„Hundgestützte Seelsorge“
Der Hund öffnet eine Tür, durch die der Mensch gehen kann
Anna Hartmann, Pastoralreferentin in Hanau, bietet Menschen, die um ihr Tier trauern, Begleitung an. Bei der Seelsorge hilft ihre Hündin Aska. Ein Gespräch die Beziehung zwischen Menschen und Tieren und die „hundgestützte Seelsorge“. Und darüber, wie Aska auf Menschen wirkt. Von Ruth Lehnen
Frau Hartmann, waren Sie schon immer eine Tierfreundin? Wie sind Sie auf den Hund gekommen?
Anna Hartmann: Ja, ich bin schon immer eine Tierfreundin. Meine Eltern sagten: Es gibt kein Haustier! Da waren die Schnecken und Regenwürmer meine Haustiere. Im Winter gab es immer eine bange Phase: Überleben die Schnecken? Später bin ich beim Pferd gelandet. Dort, wo ich geritten habe, gab es einen Hund, einen Collie, Zatchmo. Sobald ich im Stall war, war Zatchmo da. Das war die Initialzündung: „So fühlt es sich an, einen eigenen Hund zu haben!“
Unsere Hündin Aska, ein Border Collie Mischling, ist jetzt seit dem 18. April 2020 bei uns. Das heißt, seit dem ersten Lockdown. Aska kam aus dem Tierheim in Fechenheim zu uns. Im Gegensatz zu einigen anderen, die sich in der Pandemie einen Hund zugelegt haben, haben wir den Hund immer noch!
Und schon viel zusammen erlebt! Können Sie Ihren Hund ein wenig beschreiben? Denn er hilft Ihnen ja bei der Seelsorge?
Aska kam mit etwa vier Monaten zu uns. Sie ist mittlerweile eine zweijährige Hündin, die viel Temperament hat und doch eine gewisse Scheu zeigt. So rennt sie mit anderen Hunden über die Wiese, findet aber den Staubsauger ziemlich angsteinflößend. Morgens begleitet sie mit mir zusammen meinen Sohn bis zum Hoftor der Grundschule. Neuerdings wartet sie dort auch, bis die großen Schüler der weiterführenden Schule an der Grundschule vorbeigehen, denn sie hat gelernt, dass diese sie besonders freundlich begrüßen. So wedelt und wackelt der ganze Hund, wenn sie größere Kinder sieht. Aska ist ein kontaktfreudiger Hund, der sich auf die Gefühlslage des Gegenübers einstellt und diese oft zurückspiegelt.
Wenn mein Sohn traurig ist oder gar vor Wut weint, geht sie zu ihm, leckt ihm das Ohr ab oder schiebt ihre Schnauze ganz dicht an ihn heran. Diese Zuneigung des Hundes bietet Trost. Wenn fremde Kinder noch ängstlich sind, bleibt Aska ruhig stehen und lässt die Kinder ihre teils ersten Erfahrungen machen.
Sie setzen Aska für „tiergestützte Seelsorge“ ein. Seit wann interessieren Sie sich für das Thema?
Vor gut elf Jahren habe ich meine Diplomarbeit in Caritaswissenschaft und Christliche Sozialarbeit darüber geschrieben, wie sich Hunde auf die Lebensqualität von Bewohnern in Senioren- und Pflegeheimen auswirken. Bis vor kurzem war ich mit 22 Stunden in der Familienbildungsstätte in Hanau eingesetzt, dazu zehn Stunden in der Klinikseelsorge. Dieses Verhältnis hat sich jetzt verändert, jetzt bin ich mehr in der Klinikseelsorge tätig. Weil ich überzeugt bin, dass „hundgestützte Seelsorge“ eine Sache für die Zukunft ist, habe ich für die Familienbildungsstätte zu dem Thema eine Projektbeschreibung und ein Konzept geschrieben. Das Bistum hat dem zugestimmt, sodass Aska und ich dort als Team arbeiten können.
