Projekt der Berufsschulen
796 Kreuze für tote Kinder
Es sind Kreuze gegen das Vergessen – gestaltet von Berufsschülerinnen und -schülern. Sie erinnern an Kinder, die in einem katholischen Heim in Irland starben. Der Läufer und Kinderbotschafter John McGurk bringt die Kreuze, die im Dom überreicht wurden, an den Ort des Leids.
Die Kinder starben an Masern, Lungenentzündung und Tuberkulose. Manche sind einfach verhungert. Ihre Skelette wurden schon im Jahr 1975 entdeckt – auf dem Gelände eines ehemaligen Heims für „gefallene Mädchen“ (ledige Mütter) in der westirischen Kleinstadt Tuam. Doch niemand forschte nach. Erst viele Jahre später stellte sich heraus, wer für dieses Massengrab verantwortlich war: Nonnen des katholischen Ordens Sisters of Bon Secours, die das Heim betrieben hatten und dort ein erbarmungsloses Regime führten. Die Babys lediger Mütter waren in ihren Augen „Ausgeburten des Satans“. Dafür wollten die Nonnen die „gefallenen Mädchen“ bestrafen.
2012 fand die Historikerin Catherine Corless heraus, dass zwischen 1925 und 1961 796 Kinder in dem Heim in Tuam gestorben waren. Corless hatte sich von der Kommunalverwaltung auf eigene Kosten Kopien der Sterbeurkunden besorgt. Aber für lediglich ein Kind gab es eine Bestattungsurkunde. Die Kinder waren auch auf keinem Friedhof in der weiteren Umgebung des Heims beerdigt worden. Die Historikerin ermittelte schließlich, dass die Kinderleichen hinter dem ehemaligen Heim verscharrt worden waren. Manche hatte man einfach in den Abwassertank auf dem Gelände geworfen. Viele waren Neugeborene, das älteste Kind war neun Jahre alt.
Religionslehrer unterstützen das Projekt
Im Oktober vergangenen Jahres bestätigte eine Kommission der irischen Regierung das Schicksal dieser Kinder. Doch Tuam war kein Einzelfall. Der im Januar 2021 veröffentlichte Kommissionsbericht ergab, dass zwischen 1922 und 1998 in 18 untersuchten Heimen 9000 Kinder starben – etwa 15 Prozent aller Kinder, die in den Heimen untergebracht waren.
Um an diese Kinder zu erinnern, startete der Osnabrücker Sportler und Botschafter für Kinder in Not, John McGurk, das Projekt „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Er trat an mehrere Berufsbildende Schulen (BBS) heran, um mit Hilfe der Schülerinnen und Schüler für jedes tote Kind in Tuam ein Kreuz zu gestalten – 796 an der Zahl.
Der Verband Katholischer Religionslehrerinnen und -lehrer an Berufsbildenden Schulen unterstützte McGurks Vorhaben. Stephanie Deeken und Mareike Klekamp entwickelten Arbeitsblätter, Podcasts und Clips für den Distanz- und Präsenzunterricht im Fach Religion. In Hopsten, Ibbenbüren, Lingen, Nordhorn und Osnabrück nahmen 16 Berufsbildende Schulen mit 45 Klassen teil. Und so beschäftigten sich etwa 900 Schülerinnen und Schüler mit der Situation der unehelich geborenen Kinder sowie ihrer Mütter in Irland und Deutschland, dem Thema Menschenwürde und dem Menschen als Gottes Abbild. Sie tauschten sich auch mit John McGurk aus, der einen Teil seiner Kindheit in Schottland ebenfalls in Heimen verbrachte und dort grausam gequält wurde. Die 796 Kreuze wurden Anfang Juli im Osnabrücker Dom an McGurk und sein Team übergeben – im Beisein von Generalvikar Ulrich Beckwermert und Oberbürgermeister Wolfgang Griesert.
Ursprünglich sollte eine kleine Delegation Ende Juli die Kreuze von Osnabrück nach Tuam bringen, um sie an die Historikerin Catherine Corless und Angehörige der verstorbenen Kinder zu übergeben. Doch der Lauf muss auf 2022 verschoben werden.
3750 Kilometer beim 24-Stunden-Lauf
Alternativ fand nach der Kreuzübergabe im Dom ein 24-Stunden-Benefizlauf unter dem Motto „Tag der vergessenen Kinder“ statt. Die Läuferinnen und Läufer, darunter Schülerinnen und Schüler der BBS Marienheim, BBS am Schölerberg und BBS Brinkstraße, drehten ihre Runden um den Rubbenbruchsee in Osnabrück.
In Nordhorn liefen Klassen der Berufsbildenden Schulen Gesundheit und Soziales, Grafschaft Bentheim und „schickten“ 205 Kilometer. Am Ende kamen 3750 Kilometer zusammen, die nun von Sponsoren des Vereins Sportler 4 a children‘s world „bezahlt“ werden. (mk/asa)
Zur Sache
Die Berufsschülerinnen und -schüler setzten sich auch in sehr persönlichen Briefen (auf Deutsch und Englisch) mit dem Schicksal der toten irischen Kinder auseinander. Wir drucken den Brief von Franziska Stiehm und Judith Funke, BBS Marienheim in Osnabrück (Übersetzung Julika Schatte):
Hallo Thomas Walsh!
Dear Thomas Walsh!
Du kennst mich zwar nicht und ich dich eigentlich auch nicht.
You do not know me, and I also do not really know you, too.
Aber ich weiß, dass du wahrscheinlich nur zwei sehr anstrengende Monate zu leben hattest.
But what I know is that you only lived for two months.
Du warst eine Frühgeburt und bist am 28.03.1943 gestorben.
You were a premature infant and died on March 28th, 1943.
Es tut mir leid, dass du keine Chance hattest zu leben.
I feel deeply sorry that you were not given the chance to live.
Du wurdest an einem Ort geboren, an dem viele Kinder in deinem Alter dasselbe durchmachen mussten und ebenso gestorben sind.
Where you were born, many children suffered from the same hardship and also died too early.
Es tut mir leid, dass in deiner Zeit uneheliche Kinder wie du als Schande angesehen wurden.
It is not right that children like you were considered a disgrace, they call you „illegitimate“ children.
So etwas sollte nicht sein, denn du bist so viel wert wie jedes andere Kind und jeder andere Mensch und hättest die Chance auf ein lebenswertes Leben bekommen sollen.
This is wrong, because you are just as valuable and unique as every other human being, and you deserved to live.
Genauso wenig hattest du es verdient, in ein Massengrab geworfen zu werden, als wärst du nichts wert gewesen.
Burying you in a mass grave was another grievous wrong that people did to you. They treated you as if you were worthless.
Denn das stimmt nicht.
But that is not true.
Du bist etwas wert und ich hoffe, dir geht es besser und ich wünsche dir Ruhe und Frieden.
You are valuable and I truly hope that you can rest in peace now.