen für die Operation von Kathy Miller.“ Und während sie gestrickt haben, haben sie ein Gesätz des Rosenkranzes für Kathy gebetet. Der Schal wurde im nächsten Gottesdienst über den Altar gehängt. Für die Frau, die darum gebeten hatte, war das sehr bewegend. Und mir hat es gezeigt: Jeder Mensch kann etwas einbringen.
Was passiert mit den Tipps aus den Workshops?
Wir haben jede Workshop-Leitung gebeten, uns vorab drei Tipps zu geben – damit aus den 25 Workshops zumindest schon mal 75 konkrete Tipps rauskommen. Die Tipps drucken wir auf Postkarten und hängen sie an eine Wand. Dazu gibt es Blanko-Postkarten, auf denen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihre eigenen Tipps ergänzen können. Jeder kann sich Karten abnehmen und so eine ganze Handwerkskiste von Verbesserungsideen mit nach Hause nehmen.
Wie wollen Sie es schaffen, dass die Tipps nicht nur schöne Theorie bleiben, sondern auch die Alltagspraxis in den Gemeinden prägen?
Ich glaube, wenn die Konferenz richtig gut läuft, sind wir danach alle ein bisschen widerstandsfähiger als davor. Wir lassen uns leichter faszinieren und weniger leicht frustrieren – auch wenn’s zu Hause mal schwierig ist. Wir lassen uns begeistern von unserer Gottesgeschichte und unserem Glauben und sagen: Das ist mein Rüstzeug, das ist meine Geschichte, dazu will ich stehen.
Das klingt ja fast romantisch.
So ist es aber nicht gemeint. Unsere Konferenz soll gerade kein romantisches Meeting werden, in das man sich drei Tage flüchtet, um dann wieder in die graue Realität zurückzukehren. Sondern sie soll sich an der Realität orientieren. Und die Realität ist: Die Kirche durchlebt gerade eine äußerst schwierige Zeit. Und wenn die Verantwortlichen in nächster Zeit ihren Job nicht gut machen und endlich strukturelle Reformen beschließen, dann können wir noch so viele dennoch-Konferenzen veranstalten und es wird nichts bringen. Aber wir brauchen eben auch Orte, an denen wir Kraft tanken und Kräfte bündeln – und unsere Konferenz soll einer dieser Orte sein.
Kommen denn neben Theologinnen, Bischöfen und Bistumsverantwortlichen auch Praktiker aus Gemeinden?
Absolut, ja. Ich schätze, etwa die Hälfte der angemeldeten Gäste sind Hauptamtliche und Ehrenamtliche aus Gemeinden.
In vielen Gemeinden schrumpft die Zahl der Hauptamtlichen und der Ehrenamtlichen massiv. Wie soll die Konferenz da helfen?
Wenn das Konzept unserer Konferenz aufgeht, wird ihre Botschaft hoffentlich öffentlich stark wahrgenommen und verbreitet. Sie wird eine Erfolgsmeldung auch für die sein, die nicht teilnehmen können. Und die Menschen bringen die konstruktiven Ideen in ihre Freundeskreise, Büros und Nachbarschaften. Sie sagen: „Ich habe wieder Lust, in dieser Kirche zu sein, und ich erzähle auch davon.“ Die Konferenz ist eine große Motivationsspritze, für alle, die dabei sind – und für ihre Umgebung.
Das klingt sehr optimistisch, nachdem im vergangenen Jahr mehr als 500 000 Menschen aus der katholischen Kirche in Deutschland ausgetreten sind.
Klar ist: Wir können mit der Konferenz nicht die Kirchenkrise wegzaubern und die gesamte Großwetterlage plötzlich ändern. Dafür muss viel mehr passieren. Es müssen auf dem Synodalen Weg entscheidende Reformen kommen. Aber wir können uns untereinander neu motivieren und uns klarmachen, wie wertvoll unsere Kirchenmitgliedschaft ist und welchen Wert die Kirche für unsere Gesellschaft haben kann.
Zu Ihrer Konferenz kommen auch Teilnehmer aus dem Ausland: aus Belgien, den Niederlanden, Norwegen, Frankreich. Was können wir Deutsche von denen lernen?
Sie werden die Konferenz beleben. Der französische Theologe Arnaud Join-Lambert zum Beispiel bietet einen Workshop an, in dem er ein Forschungslabor für kirchliche Innovation vorstellt. Er ist ein total interessanter Mann, er ist in der ganzen französischsprachigen Kirchenwelt führend und hat sogar das Ohr des Papstes. Der Trondheimer Bischof Erik Varden wiederum kann aus einer starken Diaspora-Erfahrung berichten. Von unseren ausländischen Gästen können wir lernen, wie andere Kirchen unter anderen Bedingungen funktionieren.