Was genau bedeutet „hundgestützte Seelsorge“?
Der Hund wird in der Seelsorge eingesetzt. Von einem einfachen Dabei-Sein, das sich schon positiv auf das Wohlbefinden auswirkt, bis hin zum Türöffner bei Menschen, die einen direkteren Zugang zum Tier haben als zum Menschen. Hunde können menschliche Emotionen spiegeln und verhalten sich direkt und integer. Hier setzt die hundgestützte Pastoral an.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Ein Beispiel aus einem Gespräch: Eine alleinerziehende mir bekannte Mutter kam zu einem spontanen Gespräch, nach einer Beratung bei der Caritas. Diese Mutter, die generell schon sehr schnell redet, redete noch viel schneller, sodass meine Ohren kaum noch mitkamen. Ihre Stimme überschlug sich fast, so aufgewühlt war sie. Meine Interventionen und Worte kamen kaum an. Bis ich an einem Punkt diesen „Rede-Emotions-Fluss“ unterbrach.
Ich sprach sie auf den Hund an und erklärte ihr, was gerade geschah. Der Hund, der das erste Mal in der Familienbildungsstätte war, hatte eine ganze Weile ruhig neben meinem Stuhl gelegen. Doch mit der Zeit wurde er immer unruhiger, fing an zu winseln und wollte zur Tür. Er wollte fliehen, er fühlte sich unwohl in seiner Haut, brauchte einen Ortswechsel und eine Pause. Beides musste ich ihm auch geben.
Die Mutter war erstaunt, sprach sofort leiser und ruhiger. „Ist das krass. Ich muss sowieso weiter.“ Diese Mutter, die sehr unter Druck und viel Stress stand, und bei der es um eine Mutter-Kind-Kur ging, hat sich so gefühlt, wie der Hund es zum Ausdruck gebracht hat. Beide brauchten eine Pause!
Vielleicht hat der Hund zum Ausdruck gebracht, wie Sie sich gefühlt haben?
Das kann sein. Jedenfalls war es ein großes Aha-Erlebnis, dass die Mutter Unruhe und Unwohlsein gespiegelt bekommen hat, ohne dass das ausgesprochen werden musste. Hunde haben diese Fähigkeit, Menschen zu berühren, ohne im direkten Kontakt zu stehen. Im Sprechen über den Hund kann eine Tür ins Innere geöffnet werden. Das ist eine Tür, die der Mensch durchschreiten kann, entweder selbst oder in Begleitung der Seelsorgerin oder des Seelsorgers. Das Verhalten des Hundes hat bei der Mutter einen Erkenntnisgewinn erzeugt und eine Verhaltensänderung ohne jegliche Kritik unterstützt. Der Hund war ein Türöffner.
Hundgestützte Seelsorge in der Familienbildungsstätte anzubieten, war aufwendig, zum Beispiel wegen des umfangreichen Hygienekonzepts, das notwendig war. Derzeit beschränken Sie Ihre Seelsorgseinsätze mit Aska auf Trauerbegleitung, "wenn das eigene Tier stirbt". Im Flyer heißt es: "Egal ob Hund, Katze, Vogel, Fisch, Reptil oder Pferd, der Schmerz und die Trauer sind spürbar. Trauer darf sein: Im Einzelgespräch oder als Gruppenangebot übernimmt die Seelsorgerin und Pastoralreferentin und Anna Hartmann die Begleitung. Seelsorgsbegleithund Aska ünterstützt Sie gerne durch ihr Beisein, wenn Sie dies wünschen."
Ja, Tiere sind heute für viele Menschen Familienmitglieder. Kinder trauern sehr, wenn der Familienhund stirbt. Der Tod und der Verlust des Tieres lösen Trauer aus. Die Kirche hat immer den Trauernden beigestanden. Dabei geht es um den Menschen, der trauert.
