Was gibt’s denn da zu feiern?
50 Jahre Pfarrgemeinderäte im Bistum Mainz

1968 gilt vielen als Jahr des Aufbruchs. Aufbruchstimmung auch in der katholischen Kirche, auch im Bistum Mainz. Die ersten Pfarrgemeinderäte (PGR) wurden gewählt – Beginn eines synodalen Systems der Mitsprache von Laien. Ein Interview zum 50. Geburtstag. Gefeiert wird am Pfingsmontag.
50 Jahre pastorale Räte – was gibt’s denn da zu feiern?

Ulrich Janson: Die „Erfindung“ der Pfarrgemeinderäte in Folge des Zweiten Vatikanischen Konzils war vor 50 Jahren ein revolutionärer Schritt. Damit war die Möglichkeit geschaffen, dass Laien als Mandatsträger in der Kirche mitdenken, mitreden, mit entscheiden. Es bleibt also nicht dem Zufall oder dem guten Willen der Beteiligten überlassen, ob Laien und Amtsträger der Kirche im Gespräch sind.
Martina Reißfelder: Mit der ersten Wahl der Pfarrgemeinderäte hat das Miteinander von Laien und Priestern eine Struktur erhalten. Daraus entstand ein synodales System der Mitsprache und Mitbestimmung durch Laien.
Was ist die Aufgabe der Räte?
Ulrich Janson: Aufgabe der Pfarrgemeinderäte ist es zu schauen, wie die Situation am Ort ist, was die Menschen brauchen, wie in ihrem Leben der Glaube eine Rolle spielen kann, wie sie eine Heimat im Glauben finden können. Die Seelsorgeräte sollen die Zusammenarbeit mehrerer Gemeinden im Blick haben, überlegen, wie sich in der größeren Einheit christliche Gemeinschaft entwickeln kann. Für die Dekanatsräte gilt dies ähnlich im Blick auf noch größere Räume. Im Idealfall sind die Räte „Denkstuben“.
Martina Reißfelder: Das gilt für alle Ebenen. „Denkstuben“, in denen Menschen miteinander Perspektiven entwickeln – für die Pfarrgemeinde, die größere Seelsorgeeinheit, das Dekanat oder das Bistum. Als wesentlich sehe ich auch die Verantwortung der Mitglieder, als Multiplikatoren zu wirken, die verschiedenen Ebenen zu vernetzen. So sind etwa die Mitglieder des Katholikenrats von ihren Dekanaten und Verbänden delegiert. Damit sind sie auch dafür verantwortlich, Inhalte weiterzugeben und zu beraten. Jedes Katholikenratsmitglied muss sich bewusst sein: Ich bin als Vertreter einer größeren Gruppe hier – das verpflichtet.
Sie sagen, im Idealfall sind die Räte Denkstuben. Wie sieht die Wirklichkeit beispielsweise in den Pfarrgemeinderäten aus?
Ulrich Janson: Viele PGR sind leider bessere Festausschüsse. Manchmal liegt es daran, dass Hauptamtliche dem Gremium nicht mehr Verantwortung zugestehen. Manchmal entspricht es den Erwartungen von Gemeindemitgliedern – denen oft auch nicht wirklich klar ist, was ein Pfarrgemeinderat ist. Sie meinen: Die sollen das mal machen – dafür haben wir sie gewählt. Und manche Pfarrgemeinderäte lassen sich da hineinmanövrieren. Es liegt natürlich mit an ihnen, wenn sie nicht klar machen, was ihre Rolle ist. Sie tragen mit dem Pfarrer und den anderen Hauptamtlichen die Verantwortung für das Leben der Pfarrgemeinde, sie sollen Perspektiven entwickeln und Schwerpunkte setzen.
Hat der PGR wirklich was zu sagen? Der Pfarrer hat ja ein Vetorecht.

