Filmkritik zu "Der Affront"

Bin ich Jesus?

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Lohnt es, sich einen libanesischen Spielfilm anzuschauen? Der in Beirut spielt, auf dem Hintergrund der komplizierten Konflikte in Nahost, die ein normaler Mensch kaum mehr versteht? Was „Der Affront“ angeht, lautet die Antwort: Ja. Von Hubertus Büker.

Alles fängt mit einem Abflussröhrchen an. Aus ihm läuft das Wasser ab, wenn Toni den Balkon seiner Wohnung abspritzt. Nur: Wer dann zufällig unten auf der Straße geht oder steht, der kriegt das Wasser auf den Kopf.

Ist Yasser (Kamel el Basha) bereit zur Versöhnung? | Fotos: Alpenrepublik Filmverleih
Ist Yasser (Kamel el Basha) bereit zur Versöhnung? | Fotos: Alpenrepublik Filmverleih

So wie Yasser, Vorarbeiter eines Bautrupps, der in dem Beiruter Stadtviertel gerade im Einsatz ist. Für Yasser ist es eine Kleinigkeit, die zwei Meter zwischen dem Abfluss und der Regenrinne mit einem Verbindungsrohr zu überbrücken. Also macht er das mal eben, aus Nettigkeit und gratis. Damit könnte nun alles gut sein. Doch Toni greift zum Hammer und haut das neue Rohr kaputt. „Scheißkerl!“, entfährt es Yasser.

Offenbar geht es nicht nur um einen Abfluss. Automechaniker Toni ist Libanese und Christ, Yasser hingegen Muslim und Palästinenser, einer von Hunderttausenden Flüchtlingen, die seit Jahren im Libanon leben. Sie werden von Einheimischen wie Toni nur zähneknirschend geduldet.

Für den „Scheißkerl“ verlangt Toni eine Entschuldigung von Yasser. Der erklärt sich dazu sogar bereit. Aber als sich die beiden Kontrahenten gegenüberstehen, wollen Yasser die entscheidenden Worte partout nicht über die Lippen, woraufhin Toni ihn böse provoziert: „Sharon hätte euch alle eliminieren sollen!“ Er meint damit Ariel Sharon, den 2014 verstorbenen israelischen Offizier, Minister und schließlich Regierungschef, als kompromissloser Feind der Palästinenser bekannt. Yasser rastet aus. Mit einem kräftigen Boxhieb bricht er Toni zwei Rippen.

Nun kommt die Angelegenheit vor Gericht. Yasser wird in erster Instanz freigesprochen. Toni lässt sich daraufhin von einem prominenten Anwalt vertreten, der alle Register zieht und das Interesse der Öffentlichkeit weckt. Der zweite Prozess erregt Aufsehen. Es kommt zu Tumulten im Gerichtssaal, zu Straßenschlachten. Selbst der libanesische Ministerpräsident greift vermittelnd ein. Und das alles wegen eines simplen Abflussröhrchens ...

Wenn sich die einen als Opfer der anderen sehen

Nein, natürlich nicht deswegen. Sondern wegen der Vorbehalte und Aggressionen, die zwischen den Volksgruppen herrschen. Weil sich die einen als Opfer der anderen sehen – und umgekehrt. Weil Menschen es einfach nicht schaffen, den ersten kleinen Schritt zu tun, der Richtung Versöhnung führen kann. „Bin ich Jesus, der auch noch die andere Wange hinhält?“, fragt Toni einmal.

Ja, es lohnt, für diesen libanesischen Film ins Kino zu gehen. Die im unübersichtlichen Nahostkonflikt weniger bewanderten Zuschauer mögen nicht jedes Detail verstehen. Aber sie begreifen ohne Probleme den Kern der Story: wie sich ein banaler Streit mit scheinbar unausweichlicher Folgerichtigkeit zu einer Katastrophe auswachsen kann und wie sich das dennoch verhindern lässt – wenn denn nur einer die Hand ausstreckt und ein anderer sie zu ergreifen wagt. Das ist in Beirut nicht anders als überall sonst auf der Welt.

Beide Gegner schätzen deutsche Wertarbeit

„Der Affront“, der seine ernste Geschichte mit einer gehörigen Prise Humor würzt, war in diesem Jahr im Rennen um den Oscar für den besten fremdsprachigen Film. Er hat die Trophäe nicht gewonnen, aber allein die Nominierung gilt als Auszeichnung. Und als Hinweis darauf, dass der Film ein internationales Publikum erreichen kann.

Das deutsche darf, nebenbei, erfreut feststellen, dass sich Toni und Yasser bei einem Thema einig sind: Beide schätzen deutsche Wertarbeit. Wenn Yasser einen stabilen Kran braucht, muss es ein deutsches Fabrikat sein. Das chinesische Ersatzteil für den Automotor wirft Toni direkt in den Müll. Mit einem Kommentar, den Yasser sofort unterschreiben würde: „Gebraucht aus Deutschland ist besser als neu aus China.“

Alpenrepublik FilmDer Affront.
Libanon/Frankreich 2017.
Regie: Ziad Doueiri.
Mit Kamel El Basha, Adel Karam.
110 Minuten.
Kinostart: 25. Oktober
www.deraffront-film.de

 

 

 

Die Kirchenzeitung hat 3 x 2 Kinokarten für den Film verlost. Gewonnen haben: Julia Rettinghaus, Mainz; Sybille Tietze, Frankfurt; Waltraud Spitzer, Wörrstadt