Warum kann der Tod eines Tieres so viel Schmerz auslösen, fast schon so viel oder sogar mehr als der Tod eines Menschen? Was sagt das über unsere Gesellschaft?
Aus Ihrer Frage höre ich eine Wertigkeit der Trauer heraus. Doch diese Wertigkeit gibt es in der Trauer nicht. Der Trauernde will angenommen und verstanden werden, ganz gleich, ob er um einen Menschen oder um ein Tier trauert. Dennoch besteht gerade bei Nicht-Tierbesitzern die Gefahr, die Trauer um einen Menschen höher anzusiedeln als die Trauer um ein Tier. Es besteht die Gefahr, dass Vergleiche oder gar Vorwürfe gegenüber den Trauernden formuliert werden. Trauer braucht aber einen Schutzraum. Jeder will sich in seiner Trauer wertgeschätzt fühlen.
Also stellen Sie nicht Mensch und Tier auf eine Stufe, wenn Sie Trauerbegleitung anbieten, weil etwa ein Hund gestorben ist?
Meine Begleitung richtet sich an den Menschen, ganz gleich, um welche Tierart es sich handelt. Hier wird nicht das Tier mit dem Menschen gleichgesetzt, sondern der Mensch in seinen geschöpflichen Vielfalt wahrgenommen: als ein Mensch, der trauert, weil er geliebt hat und Liebe erfahren hat. Und genau dort ist Gott zu finden. In der Beziehung zueinander.
Aber ist es nicht auch traurig, dass offenbar immer mehr Menschen diese Liebe nicht mehr in der Beziehung zu anderen Menschen finden, sondern vermehrt in der Beziehung zu Tieren?
Ein Mensch ist ein Mensch und ein Tier ist ein Tier. Dass die Haustiere eine solch fundamentale Bedeutung bekommen, hängt schon daran, dass dem Menschen etwas fehlt. Für eine verwitwete Dame, die allein zuhause ist, deren Kinder in ganz Deutschland verteilt wohnen, ist ihr Hund ein Kommunikationspartner. Mit ihm spricht sie, und dem Hund ist es egal, ob er manches schon hundert Mal gehört hat. Der Hund reagiert auf ihre Fürsorge. Wenn sie ihn streichelt, tut das beiden gut. Es ist ja erwiesen, dass beim Streicheln eines Tierfells bei Mensch und Tier Glückshormone ausgeschüttet werden. Oder nehmen Sie einen Obdachlosen. Für ihn ist der Hund Wachhund, Wärmflasche und Gesellschafter in einem. Das Tier erkennt ihn an, und der Mensch wird nicht nach dem Äußeren beurteilt oder verurteilt. Der Hund ist ein Gefährte! Ich finde es nicht gut, dass die Tiere der Wohnungslosen nicht in die Einrichtungen dürfen, um ihre Herrchen und Frauchen über Nacht zu begleiten.
Natürlich fehlt vielen dieser Menschen etwas, es fehlen oft menschliche Bezüge. Wir als Gesellschaft sollten schauen, dass Menschen Menschen treffen. Aber das leistet die Gesellschaft oft nicht mehr, leider, zumal in der Pandemie. Und wenn dann Menschen etwas finden, dass ihnen guttut, ist das wertzuschätzen.
Es ist ja klar, dass vielen Menschen ihr Haustier guttut.
Tierbesitzer kümmern sich. Sie sind zum Beispiel mehr draußen an der Luft, sie bewegen sich mehr, sie bleiben kürzer in Krankenhäusern, das sind nur Beispiele. Die Erkenntnisse der tiergestütztenArbeit zeigen, wie wohltuend das Tier für den Menschen sein kann.
Wo liegen die Grenzen dieser Beziehung zwischen Mensch und Haustier?
