Streit ums „Papierklavier“

Chronik einer Nicht-Preisverleihung

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Das Buch „Papierklavier“ bekommt nicht den Katholischen Jugendbuchpreis 2021, obwohl die zuständige Jury es vorgeschlagen hat. Genau aus dem Grund werden jetzt viele auf das „Papierklavier“ aufmerksam. Warum der ganze Vorgang der Kirche schadet. Von Ruth Lehnen


Das Jugendbuch „Papierklavier“: Maias Schwester ist so begabt am Klavier. Da die Familie kein Geld hat, übt sie jetzt am „Papierklavier“. Hauptfigur Maia will ihr unbedingt zu Klavierstunden verhelfen.


Irgendwas mit Corona, das war der Eindruck, als die Deutsche Bischofskonferenz zum Thema Katholischer Kinder- und Jugendbuchpreis 2021 am 6. April folgende Sätze veröffentlichte: „Im Jahr 2021 wird kein Preisbuch gekürt. Auch die in München geplante Preisverleihung muss coronabedingt ausfallen.“ In der gleichzeitig veröffentlichten Empfehlungsliste befand sich nicht das Buch von Elisabeth Steinkellner „Papierklavier“, illustriert von Anna Gusella, Beltz & Gelberg, 14,95 Euro.
Der Kölner Stadt-Anzeiger wollte es genauer wissen. Er berichtete Anfang Mai, die Jury habe das Buch „Papierklavier“ auszeichnen wollen, der Ständige Rat der Deutschen Bischofskonferenz aber die Zustimmung verweigert. Düpiert stand die aus zehn Fachleuten bestehende Jury da, der unter anderen der Trierer Weihbischof Robert Brahm und Professor Markus Tomberg aus Fulda angehören. Sofort schossen die Spekulationen ins Kraut: Was hat den Unmut der Bischöfe geweckt?
12. Mai: Die Süddeutsche Zeitung schreibt unter der Überschrift „Abgekanzelt“ über die Gründe, wieso das Buch „Papierklavier“ nach Ansicht der Bischöfe nicht preiswürdig ist: Nicht nur sei die Freundin der 16-jährigen Hauptfigur Maia transgender, das heißt, laut Ausweis ein Mann, sondern: „Es kommen aber auch vor: die Promiskuität einer 16-Jährigen, die von Dreiern und Vierern erzählt und damit keine Schulnoten meint. Die Mutter von Hauptfigur Maia, die alleinerziehend ist und drei Töchter von drei verschiedenen Männern hat. Eine tote Ersatzoma, deren Leben nach dem Tod vielleicht nur darin besteht, von Tieren und Bakterien zersetzt zu werden.“
Diese Zusammenfassung stellt eine extreme Zuspitzung dar. So geht es bei den „Dreiern und Vierern“ um eine Unterhaltung zwischen pubertierenden Mädchen, vielleicht um eine Art Aufschneiderei. Maia, die Hauptfigur, steht den (verbalen?) Experimenten ihrer Freundin eher distanziert gegenüber. Sie ist im Buch positive Identifikationsfigur und ziemlich edel und gut.
17. Mai: Der Arbeitskreis für Jugendliteratur und die Arbeitsgemeinschaft von Jugendbuchverlagen äußern sich in einem Offenen Brief „mit Erstaunen und Unverständnis“ zu den Ereignissen. Der Arbeitskreis ist zuständig für die Vergabe des Deutschen Jugendliteraturpreises, auf dessen Nominierungsliste „Papierklavier“ ebenfalls steht. „Wir hoffen für die Zukunft“, heißt es, „dass in der Katholischen Kirche ein Umdenken stattfindet und sie sich nicht immer weiter von den Realitäten der Kinder und Jugendlichen entfernt.“
18. Mai in der „Süddeutschen“: „222 Kinderbuchautoren und -illustratoren haben in einem offenen Brief an den Ständigen Rat der Deutschen Bischofskonferenz dagegen protestiert, dass der Katholische Kinder- und Jugendbuchpreis in diesem Jahr nicht vergeben wird. Unter ihnen sind bekannte Schriftsteller wie Kirsten Boie, Paul Maar, Anke Kuhl und Finn-Ole Heinrich.“
18. Mai auf katholisch.de: Der Pressesprecher der DBK, Matthias Kopp, kommuniziert, aus Sicht der DBK handelt es sich bei der Nicht-Verleihung um einen „normalen Vorgang“. „Wir können keinen Eklat erkennen“, so Kopp.
20. Mai: Die Deutsche Bischofskonferenz meldet sich wieder zu Wort: „Wir bedauern sehr, dass wir dem Vorschlag der Jury nicht folgen konnten: Das Buch ,Papierklavier‘ bündelt eindrucksvoll wie in einem Brennglas die heutige Lebenswirklichkeit von Jugendlichen. Allerdings hat die Auffassung bei den Bischöfen überwogen, dass das Buch nicht hinreichend den Kriterien des Preises entspricht. Weder das Thema Transgender noch die Autorin ... waren hierfür entscheidend. Die Bischofskonferenz ist der Jury für ihre Arbeit dankbar. Wir haben Verständnis für die entstandenen Irritationen.“
Guido Schröer, Geschäftsführer des Borromäusvereins, schreibt im Internetauftritt des Vereins, der Dachverband der Katholischen öffentlichen Büchereien ist: „Auf jeden Fall erhoffe ich mir von den Bischöfen eine klare Antwort, warum das von der Jury ausgewählte und vom Schreiber dieser Zeilen als gut katholisches Jugendbuch bewertete ,Papierklavier‘ nicht mit dem Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreis ausgezeichnet wurde. Vielleicht liegt ja irgendein Missverständnis vor, das wir noch klären können. Für den Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreis 2022 wäre das jedenfalls lebensnotwendig.“
Das heißt: Die Nicht-Verleihung und anschließende Nicht-Erklärung der Gründe gefährdet das Gesamtprojekt „Katholischer Kinder- und Jugendbuchpreis“.
21. Mai: Der Osnabrücker Diakon Markus Fuhrmann hat beim Nachrichtenportal Twitter dafür geworben, „Papierklavier“ doch noch die 5000 Euro Preisgeld zukommen zu lassen, und zwar über private Spenden. Gegenüber katholisch.de sagt er, dass es den Bischöfen frei stehe, ihren Preis zu verleihen oder nicht. „Sie müssten aber damit rechnen, dass es Widerspruch gibt, wenn ein Buch, das von Fachleuten für einen Preis vorgeschlagen wird, ohne Begründung abgelehnt wird.“
27. Mai: In einem Interview der Beilage „Christ und Welt“ der „Zeit“ äußert sich erstmals Autorin Elisabeth Steinkellner zur Nicht-Preisverleihung. Sie sagt, sie habe von den Vorgängen allein aus den Medien erfahren. „Der Medienrummel setzt mir sehr zu.“ Die „katholisch sozialisierte“ Autorin gibt zu Protokoll, sie habe sich gefreut, dass die Jury ihr Buch ausgewählt hat, aber „falle nicht aus allen Wolken, dass das Buch womöglich dem einen oder anderen Bischof nicht passt“.
Sie vermutet als Gründe für die Ablehnung, „dass die Hauptfigur Maia eine starke Frauenfigur ist und eine feministische Haltung an den Tag legt oder dass Körperlichkeit in dem Buch eine Rolle spielt, Sexualität, auch mit einem genderfluiden Thema“.
27. Mai: Religionspädagoge und Jurymitglied Markus Tomberg gibt katholisch.de ein Interview. Er berichtet, in der Jury habe man sich über die Preiskriterien ausgetauscht: „Die Kriterien des Preises, die etwa 20 Jahre alt sind, erscheinen angesichts dieser Entwicklung nicht mehr ganz angemessen. Wir würden die Kriterien gern etwas moderner fassen, damit sie zum Buchmarkt passen, aber auch das kirchliche Anliegen wachhalten.“
Für ihn das wichtigste Kriterium: „Die preiswürdigen Bücher sollen aus meiner Sicht Transzendenz thematisieren, also den Himmel offenhalten.“ Dies sei beim „Papierklavier“ der Fall: „Es geht um den Tod und die Frage, was nach ihm passiert.“ Er sieht den Preis nicht als einseitigen Akt der Kommunikation, als Gabe der Bischöfe und der Kirche an die Autoren. Der Jury sei „besonders wichtig, dass die Kirche durch den Preis anfängt zu lernen, wie Jugendliche heute ticken. Der Preis soll keine Einbahnstraße sein, sondern eine Wechselbeziehung zwischen Kirche und Gesellschaft ausdrücken.“
 

