Das babylonische Exil
Das Trauma des Volks Israel
Nichts hat das biblische Volk Israel so geprägt wie das babylonische Exil. Das anvertraute Land ist erobert, Jerusalem zerstört. Die heutige Lesung bietet eine Kurzfassung der Ereignisse. Wir erklären das ganze Drama.
Von Kerstin Ostendorf
Die Untreue des Volkes
Am Anfang steht die Missachtung der Gebote. Die Priester Israels dienen dem Gott Baal, errichten Kultstätten und laufen „unnützen Göttern“ hinterher, wie es beim Propheten Jeremia heißt. „Auf jedem hohen Hügel und unter jedem üppigen Baum hast du dich als Dirne hingestreckt“, wirft Gott seinem Volk wütend vor. Es ist ein Schmutzfleck vor seinen Augen.
Dann kommt König Manasse. Er regiert 696 bis 642 v. Chr. – und stiftet das Volk an, nicht länger auf Jahwe zu hören. Er gilt als loyaler Vasall der assyrischen Könige, die über Juda herrschen. Um die Tributabgaben zahlen zu können, errichtet er neue Siedlungen und fördert den Handel. Er muss aber auch fremde religiöse Kulte in Juda dulden. Die Bibel deutet das als Glaubensabfall und macht ihn für den Untergang Judas mitverantwortlich.
Die erste Deportation
Der Beginn des Exils fällt in eine Zeit der Umbrüche. Das fruchtbare Palästina, zwischen den Großmächten Ägypten und Assyrien gelegen, ist für beide Reiche von wirtschaftlicher und militärischer Bedeutung. Als in der Mitte des 7. Jahrhunderts v. Chr. die Babylonier an die Macht streben und den Assyrern den Platz streitig machen, will der israelitische König Joschija das Machtvakuum nutzen. Doch 609 v. Chr. verliert er die Schlacht gegen die Ägypter und stirbt.
Pharao Necho setzt Joschijas Sohn Eljakim als König ein und ändert dessen Namen in Jojakim – ein deutliches Zeichen, wer nun in Juda das Sagen hat. Zeitgleich fühlen sich die Babylonier nach dem Sieg über Assyrien aber als die wahren Herrscher über Juda. Jojakim verweigert Steuerzahlungen, so dass babylonische Truppen 598 v. Chr. die Stadt einnehmen.
Die Bibel erzählt, dass Jojakim stirbt und sein 18-jähriger Sohn Jojachin König wird. Dieser ergibt sich, um die Stadt zu schützen, und wird mit seiner Familie, dem Hofstaat und Teilen der Jerusalemer Oberschicht nach Babel verschleppt. Es ist der Beginn des Exils für die Israeliten, die Stadt und Juda werden aber noch nicht zerstört.
Die babylonischen Chaldäer
Die Chaldäer kamen vom Persischen Golf nach Babylonien, passten sich an die Lebensweise der Babylonier an und übernahmen die Sprache. Um 883 v. Chr. werden erstmals „babylonische Chaldäer“ erwähnt. 625 v. Chr. gelangen sie unter König Nabopolassar, Nebukadnezzars Vater, an die Macht. Die Ära des Neubabylonischen Reiches beginnt.
605 v. Chr. kann Nebukadnezzar die Ägypter besiegen. Juda wird zu einem Vasallenstaat Babylons. In seiner Regierungszeit gilt Nebukadnezzar als hervorragender Staatsmann und Heerführer. Er fördert den Ackerbau und den Handel und macht sich einen Namen als Bauherr: Er lässt Tempel, Kanäle und Prachtstraßen errichten. Ihm werden außerdem die Hängenden Gärten von Babylon zugeschrieben, die zu den sieben Weltwundern der Antike zählen.
Im Alten Testament wird Nebukadnezzar 129-mal erwähnt, er ist die wichtigste nichtjüdische Herrschergestalt. Er wird als Tyrann beschrieben, der etwa die Jünglinge in den Feuerofen werfen lässt. Der Prophet Jeremia bezeichnet ihn aber auch als Knecht des Herrn, als das Schwert Jahwes – Nebukadnezzar ist das Instrument Gottes, um Israel für den Glaubensabfall zu bestrafen. Das beginnt wie schon gesehen 598 mit der Einnahme Jerusalems. Aber dabei bleibt es nicht ...
Die Zerstörung Jerusalems
Nachdem Jojachin ins Exil nach Babel musste, setzt Nebukadnezzar dessen Onkel Mattanja als König Zidkija über Juda ein. Doch dessen Berater tendieren zu einer ägyptenfreundlichen Haltung – und somit lehnt sich Juda erneut gegen Babylon auf.
Nebukadnezzar belagert zwei Jahre mit seinen Truppen Jerusalem, ehe die Stadt 586 v. Chr. fällt. Im zweiten Buch der Könige heißt es, dass die Babylonier „das Haus des Herrn, den königlichen Palast und alle Häuser Jerusalems“ in Brand stecken. König Zidkijas Söhne werden getötet, er selbst geblendet und, wie es im Buch Jeremia heißt, mit 4600 Juden nach Babel verschleppt. Der Staat Juda existiert nicht mehr, sondern wird babylonische Provinz. Jerusalem bleibt 50 Jahre eine Ruinenstadt.
Das Leben im Exil
Die deportierten Juden leben in Babel in kleinen Gemeinschaften. Sie können ihre Religion ausüben und bewahren sich ihre Traditionen. Und sie widmen sich der Theologie: Die Katastrophe des Exils muss gedeutet werden. Hat Jahwe seine Verheißung an Israel zurückgenommen? Sind die heidnischen Götter der Babylonier doch stärker?
Die Priesterschaft versucht, Antworten zu finden. Die sogenannte Priesterschrift, deren theologische Spuren man in den fünf Büchern Mose finden kann, wird zum Zeichen der Hoffnung: Jahwe hat in der Schöpfung alles geschaffen, auch die in Babel verehrten Götter. Israel aber gehört zu Jahwe und die Beschneidung wird nun – neben dem Sabbat – zum Zeichen der Zugehörigkeit zum Gottesvolk. Außerdem erarbeiten die Priester Kultvorschriften für den Tempel, denn sie sind überzeugt: Jahwe wird sein Volk befreien und sie werden ihn wieder im Tempel von Jerusalem verehren. So wird die Katastrophe des Exils zu einem religiösen Neubeginn.
König Kyrus von Persien
Nach Nebukadnezzars Tod im Jahr 562 v. Chr. folgen ihm drei Könige, die nur kurz und unglücklich regieren. Ab 556 ist König Nabonid an der Macht. Doch Hungersnot, Wirtschaftskrise und Streit mit der babylonischen Mardukpriesterschaft lähmen das Land. Gleichzeitig wächst im Osten die Macht Persiens. König Kyrus II. besiegt die Meder und dringt bis ins heutige Anatolien vor. 539 v. Chr. erobern persische Truppen kampflos Babel.
Der neue Herrscher will die Randgebiete seines Reiches stärken und setzt dabei auf die Gunst der lokalen Machthaber. Daher erlaubt er auch den Juden die Rückkehr in die Heimat und empfiehlt, Jerusalem und den Tempel wieder aufzubauen. Für das Volk Israel ist das aber nicht in erster Linie eine politische Entscheidung, sondern eine Tat Gottes; Kyrus ist nicht gnädiger Herrscher, sondern Gottes Werkzeug.