Christliches Werteverständnis in die Pflege einbringen

Altenhilfe mit Anspruch

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Die Mitarbeiter der Caritas-Trägergesellschaft „St. Elisabeth“ begleiten alte Menschen in Thüringen. Zentrales Anliegen ist es, dies aus christlichem Werteverständnis zu tun. Geschäftsführer Fürsich über die Herausforderungen:

Ein moderner, meditativer Raum in der Caritas-Altenpflegeeinrichtung Haus Clara in Weimar soll Einladung für Christen wie Nichtchristen sein, Ruhe zu finden und vielleicht in den Kontakt zwischen Erde und Himmel zu treten.
Foto: Caritas-Trägergesellschaft „St. Elisabeth“

 

Herr Fürsich, Thüringen ist immer weniger christlich geprägt. Die Caritas Trägergesellschaft „St. Elisabeth“ versucht dennoch, mit christlichem Anspruch alten Menschen ein gutes Leben zu ermöglichen und Beheimatung zu bieten. Wie gelingt das?

Das ist eine Herausforderung, aber es ist möglich. Zunächst ist es wichtig, dabei unser Handeln auf die Werte zu konzentrieren, die wir leben wollen: Nächstenliebe, Barmherzigkeit. Das sind christliche Werte, aber sie sind auch unabhängig von Kirche aktuell. Sie sind notwendig, um eine Gesellschaft positiv zu prägen. Deshalb gelingt es auch heute, dem christlichen Anspruch nahe zu kommen, dass Menschen gut leben und gut sterben können. Leider ist die Kirche zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um auf diesem wichtigen Feld neue Visionen zu entwickeln.

Wie sieht das konkret aus, in der Altenhilfe christliche Werte zum Zuge kommen zu lassen?

Das fängt beim Tischgebet und Feiern christlicher Feste an und reicht bis zu einer menschenwürdigen Sterbekultur. Das christliche Leben muss sich konkret zeigen. Wichtig ist, dass in jeder Einrichtung darüber nachgedacht wird und daraus eine konkrete Praxis erwächst. Sich Werte anzueignen, kann nur im Dialog wirklich gelingen. Man muss um Lösungen ringen. Es muss uns auszeichnen, miteinander im Gespräch zu sein: mit den Bewohnern, mit den Angehörigen, unter den Kollegen. Werte unseres Leitbildes zu realisieren kann zum Beispiel konkret heißen, dass konfessionslose Mitarbeiter etwa in der Sterbebegleitung stellvertretend für die alten Menschen ein Gebet sprechen. Oder dass ein Seelsorger auch mit nichtchristlichen Bewohnern gut im Gespräch ist.

Da viele Ihrer Mitarbeiter keine Christen sind, ist dies sicher für alle Beteiligten dennoch nicht einfach …

Zunächst muss den Mitarbeitern das Unternehmensleitbild klar sein und sie müssen bereit sein, sich darauf einzulassen. Da erwarte ich ehrliche Zustimmung. Eigentlich empfinde ich die Situation hier in Thüringen manchmal als sehr befreiend im Vergleich zu meinen Erfahrungen in Bayern. Dort werden oft Traditionen vollzogen, deren Sinn von vielen nicht mehr verstanden wird und die auch nicht mehr gelebt werden. Hierzulande ist vielen Menschen die christliche Praxis zunächst fremd, aber sie lassen sich darauf ein. Es geht authentischer zu, und das ist gut so. Viele auch nichtchristliche Mitarbeiter schätzen unser Bemühen, unsere Pflegearbeit wertorientiert zu leisten. Und ein Gefühl dafür, was menschenwürdige Pflege heißt, haben viele, wenn sie zum Beispiel nur an ihre Eltern denken. Wichtig ist eine Art Übersetzungshilfe im Sinne von: Vieles, was euch wichtig ist, ist uns Christen ebenfalls wichtig, und umgekehrt.

Entwickeln nichtchristliche Mitarbeiter ein Empfinden dafür, was es heißt, sich an der christlichen Botschaft zu orientieren?

Entscheidend ist, Respekt vor der Würde jedes Mitmenschen zu empfinden. Pflege ist ein ganz intimes Handeln. Da können schnell Grenzen überschritten werden. Und dies nicht nur beim Waschen und Kämmen. Das verstehen auch unsere nichtchristlichen Mitarbeiter. Und damit sind sie nahe dran an der christlichen Botschaft.
Gemeinsam ist uns klar, dass dies täglich gelebt werden muss und unsere größte berufliche Herausforderung ist. „Unsere Leidenschaft ist der Mensch. Jeder liegt uns am Herzen“, heißt es in unserem Leitbild. Wo es um Leidenschaft geht, wird immer auch gelitten, Leid erfahren. Auch bei unserer Arbeit leiden wir mit Bewohnern mit, wir leiden manchmal am oder im Team oder auch an uns selbst. Das ist so im engen Miteinander. Zugleich aber macht diese Nähe zu Menschen auch die Freude am Beruf aus.

