"Gefragte Frauen": Ute Leonhardt
Die Frau mit dem Blick von außen
Ute Leonhardt ist Diplompsychologin und geschult im Gespräch mit Menschen. Seit September ist sie Ansprechpartnerin für alle, die im Bistum Mainz Opfer sexualisierter Gewalt geworden sind. Sie ist ehrenamtlich tätig und unabhängig. Von Ruth Lehnen
Als katholische Journalistin dieser Tage mit Ute Leonhardt zu sprechen, und gerade über sehr kontroverse kirchliche Themen, löst eine Irritation aus. Woran liegt das? Erst im Nachhinein wird klar: Diese Mainzerin, Diplompsychologin und Mutter ist nicht empört, aufgebracht, beunruhigt, und sie hat kein Abgrenzungsbedürfnis. Sie hat einiges zu kritisieren. Aber ihr Blick ist ähnlich dem einer Forscherin in einem für sie fremden Lebensumfeld. Sie erforscht gerade das Feld „katholische Kirche“. Schlagworte wie „Synodaler Weg“ waren ihr bisher völlig fremd. Sie ist „Unabhängige Ansprechperson für Betroffene von sexualisierter Gewalt im Bistum Mainz“ und tut, was sie tut, nicht aus irgendeinem Glauben heraus. Wohl aber aus Überzeugung.
Sie ist Mittlerin, nicht Therapeutin
Ute Leonhardt hat sich für dieses Ehrenamt beworben. Seit September 2021 ist die 54-Jährige jetzt eine von zwei „Ansprechpersonen“. Noch arbeitet sie sich in ihre Aufgabe ein, für die sie eine Aufwandsentschädigung bekommt. Ein dritter Laptop, ein drittes Handy sind jetzt zu bedienen: privat, beruflich, ehrenamtlich müssen streng getrennt sein.
Wer im Bistum Mainz sexualisierte Gewalt erlitten hat oder derzeit erleidet, kann sich an Ute Leonhardt wenden. Ihre Aufgabe ist nicht die Seelsorge, auch nicht die Therapie, sondern das mitfühlende Gespräch. Sie sorgt dafür, dass das Geschehene dokumentiert wird. Wenn die Betroffenen es wünschen, leitet sie Anträge „zur Anerkennung des erlittenen Leids“ an die „Unabhängige Kommission“ (UKA) weiter, die Geldzahlungen zur Kompensation des erlittenen Leids festlegt. (siehe „Zur Sache“)
Die Missbrauchstaten und der Umgang der Kirche mit Betroffenen sind für viele Menschen Anlass, die Kirche zu verlassen. Die Veröffentlichung des jüngsten Münchner Gutachtens, das die Diözese München-Freising in Auftrag gegeben hatte, löste Wellen der Empörung und Fassungslosigkeit aus. Und jemand wie Ute Leonhardt, die nicht Mitglied in der katholischen Kirche ist, die aus der evangelischen Kirche vor Jahren ausgetreten ist, bewegt sich jetzt auf die katholische Kirche zu? Übernimmt eine wichtige Aufgabe?
„Ich kann das Ganze – Kirche, Glaube, Papst – total schwer nachvollziehen“, sagt die Diplompsychologin. Aber was Menschen zustößt, was ihnen angetan wird, und wie das ihr Leben beeinflusst, hat sie schon immer interessiert. „Menschen finde ich unglaublich spannend. Eine gute Ansprechpartnerin zu sein, die Menschen gut begleiten zu können, sie ernst zu nehmen“, das hat sie an ihrer neuen Aufgabe gereizt. Gespräche zu führen, darin ist sie sehr gut ausgebildet und seit Jahrzehnten erfahren.
Sie sieht sich auf der Seite der Betroffenen, aber auch als eine Mittlerin. Als ein Zugehen auf die Institution Kirche empfindet sie ihr Engagement ganz und gar nicht. Eher ist es so: „Wenn Kirche es nicht hinkriegt, muss ich für die Betroffenen da sein. Vielleicht kann ich ja etwas bewirken.“
Ute Leonhardt arbeitet bei der Opfer- und Täterhilfe Mainz. Sie interessiert sich für Opfer wie für Täter. Sie verschließt nicht ihre Augen davor, dass Menschen auch eine dunkle, verbrecherische Seite haben können. Neben Psychologie hat sie deshalb auch Kriminalistik studiert, und überlegt, sich bei der Polizei zu bewerben. Dann wurde sie Personalreferentin. Um Menschen in Not zu helfen, engagiert sie sich seit langem ehrenamtlich, zuerst bei der Telefonseelsorge, und dann beim Weißen Ring, der für die Opfer von Straftaten eintritt.