Ein Kommentar: Misstöne

Mein Lieblingsbuch wird das „Papierklavier“ nicht werden, aber ich gehöre ja auch nicht zur Zielgruppe. Es sind mir einfach ein paar Prisen zu viel – ein bisschen queer, ein bisschen großes Herz für arme Leute, ein bisschen Trost am Schluss. Aber das Buch nicht auszuzeichnen und zu verschweigen, nachdem eine hochqualifizierte Jury es als preiswürdig ausgesucht hat: Das ist schlechter Stil.
Früher konnte sowas im Hinterzimmer verbleiben. Heute geht es tausendfach über Twitter und Facebook raus. Und eine Kirche, die keine Gründe nennt, steht dumm da: als verstockt, unmodern, diskriminierend. Wie schade sind diese Misstöne rund ums „Papierklavier“. Es ist unbedingt nötig, zu erkennen, dass dieser Preis nicht eine milde Gabe an Autoren ist. Sondern dass er zeigen soll, dass die Kirche ein Ohr hat am Herz der Kinder und Jugendlichen, dass sie ihr Leben interessiert, mit allen Freuden und Desastern rund um Liebe, Beziehung, Tod und (kaputter) Familie. Der Preis wurde beschädigt, die Kirche auch.

Ruth Lehnen, stellvertretende Redaktionsleiterin

 

Ruth Lehnen