Impuls zur Sonntagslesung am 22.10.2023

Arbeit und Mühe

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Paulus von Rembrandt gemalt
Nachweis

Foto: wikimedia/José Luiz Ribeiro

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Auch für Paulus war das Glaubensleben manchmal hart. Gemälde von Rembrandt van Rijn, 1627

Die Lesung aus dem ersten Thessalonicherbrief klingt sehr bekannt: Glaube, Liebe, Hoffnung. Doch zu dem Hochzeitsklassiker aus dem ersten Brief an die Korinther gibt es kleine, aber feine Unterschiede.

War es vielleicht auch Ihre Hochzeitslesung? Oder die Ihrer Tochter, Ihres Patenkindes, Ihres Enkels? „Für jetzt bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; doch am größten unter ihnen ist die Liebe.“ Erster Korintherbrief, Kapitel 13, Vers 13 – doppelte Glückszahl, was soll da schon schiefgehen in der jungen Ehe.

Weniger bekannt als dieser Hochzeitstext ist die Lesung dieses Sonntags aus dem Brief an die Gemeinde in Thessaloniki. Er ist nachweislich älter, in gewisser Weise zitiert Paulus sich im Brief an die Korinther selbst – vielleicht ahnte er den Erfolg des griffigen Dreischritts „Glaube, Hoffnung, Liebe“. Aber hier, in der Grußformel ganz am Anfang des Briefs an die Thessalonicher, formuliert Paulus noch ein bisschen anders, ein bisschen weniger griffig, ein bisschen weniger romantisch. Aber dafür konkreter. Es heißt dort:

Unablässig erinnern wir uns vor Gott, unserem Vater, an das Werk eures Glaubens, an die Mühe eurer Liebe und an die Standhaftigkeit eurer Hoffnung auf Jesus Christus, unseren Herrn.

Der erste auffällige Unterschied ist die Reihenfolge. In der Rhetorik – und Paulus war ein guter Rhetoriker – gilt im Dreischritt, vornehm Trikolon genannt, das dritte Glied als Höhepunkt der Reihe. „Veni, vidi, vici – ich kam, sah, siegte“, schrieb Julius Caesar. Oder, um im Thema zu bleiben: verliebt, verlobt, verheiratet.

Dass Paulus im Brief an die Thessalonicher die Reihenfolge „Glaube, Liebe, Hoffnung“ wählt, ist also kaum als Zufall zu bezeichnen. Im Jahr 49/50 war für ihn offenbar die Hoffnung das Größte unter diesen dreien. Konkret: die Hoffnung auf eine baldige Wiederkehr Jesu; die Hoffnung auf ein Ende der Welt; die Hoffnung auf ein Leben in Gottes Reich. Bald. Sehr bald.

Sie hofften vergeblich auf das Ende

Bald, sehr bald, mussten die ersten Christen jedoch einsehen, dass ihre Naherwartung – wie man das heute nennt – vergeblich war. Vielleicht hatten sie Jesus zu wörtlich genommen, als er sagte: „Diese Generation wird nicht vergehen, bevor dies alles geschieht“; vielleicht hatten sie seine Einschränkung überhört: „Keiner kennt den Tag und die Stunde, nicht einmal der Sohn ...“ 

Wie auch immer: Die Pauken und Trompeten aus dem Himmel blieben aus, das Leben blieb so einfach oder schwierig, so arm oder reich, so frei oder unterdrückt, wie es vorher war. Jedenfalls äußerlich. Wurde die Sache mit der Hoffnung also schwieriger? Ändert Paulus deshalb die Reihenfolge? Wir wissen es nicht.

Der zweite Unterschied liegt in einer Konkretion, denn Paulus versieht jede der drei Tugenden Glaube, Liebe und Hoffnung mit einem Attribut, einer Beschreibung. Und die sind durchaus interessant. Es beginnt so:

Unablässig erinnern wir uns vor Gott, unserem Vater, an das Werk eures Glaubens ...

Aha: Der Glaube ist nach Ansicht des Paulus keine denkerische Leistung, keine Herzensangelegenheit, keine innere Überzeugung – der Glaube ist ein Werk, er hat also offenbar vor allem mit Tun zu tun.

Was dieses praktische Tun ist, beschreibt er später: „Ihr habt von uns gelernt, wie ihr leben müsst, um Gott zu gefallen.“ Die Rede ist dann davon, Unzucht zu meiden, in achtungsvoller Weise mit Frauen umzugehen, bei Geschäften nicht zu betrügen. Bemerkenswert, dass für Paulus ein anständiges Leben ein „Werk des Glaubens“ ist.

... an die Mühe eurer Liebe ....

Auch interessant: Liebe ist Mühe. Klar, dass diese Variante bei Brautpaaren weniger beliebt ist. Wer will am Tag der Hochzeit schon hören, dass es Mühe machen wird, die Liebe zu bewahren und zu leben. Dabei wird jedes langjährige Ehepaar bestätigen können: So ist es. Liebe macht Mühe. Sicher mal mehr, mal weniger. Aber wer sich die Mühe nicht macht, wird über kurz oder lang vor dem Scheidungsrichter stehen.

Und Mühe macht nicht nur die eheliche Liebe. Auch die Liebe zu den Eltern, ja sogar die zu den eigenen Kindern kann manchmal mühsam sein. Auch wenn man es nicht immer zugeben will.

Noch viel mehr Mühe macht die Nächstenliebe, der Einsatz für andere. Wieviel bequemer ist es, auf dem Sofa zu sitzen oder sein Geld für den eigenen Urlaub auszugeben? Ja, Ehrenamt und Nachbarschaftshilfe können lohnend sein, aber fragen Sie mal rum beim Caritaskreis, im Flüchtlingsheim, beim Krankenhausbesuchsdienst: Das alles macht auch Mühe. Paulus weiß das, und gerade deshalb dankt er der Gemeinde in Thessaloniki für die Mühe ihrer Liebe. Ich hoffe, Ihre Gemeinde dankt auch ab und zu.

... und an die Standhaftigkeit eurer Hoffnung ...

Womit wir wieder beim Höhepunkt der Dreierreihe wären, bei der Hoffnung. Und bei der Standhaftigkeit, die man in der Hoffnung braucht, nicht nur, wenn man auf die Wiederkunft Christi wartet.

Standhaftigkeit brauchen alle, die auf eine Erneuerung der Kirche hoffen; alle, die vor Krieg und Hunger fliehen müssen und auf eine gute Aufnahme in der Fremde und eine gute Zukunft für ihre Kinder hoffen; alle, die auf Genesung von schwerer Krankheit hoffen; alle, die dem Sterben entgegensehen, und alle, die nicht herausfinden aus der Trauer um einen geliebten Menschen.

Vielleicht hat Paulus in seiner ersten Fassung ja doch recht: Die größte unter ihnen ist die Hoffnung. Denn wenn der Glaube schwach wird und die Liebe schwindet, kann die Hoffnung dennoch bestehen. Wenn sie standhaft ist.

Susanne Haverkamp