Was bringt das?
Das erhöht, glaube ich, die Bereitschaft zu sagen: Auch unsere Bedingungen können sich verändern – und wir können trotzdem auch dann immer noch in guter Weise katholisch bleiben.
Was meinen Sie damit?
Zum Beispiel: Man muss keine Kirchensteuer haben. Man muss keine riesigen Kirchengebäude haben. Und man muss auch nicht überall Priester haben, um in guter Weise katholisch zu sein. Es ist übrigens total wichtig, dass wir auch evangelische Gäste haben, weil man bei ihnen sieht: Dass Frauen Priester werden können, ist ganz normal und dadurch bricht nicht die Kirchenwelt zusammen. All diese Einblicke weiten den Horizont.
Sie klingen sehr begeistert. Viele andere Engagierte in der Kirche haben resigniert. Was treibt Sie an?
Ich bin dankbar für die Erfahrungen, die ich durch die Kirche gemacht habe – und ich will ihr gerade jetzt, in diesen schwierigen Zeiten, etwas zurückgeben. Ich will zu meinen Wurzeln stehen und ihnen treu bleiben.
Welche Erfahrungen hat die Kirche Ihnen denn geschenkt?
Ich habe wirklich eine Menge Bücher gelesen, eine Menge Vorträge gehört und eine Menge Dokumentationen gesehen. Aber nichts hat mich bisher so fasziniert und herausgefordert wie die Geschichten, Gedanken und Taten von Jesus. Ich habe viele Menschen kennengelernt, die Jesus so geprägt hat, dass sie sehr frei, sehr großzügig und sehr unabhängig geworden sind. Das beeindruckt mich.
Glauben Sie daran, dass diese Kirche eine Zukunft hat?
Ich glaube, dass wir gerade durch eine radikale Krise gehen. Aber ich glaube auch, dass es gut wäre, durch diese Krise hindurchzuschauen – und zu sehen, dass danach noch jede Menge übrigbleibt: der Kern unseres Glaubens und die christliche Botschaft. Am liebsten wäre ich jetzt schon an diesem Punkt – und hätte die ganzen Reformen und Verlusterfahrungen, die kommen werden, schon hinter mir.
Wie sähe Ihr Idealbild von dieser Kirche nach der Krise aus?
Das ist eine Kirche, die fromm ist, geistlich und weise. Und sie hat alle Reformen realisiert, die der Synodale Weg vorschlägt. Es gibt verbindliche Beratungen und Entscheidungen und Wahlen durch Priester und Gläubige. Es gibt Bischöfe, die sich vor ihrem Kirchenvolk verantworten. Es gibt einen anderen Umgang mit Finanzen. Frauen sind Diakonin und Priesterin. Diese Kirche ist deutlich ökumenisch, die Katholiken teilen sich mit den evangelischen Christen die Gebäude, sie feiern vielleicht sogar die Gottesdienste zusammen. Diese Kirche ist kampagnenfähig und lässt in guter Weise von sich hören.
Was noch?
Die Christinnen und Christen verstehen sich viel, viel stärker als Bürgerinnen und Bürger, die Verantwortung in ihrer Kommune, ihrem Dorf, ihrem Stadtteil übernehmen und das als Ausdruck ihres Glaubens begreifen. Mystik, Spiritualität und Ordenscharismen spielen eine stärkere Rolle als heute. Und diese Christinnen und Christen erzählen sehr frisch und faszinierend von Gott und ihren Erfahrungen mit ihm, ohne diese erwartbaren Textbausteine und Floskeln, in denen wir heute sprechen. So eine Kirche, für die setze ich mich ein.
Interview: Andreas Lesch
Zur Sache:
Die dennoch-Konferenz findet vom 15. bis 17. September in Hannover statt. 520 Menschen aus Deutschland, aber auch aus Belgien, den Niederlanden, Norwegen und Frankreich nehmen teil. Sie hören Vorträge, arbeiten in Workshops und lassen sich von geistlichen Impulsen inspirieren.
Veranstalter der Konferenz sind das Bistum Hildesheim, das Bonifatiuswerk, das Zentrum für angewandte Pastoralforschung an der Ruhr-Universität Bochum und die Organisation Porticus, die die Unternehmerfamilie Brenninkmeijer bei ihren gemeinnützigen Aktivitäten berät und betreut.
Weitere Informationen unter: https://dennoch.eu