Goldenes Priesterjubiläum von Bertram Pricelius

In den Weiten der Diaspora

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Ende Juni hat Bertram Pricelius sein Goldenes Priesterjubiläum gefeiert. Seit 1978 ist er Pfarrer in der Prignitz – und hat die Region in ganz verschiedenen Epochen erlebt.

Es blüht in leuchtenden Farben: Pfarrer Pricelius im Garten des Pfarrhauses.    Foto: Oliver Gierens

Im Garten des Pfarrhauses in Perleberg blühen die Pflanzen in diesen oft heißen Sommertagen in den schönsten Farben. Lavendel, Ysop, Wermut, aber auch Bohnenkraut und Estragon gedeihen gleich neben der kleinen Kirche Mariä Unbefleckte Empfängnis. Doch Pfarrer Bertram Pricelius, der seit 1978 hier im Pfarrhaus wohnt, kümmert sich nur noch um einen kleinen Teil des Gartens. Gerade hat der Pfarrer, Jahrgang 1945, sein Goldenes Priesterjubiläum gefeiert. 44 dieser 50 Priesterjahre hat er hier im nordwestlichsten Zipfel Brandenburgs verbracht, in einer der am dünnsten besiedelten Gegenden Deutschlands. 1300 Gemeindemitglieder sind es noch, verteilt auf fünf Gottesdienststandorte in Perleberg, Wittenberge, Lenzen, Bad Wilsnack und der früheren Bischofsstadt Havelberg, die bereits zu Sachsen-Anhalt gehört. Eine Fläche über zwei Bundesländer, 110 mal 40 Kilometer extreme Diaspora.
Doch Pfarrer Pricelius bewältigt die enormen Entfernungen nach wie vor, pendelt vor allem an den Wochenenden zwischen den einzelnen Gemeinden hin und her. Ende Juni hat er sein Jubiläum groß gefeiert. „Es sollte nach der Pandemie wieder ein Tag der Begegnung sein“, erzählt Pfarrer Pricelius. Fünf Priester seien dabei gewesen – genauso viele wie in seinem Weihejahrgang 1972. Wo heute Priester fehlen, die Seminare leerer werden, haben damals viele junge Männer in der DDR einige Schwierigkeiten auf sich genommen, um ihrer Berufung folgen zu können.

Gottesdienste im  Sparkassen-Warteraum
Auch Bertram Pricelius‘ Weg von der Kirchenbank an den Altar verlief nicht ganz ohne Hürden. Aufgewachsen in Eichwalde, ging es für ihn nach der Schulzeit zunächst ins Transforma-
renwerk Schöneweide in die Schlosserausbildung. Eigentlich war ein Physikstudium für ihn vorgesehen, doch er hatte bereits andere Pläne. Mit einem Freund sei er damals durchs Elbsandsteingebirge gewandert, erinnert sich Pricelius. „Wie wäre es, wenn wir Theologie studieren würden?“, hätten sie sich damals gefragt.1965 ging es für Pricelius erstmal nach Halle zu einem einjährigen Intensivkurs in Latein und Griechisch. Im Jahr darauf begann er in Erfurt sein Studium, 1970 folgte das Priesterseminar in Neuzelle.Hier bekam er den letzten „Schliff“ vor der Weihe: Probebeichte, Probepredigt – alles musste trainiert werden. „Man klebte damals noch zu sehr am Konzept“, erinnert er sich. Heute hat Bertram Pricelius längst Routine im freien Predigen, auch wenn er immer ein Manuskript auf den Ambo legt. „Ich bereite mich immer noch gründlich auf eine Predigt vor“, betont der Jubilar. „Auch mit geistlichenAnregungen aus der Literatur – wir dürfen ja klauen“, scherzt er.
Nach Kaplanstellen in Anklam (Vorpommern) und Berlin-Niederschönhausen ging es für ihn 1978 nach Perleberg – und hier blieb er. Ausgerechnet im „Jahrhundertwinter“ mit tagelangen heftigen Schneefällen trat er seinen Dienst an. „Mein Wartburg ist damals mit der Wanne aufgesetzt, vier Tage musste ich in Lenzen bleiben“, erinnert er sich. Der Ort an der Elbe lag damals im Grenzsperrgebiet, das andere Ufer gehörte schon zur Bundesrepublik. „Als Dekan hatte ich einen Passierschein. Es gab einige Erschwernisse in der Seelsorge, aber ich habe die Leute nicht im Stich gelassen“, erzählt er. Auch beim Religionsunterricht habe es kaum Schwierigkeiten gegeben. So hätten damals in Lenzen noch rund 60 Personen die Sonntagsmesse besucht, und mit dem kommunistischen Bürgermeister habe er sich gut verstanden, trotz aller Gegensätze. So durfte die katholische Gemeinde den Aufenthaltsraum der Sparkasse für Gottesdienste nutzen.
„Wir waren in dieser Zeit relativ frei“, meint Pfarrer Pricelius. Die Kirchen seien damals von vielen Menschen als Freiheitsraum empfunden worden, wo sie hätten sprechen, singen oder tanzen können. „Wir waren ja ein geschützter Raum“, sagt er – und wusste doch stets, dass meistens ein Mitarbeiter der Stasi die Predigt mithörte. „Für die, die sonst nicht in die Kirche kommen, zum Mitschreiben...“, habe er manchmal in der Sonntagsmesse gesagt.
Nach der Wende hieß es dann vor allem, die wiedergewonnene Reisefreiheit zu nutzen. Schon 1991 sei die Gemeinde mit zwei Reisebussen nach Rom aufgebrochen, aber auch im wiedervereinigten Heimatland gab es Nachholbedarf.

„Ich will von der Wahrheit Zeugnis geben“
Doch die Nachwendezeit hatte auch Schattenseiten. Viele Großbetriebe machten dicht, die Menschen gingen in Scharen weg, vor allem Jüngere. Die Gemeinden schrumpften zusehends. Heute stagnieren die Einwohnerzahlen oder nehmen allmählich wieder zu, dafür verlassen viele Menschen die Kirche aus anderen Gründen.
„Viele sind weggegangen, weil vieles aus dem Zweiten Vatikanischen Konzil noch nicht umgesetzt wurde“, sagt Pfarrer Pricelius. Das Konzil habe ihn stark geprägt, es wurde gerade zu Beginn seiner Studienzeit beendet. „Angst ist der schlechteste Berater“, sagt er mit Blick auf die aktuellen Reformdebatten. „Es ist der Heilige Geist, der die Angst nimmt und den Mut befördert“, auch wenn einige Leute „über das Ziel hinausschießen“ würden.
So ist auf seinem Gedenkbildchen zum Goldenen Priesterjubiläum das Motto des Berliner Katholikentags von 1958 abgedruckt: „Unsere Sorge – der Mensch; unser Heil – der Herr“, auf der Vorderseite ein Bild von Johannes dem Täufer, der auf Christus zeigt. „Ich bin ein Mann der Praxis“, sagt Pricelius. „Ich will von der Wahrheit Zeugnis geben – und das höchste Wesen ist eine Person, Gott hat sich geoffenbart.“ Und das hat er sich auch für die nächsten Jahre vorgenommen: „Die Frage nach Ruhestand stellt sich nicht. Ich kann mir nicht vorstellen, mich zur Ruhe zu betten“, sagt der 77-Jährige.

Von Oliver Gierens