Sie liegen im Unterschied zwischen Mensch und Tier. Das Tier kann nicht reflektieren, es kann nicht Für und Wider abwägen. Dafür braucht es ein menschliches Gegenüber. Und es braucht eine positive Einstellung gegenüber dem Tier. Missbräuchlich wird es überall da, wo das Tierwohl missachtet wird. Der Tierschutz, wie er auch im Gesetz steht, muss unbedingt beachtet werden.
Wie setzen Sie Aska ein, wenn Sie einen Menschen besuchen, der um sein Tier trauert?
Oft bewirkt schon ihre Anwesenheit, dass sich der Mensch ein wenig getröstet fühlt. Sie kann aber auch Aufgaben übernehmen, zum Beispiel eine Tasche apportieren, die Aufgaben für den Menschen enthält. Zum Beispiel: „Sammeln Sie ihre schönsten Fotos von Ihrem Hund“, oder „Schreiben Sie eine schöne Begebenheit auf, an die Sie sich erinnern, wenn Sie an Ihre Katze denken“.
Was hat Aska und was haben Sie bei einer Weiterbildung zum Thema „Pädagogik mit Hund“ gelernt?
Aska zeigt ganz deutlich ihre Grenzen: wegschauen, gähnen, über die Lefzen lecken, schütteln oder auch weggehen. Diese hündischen Signale zu lesen habe ich bei den beiden Sozialpädagoginnen Sabine Lederle und Lara Elena Kleinschmidt von „dogik – Pädagogik mit Hund“ in Mainhausen gelernt. Es war eine Weiterbildung für mich, wie ich tierschutzkonform ohne Überforderung von Menschen und Hund hundgestützt arbeiten kann.
Aska hat zum Beispiel gelernt, zu würfeln. Es macht ihr viel Freude, aber gleichzeitig wird sie dadurch sehr aufgeregt. Also habe ich die Übung abgewandelt: Kinder würfeln und der Hund bringt den Würfel zurück. So kann Aska abwarten, Würfel bringen und Leckerchen bekommen. In der Weiterbildung wurde unsere Bindung stärker. Sie hat gelernt, dass sie sich auf mich verlassen kann, dass ich sie aus Situationen entlasse, die zu stressig für sie werden und sie Pausen bekommt. Die Pädagogikbegleithundeprüfung haben wir bestanden und sind jetzt zertifiziert!
Sehen Sie sich beim Thema „hundgestützte Seelsorge“ als Pionierin in einem noch zu wenig erkundeten Feld?
Das ist schwierig zu sagen. Es gibt schon den ein oder anderen Hund und das eine oder andere Tier, das in der pastoralen Arbeit eingesetzt wird. Jedoch nicht viele Tiere, die offiziell von der Kirchenleitung befürwortet werden. Die evangelische Gemeindepädagogin Claudia Fäscher hat vor einigen Jahren zusammen mit ihrem Hund Samu ebenfalls die Ausbildung bei „dogik“ absolviert. In Köln geht die Hündin Greta zusammen mit dem Pastoralreferenten Peter Otten in die Gottesdienste und zu Hausbesuchen. Gemeindereferentin Anja Flecke aus dem Erzbistum Paderborn arbeitet mit ihrer Hündin Emma. Pastoralreferent Stefan Mayer in Mannheim wurde 14 Jahre von seiner Hündin Ella im Dienst begleitet. Nun ist sie Ende des vergangenen Jahres gestorben. Auch Alpakas eignen sich, wie Pfarrerin Wiltrud Bauer mit ihrer Hospizarbeit im Saarland beweist.
Sie sehen, ich bin nicht die erste kirchliche Mitarbeiterin, die hundgestützt arbeitet. Eine hund- beziehungsweise tiergestützte Seelsorge bietet so viele Chancen, da sie so vielfältig ist. Dennoch bin ich wohl die erste Pastoralreferentin im Bistum Fulda, die offiziell hundgestützte Angebote macht.
Interview: Ruth Lehnen
Kontakt: Katholische Familienbildungsstätte Hanau
Telefon: 06181/92323-0