Kerstin Heinemann vertritt katholische Kirche beim Filmfestival „Berlinale“
Den Horizont weiten lassen
„Sira“ heißt einer der Wettbewerbsbeiträge der diesjährigen Berlinale. Er erzählt die Geschichte einer Nomadin in der Sahelzone, die sich gegen islamistische Terroristen wehrt. Foto: Berlinale-Programm |
Mehrere hundert Filme werden in der diesjährigen Berlinale gezeigt. Auch wenn Kerstin Heinemann davon nicht einmal ein Zehntel zu sehen bekommt, sind die zehn Berlinale-Tage für sie eine anstrengende Zeit. Ihre volle Aufmerksamkeit ist gefordert, und auf jeden „gesichteten“ Film folgen intensive Diskussionen mit den anderen fünf Jurymitgliedern.
Die Münchner Religions- und Medienpädagogin sieht ihren Auftrag nicht darin, Filme auf ihre Haltung gegenüber der Kirche und dem christlichen Glauben abzuklopfen. „Wir suchen hier nicht zwingend den besseren Jesusfilm. In erster Linie geht es darum, Filme von hoher künstlerischer Qualität und Innovationskraft ausfindig zu machen, “, sagt sie. „Ein guter Film weitet unseren Blick auf die Welt, er lehrt uns zu sehen und zu verstehen“, zitiert sie Kulturstaatsministerin Claudia Roth. Was im Kleinen erzählt werde, weise oft auf Größereres hin. Darin sieht die katholische Christin durchaus eine Verbindung zu ihrer Religion. Letztlich sei die Bibel eine Aneinanderreihung von Geschichten, und in der Theologie versuche man, die Erzählungen mit all ihren Schattierungen zu verstehen und darüber in Austausch zu kommen. Über einzelne Filme, die sie angeschaut hat, darf Kerstin Heinemann als Jurymitglied erst nach Ablauf der Berlinale sprechen. Sie verrät nur soviel: „Ich habe großartige Filme zu sehen bekommen.“ In vielen Wettbewerbsbeiträgen gehe es um große Themen, die nicht nur aus der Perspektive des Evangeliums interessant sind, sondern Grundfragen des Menschseins berühren – Krieg und Frieden, Befreiungsprozesse für Benachteiligte, Umweltethik, Achtung der Menschenwürde ...
Kerstin Heinemann gehört zur ökumenischen Berlinale-Jury. Foto: privat |
Jesus hat nicht plakativ erzählt
Ihre Jury-Kollegen stammen aus Frankreich, Deutschland, Kanada und Kuba und vertreten nicht nur unterschiedliche Kulturen, sondern auch verschiedene Berufsgruppen, Geschlechter und Konfessionen. „Das macht die Auseinandersetzung über die Filme äußerst spannend“, findet die Münchnerin, die zwar schon zwölfmal an der Berlinale teilgenommen hat, jedoch nie zuvor in einer Jury.
„Natürlich tut es immer gut, seine eigene Haltung bestätigt zu bekommen“, sagt sie auf die Frage, ob sie Christen verstehen kann, die in einem Film vor allem eine Bestätigung ihrer Position suchen und in den Protagonisten ihr Wertesystem wiederfinden wollen. Allerdings könne auch Widerspruch die eigene Position schärfen und bestätigen. „Wir sollten einen Film nicht zur Selbstbestätigung missbrauchen, sondern lieber unseren Horizont weiten lassen durch Erfahrungen und Überzeugungen, die unserer bisherigen Haltung widersprechen.“
Sie selbst finde Geschichten spannend, in denen die Vielschichtigkeit der Wirklichkeit zum Tragen komme. Darin sieht sie auch den Reichtum der biblischen Geschichten. „Jesus hat uns nicht mit plakativen Geschichten erschlagen, man muss bei seinen Gleichnissen schon sehr genau hinhören und kann immer wieder neue Facetten entdecken“, sagt sie. Sie habe auch in der diesjährigen Berlinale bereits mehrere Filme gesehen, in denen religiöse Themen ganz ausdrücklich vorkommen. Dabei seien keine negativen Klischees von Religionsgemeinschaften und gläubigen Menschen bedient worden. Vielmehr habe sie der liebevolle Umgang mit Religion berührt, den sie in mehreren Filmen erkennen konnte.
„Ich beurteile Werke, nicht Personen“
In der Berlinale besteht ihre Aufgabe vor allem darin, die besten Filme zu suchen. Außerhalb der Berlinale ist sie als Mitarbeiterin des „JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis“ in München und als stellvertretende Vorsitzende der Katholischen Filmkommission oft auch als Kritikerin gefragt, die auch negative Bewertungen gibt.
Wichtig ist es ihr dabei, eine klare und begründete Position zu beziehen. „Dies aus Angst vor möglichen Konsequenzen nicht zu tun, wäre fatal“, findet sie. Auf dem aktuellen Hintergrund einer deutschlandweiten Diskussion über Kritiken, die Künstler in Bausch und Boden verurteilen, betont sie zudem: „Ich urteile nicht über einen Künstler als Person, sondern beziehe Position zu seinem Werk. Dabei ist mir immer bewusst, dass ich nicht unfehlbar bin. Jede Kritik ist subjektiv, und ich kann dabei auch völlig falsch liegen.“
Von Dorothee Wanzek