Das Wort „unabhängig“ hat zwei Seiten
Wer mit der „unabhängigen Ansprechperson“ redet, bekommt einen Eindruck davon, dass das Wort „unabhängig“ zwei Seiten hat. Unabhängig sein kann heißen, dass etwas nicht der Fall ist: Sie ist unabhängig, weil ihr niemand reinreden kann. Sie ist unabhängig, weil sie nicht kirchlich geprägt ist. Sie ist unabhängig, weil Bischöfe sie nicht per se beeindrucken.
„Unabhängig“ kann aber auch heißen, dass Leonhardt von außen kommt und von außen guckt. So sieht sie genauer, wo es hakt, zum Beispiel bei den Abläufen. Und da stellt die „Ansprechperson“ dem Bistum Mainz bisher nicht das beste Zeugnis aus. Die Informationen, die sie zu ihrer Aufgabe erhielt, waren lückenhaft. Bestimmte Fragen scheinen nicht geklärt zu sein. Ein Befremden ist der Diplompsychologin anzumerken: Wenn sie eine Meldung an die Unabhängige Kommission weitergibt, bekommen Betroffene dann die Informationen, die sie brauchen und erwarten können? Werden sie über den Fortgang ihres Antrags informiert oder im Dunkeln gelassen?
Gespräche unter den Vorzeichen von Verletzung, Schmerz und Zorn
Bisher hat Ute Leonhardt mehrere Gespräche mit Betroffenen geführt. Es gab erst einen Antrag, den sie weitergeleitet hat. Ihr Eindruck: Das Bistum will die Aufklärung, aber die Abläufe sind weder „transparent noch schlank“. Sehr positiv fand sie dagegen bisher die Arbeit im Beraterstab des Bistums in Sachen Missbrauch.
In der öffentlichen Diskussion werde manchmal die Komplexität der sogenannten Aufarbeitung nicht deutlich, meint Leonhardt. Wenn sich jemand bei ihr meldet, muss sie Verschiedenes herausfinden. Handelt es sich um sexuellen Missbrauch oder um eine Gewalttat ohne sexualisierte Anteile? Nur für Menschen, die sexualisierte Gewalt erlitten haben, ist sie Ansprechpartnerin, andere vermittelt sie weiter. Meldet der Anrufer oder die Anruferin etwas, das im Bistum Mainz stattgefunden hat? War das nicht der Fall, muss sie wiederum weitervermitteln. Zudem muss sie versuchen zu klären, ob es sich um einen Straftatbestand gehandelt hat, denn das Bistum legt großen Wert darauf, alle Fälle an die Staatsanwaltschaft weiterzugeben. Alle Gespräche, die sie als „Ansprechperson“ führt, stehen unter den Vorzeichen von Verletzung, Schmerz und Zorn.
Gespräch, Dokumentation, Weitergabe, Entscheidung der Unabhängigen Kommission: Wenn alles gutgeht, steht am Ende des Prozesses eine Kompensation für die Gewalt, in Form von Geld und/oder Therapie, die dem Betroffenen angemessen erscheint. Ob das gelingt, darauf hat Ute Leonhardt nur geringen Einfluss. Was die „unabhängige Ansprechperson“ leisten kann, ist vor allem, ein einfühlsames, offenes, persönliches Gespräch zu führen, zuzuhören. Und das ist viel mehr, als manche Betroffene bisher erlebt haben. Ute Leonhardt hat den Eindruck, dass es den meisten Betroffenen darum geht, gesehen zu werden, gehört zu werden. Und darum, dass ihnen geglaubt wird.
GEFRAGT... GESAGT
„Ich weiß nicht, ob es Gott gibt“
Sagen Sie uns etwas zu Ihrer Glaubensgeschichte?