Gundekar Fürsich ist Geschäftsführer der in Erfurt ansässigen Caritas-Trägergesellschaft „St. Elisabeth“. Er ist im Verband Katholische Altenhilfe in Deutschland engagiert und ist Mitglied der Arbeitsgruppe Altenpastoral der Deutschen Bischofskonferenz.
Foto: Eckhard Pohl

Gibt es in Ihren Einrichtungen für die Mitarbeiter spezielle Weiterbildungen im Blick auf christliche Werte?

Derzeit läuft fünf oder sechs Mal im Jahr ein verpflichtender Einführungstag für neue Mitarbeitende. Es gibt Veranstaltungen über die christlichen Feste und deren Gestaltung. Das neueste Projekt sind Oasentage, an denen man freiwillig teilnehmen kann. Und die durchaus Zuspruch haben. Denn unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter suchen Orientierung in der jetzigen Krisenzeit. Ich biete zu Besprechungen regelmäßig einen geistlichen Impuls an. Ich versuche, selbst Vorbild zu sein, und möchte, dass die Mitarbeiter und insbesondere die Leitungskräfte spüren, dass mir die christliche Dimension in unseren Einrichtungen extrem wichtig ist.

Gibt es auch für die alten Menschen besondere Angebote?

Wir sind dabei, auch mit eigenen  Mitarbeitern mehr seelsorgliche Angebote zu schaffen. In Weimar etwa macht Clemens Roschka in unseren Einrichtungen mit seinem Gesprächs- und Seelsorgeangebot sehr gute Erfahrungen. So konnte sich zum Beispiel ein Bewohner, der lange sehr verschlossen war, durch Begegnungen mit ihm öffnen und bringt sich nun in die Wohngemeinschaft ein. Übrigens nehmen Roschkas Angebot nicht nur Christen in Anspruch. Auch nichtchristliche Menschen fragen sich: Woher komme ich? Wohin gehe ich?

Gesprächsangebote, Angebote der Seelsorge sind gefragt ...

Ja, wir brauchen mehr offene Seelsorge. Seelsorger hören zu, begleiten und können Impulse geben. Aber auch andere Angebote können hilfreich sein: Unser Mitarbeiter-Magazin „lebensräume“ vermittelt Anregungen. In unserer Einrichtung Haus Clara in Weimar zum Beispiel, in der wir Servicewohnen, Tagesbetreuung und Leben in einer ambulant betreuten Wohngemeinschaft anbieten, haben wir angrenzend an die Cafeteria einen modern gestalteten, meditativen Raum eingerichtet. Der kleine Kapellenraum, früher hätte man vielleicht Herrgottswinkel gesagt, soll auch Nichtchristen einladen, Ruhe zu finden, er kann für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein Angebot sein, zwischendurch mal durchzuschnaufen, ein Ort, in dem sich Erde und Himmel verbinden können. Überhaupt laden wir unsere Mitarbeiter immer wieder ein, die hauseigenen Kapellen als Rückzugsort im stressigen Alltag zu nutzen.
Bei alledem geht es darum, Traditionen auf das Wesentliche zu reduzieren und die lebensbejahende Botschaft des Evangeliums zu vermitteln. Das versuche ich zum Beispiel, wenn ich zu jedem Elisabeth-Tag allen Mitarbeitern schreibe.

Wie wichtig ist eine Anbindung der Einrichtungen an die Gemeinden?

Mir ist es extrem wichtig, dass unsere Häuser in den Pfarrgemeinden verortet sind. Wenn unsere Häuser christliche Lebensorte und -räume sein sollen, gehört es dazu, dass Menschen aus unseren Gemeinden sich dort einbringen. Ich halte es auch für sehr sinnvoll, dass in den Hauskapellen der Häuser Gottesdienste stattfinden und Menschen von draußen dazukommen. Außerdem müssen wir noch mehr in Besuchsdienste investieren. Ehrenamtliche können das Personal mit einfachen Dingen entlasten. Es kann sinnvoll sein, mit der Gemeinde gemeinsam Feste zu gestalten. Durch mehr Beziehungen und Verbindungen kann für alle Beteiligten mehr Lebensqualität entstehen.

Interview: Eckhard Pohl