Info unter: www.pgr.bistummainz.de
Foto: Bistum Mainz
Ulrich Janson: In der Präambel des Statuts heißt es, dass der PGR an der Leitung der Gemeinde beratend beteiligt ist. Außerdem steht im Statut: Im PGR sollen sich Pfarrer und die übrigen Mitglieder über die Angelegenheiten der Gemeinde informieren, gemeinsam darüber beraten und gemeinsame Beschlüsse fassen. Ich denke, ein Pfarrer tut gut daran, den PGR ernstzunehmen. Es ist auch für ihn hilfreich, wenn viele die Verantwortung mittragen – und gemeinsam gefasste Beschlüsse gemeinsam vertreten.
Was ist Ihrer beider Funktion als Referent für Pfarrgemeinde-, Seelsorge- und Dekanatsräte und als Geschäftsführerin der diözesanen Räte?
Martina Reißfelder: In erster Linie sind wir für Menschen, die sich in den Räten engagieren, „Gesichter“, Ansprechpartner. Im Alltag geht es für mich darum, Schwerpunkte und Themen des Bistums in den diözesanen Gremien zu koordinieren.
Ulrich Janson: Wir sind dazu da, die Räte zu begleiten und zu unterstützen. Eine Mammutaufgabe ist alle vier Jahre die Vorbereitung und Durchführung der Wahlen. Für neue Mirglieder biete ich Einführungsveranstaltungen an. Neben der Begleitung und Befähigung durch die Hauptamtlichen in Gemeinde und Dekanat bieten wir auch vom Bistum aus Fortbildungen an, außerdem gestalte ich Klausur-Wochenenden für einzelne PGR und biete Coaching für Vorstände an.
Bei welchen Themen werden Sie am häufigsten angefragt?
Ulrich Janson: Am häufigsten bei Konflikten, leider immer wieder auch mal mit dem Pfarrer – oft, weil etwas mit der gegenseitigen Kommunikation nicht stimmt. Aber auch bei strukturellen oder pastoralen Fragen: wenn Gemeinden überlegen, enger zusammenzuarbeiten, einen Gesamt-PGR zu bilden oder zu fusionieren. Auch wenn ein Besuchsdienst für neu Zugezogene eingerichtet oder die Öffentlichkeitsarbeit verstärkt werden soll.
Vorausdenken, Perspektiven entwickeln, Verantwortung übernehmen – das klingt reizvoll. Trotzdem ist es in den Gemeinden nicht einfach, Kandidaten zu finden. Woran liegt’s?
Ulrich Janson: Viele Menschen sind beruflich und familiär dermaßen eingedeckt, dass sie sich die Aufgabe nicht zumuten können und wollen. Leute zu finden, die sich projektorientiert einsetzen, ist wesentlich einfacher.
Martina Reißfelder: Eine Mitarbeit für einen überschaubaren Zeitraum trauen sich viele neben ihren anderen Verpflichtungen zu. Sich für vier Jahre zu binden, fällt vielen dagegen schwer.
Manche sind während einer Amtszeit schon gefrustet. Was könnten Ursachen sein?
Zum Beispiel, dass die Gemeinde vom PGR erwartet, dass er alle anfallenden Arbeiten zu erledigen und alles Bestehende aufrecht zu erhalten hat. Wenn etwas Neues für wichtig erachtet wird, wird es oft draufgesattelt – statt mal zu überlegen: Was können wir lassen? Das führt Menschen in die Überlastung. Es muss allen Beteiligten bewusst werden: Es geht um die Seelsorge an den Menschen, nicht um Selbsterhalt.
Was erwarten Sie unter diesen Vorzeichen für die Zukunft?
Ulrich Janson: Es wird neue Formen von Gemeinde und Gemeindeleitung geben; und sicher bringt dieser Veränderungsprozess auch Veränderungen für die Gremien mit sich. Ich kann mir vorstellen, dass es unterschiedliche Formen der Leitungsbeteiligung von Laien nebeneinander gibt. Es bleibt spannend!
Interview: Maria Weißenberger