Ute Leonhardt: Ich war Mitglied in der evangelischen Kirche. Aber da ich nicht weiß, ob es Gott gibt, und da ich keine wirklichen Glaubenserfahrungen gemacht habe, war die Konsequenz, aus der Kirche auszutreten. Ich akzep-
tiere es, dass Menschen ihr Glaube eine große Stütze ist, aber ich habe das so, jedenfalls bisher, nie erfahren.
Sie hatten aber ab und an Berührungspunkte mit der katholischen Kirche?
Ja, zum Beispiel waren meine Kinder in einem katholischen Kindergarten. Sie haben sich da sehr wohlgefühlt. Sie nehmen auch beide am Religionsunterricht und nicht am Ethikunterricht teil, ich möchte ihnen die Möglichkeit geben, sich selbst zu entscheiden. Ich habe oft Menschen in der Kirche als toll erlebt.
Welche Veränderung der Kirche wollen Sie als Frau noch erleben?
Warum dürfen Frauen in der katholischen Kirche nicht die gleichen Jobs haben wie Männer? Frauen und Männer sind da gleich gut geeignet und es ist schade, die Hälfte der Bevölkerung auszuschließen. Ich fand es spannend, in gemischten Teams zu arbeiten.
Haben Sie eine liebste Bibelstelle?
Nein.
Ihr Rat an Frauen auf der Suche?
Wer bin ich denn, Rat zu erteilen?
ZUR PERSON
- Ute Leonhardt ist seit September 2021 „unabhängige Ansprechperson für Betroffene von sexualisierter Gewalt im Bistum Mainz“. Weitere „Ansprechperson“ ist Volker Braun. Beide sind Ansprechpartner für die Aufnahme und Weitergabe von Meldungen sexuellen Missbrauchs im Bistum Mainz.
- Ute Leonhardt ist Diplompsychologin, sie hat an der Justus-Liebig-Universität Gießen studiert.
- Die Mutter einer Tochter und eines Sohns ist 54 Jahre alt, sie ist geschieden.
- Ute Leonhardt hat viele Jahre als Personalreferentin in verschiedenen Unternehmen im Rhein-Main-Gebiet gearbeitet.
- Seit Sommer vergangenen Jahres arbeitet sie bei der Opfer- und Täterhilfe e.V. in Mainz im Fachbereich „Begleiteter Umgang“.
- Ute Leonhardt engagiert sich seit mehr als 20 Jahren ehrenamtlich in der Beratung von Menschen. Sie war Ehrenamtliche in der Telefonseelsorge und ist ehrenamtlich tätig beim „Weißen Ring“, der sich für die Opfer von Straftaten engagiert.
- Sie liebt Kunst und Kultur – besonders „tanzmainz“, das Mainzer Ballett – und geht ins Fitnessstudio zum Yoga oder Spinning (Radfahren). Auch Skifahren gehört zu ihren Lieblingssportarten.
Als unabhängige Ansprechperson für Betroffene von sexualisierter Gewalt im Bistum Mainz ist Ute Leonhardt unter folgenden Kontaktdaten erreichbar:
Telefon: 0176 / 12 53 91 67, E-Mail: ute.leonhardt@missbrauch-melden-mainz.de
Zu den Themen "Aufarbeitung", Hilfe, Prävention im Bistum Mainz: https://bistummainz.de/organisation/sexualisierte-gewalt/index.html
Zum Stand in den Diözesen Mainz, Limburg und Fulda: Laut der Unabhängigen Kommission für Anerkennungsleistungen UKA wurden im vergangenen Jahr 38 Anträge zur „Anerkennung des Leids“ aus dem Raum des Bistums Mainz gestellt, über neun wurde erst entschieden, insgesamt wurden 105 000 Euro ausgezahlt. Aus dem Raum des Bistums Limburg erreichten 27 Anträge die UKA, über zwölf wurde entschieden, insgesamt wurden 346 000 Euro ausgezahlt.
Aus dem Raum des Bistums Fulda erreichten 18 Anträge die UKA, über sieben wurde entschieden, es wurden 133 000 Euro ausgezahlt. (nen)
Internetauftritt der UKA :
https://www.anerkennung-kirche.de/