Der Natur auf der Spur (1)

Die Waldgeister des Bistums

Image
Junge Leute stehen im Wald
Nachweis

Foto: Astrid Fleute

Caption

Draußen zu Hause: Die Mitglieder der Wald-AG pflegen freiwillig 100 Hektar Wald des Bischöflichen Stuhls – und wachsen dabei über sich hinaus. Foto: Astrid Fleute

Eine Wald-AG gibt es an der Osnabrücker Domschule. Mit Lehrer und Förster Michael Wallusch pflegen die Jugendlichen ein Waldstück am Haster Berg. Sie entsorgen Müll, pflanzen Bäume, hacken Brennholz, schneiden Wege frei – und lernen dabei fürs Leben. Teil 1 der Sommerserie.

Der Schlag sitzt. Zielsicher schwingt Nele die Axt und spaltet den Holzklotz, der krachend in zwei Teile auseinanderfliegt. Michael Wallusch legt ihr den nächsten Klotz zurecht – wieder ein Treffer. „Krafttraining“ rufen ihre Mitschüler begeistert. In sicherem Abstand verfolgen sie die Aktion und feuern Nele an: „Du musst treffen!“ Und das tut die 13-Jährige. Stolz und ein wenig erschöpft übergibt sie nach der Runde die Axt an die nächste Mitschülerin. 

Holz hacken und Brennholz spalten – das ist für die Mitglieder der Wald-AG der Osnabrücker Domschule mittlerweile selbstverständlich geworden. Seit zwei Jahren kümmern sie sich um ein etwa 100 Hektar großes Waldstück des Bischöflichen Stuhls am Haster Berg in Osnabrück. Zweimal wöchentlich streifen die derzeit neun Schülerinnen und Schüler mit Lehrer Michael Wallusch durch den Wald, sammeln Müll auf, transportieren illegal entsorgte Grünabfälle ab, schneiden Wege frei, bauen Wildschutzzäune ab, pflanzen junge Bäume und pflegen sie, sammeln Brennholz auf und verarbeiten es. 

„Ein Unterrichtsfach Wald, das müsste es geben."

Ihr Lehrer ist Förster von Beruf, engagiert sich als ehrenamtlicher Forstaufseher in der Waldfläche und kennt sich dort gut aus. „Es ist grandios, auf diese Weise beide Berufe miteinander zu verbinden“, erzählt er und betont: „Ein Unterrichtsfach Wald, das müsste es geben. Hier lernen die Schüler fürs Leben.“ Seine Liebe zum Wald und seine Begeisterung sind grenzenlos – und übertragen sich auf die Schüler: „Ich könnte stundenlang hier sein. Im Wald ist es toll, viel entspannter. Hier ist frische Luft, ich kann viel besser atmen und mich sogar besser konzentrieren“, sagt Justus und schneidet dabei mit der Heckenschere schnell einige Brombeersträucher aus dem Weg. „Kleine Waldgeister“ nennt Lehrer Wallusch seine Gruppe liebevoll, denn sie richten den Wald nicht nur für die Umwelt, sondern auch für Spaziergänger wieder her. Er erklärt: „Auch die Erholung ist eine wichtige Funtkion des Waldes, die wir stärken wollen.“

Ein junger Mann schneidet Blätter im Wald
Zur Waldpflege werden größere Scheren verwendet. Foto: Astrid Fleute

Der normale Schulalltag ist im Wald weit weg, Wissen wird hier nebenbei vermittelt. „Ich quäle die Schüler nicht mit Fragen. Erst fangen wir an zu arbeiten. Hier ist die Welt des Machens. Dabei wachsen Muskeln und Selbstvertrauen“, sagt Michael Wallusch. Und so lernen die Jugendlichen automatisch und ganz nebenbei beim Holzaufsammeln und Bäumepflanzen das Ökosystem Wald, die Folgen des Klimawandels und die Bedeutung von Nachhaltigkeit kennen. Sie fragen nach, erkundigen sich. Michael Wallusch betont: „Hier erlebst du es. Die Bäume sterben ab. Die Buche verabschiedet sich. Auf einem Waldstück haben wir daher jetzt Hainbuchen und Eichen gepflanzt. Sie kommen mit der Trockenheit besser klar.“ 

Auch Müll vermeiden und aufsammeln gehört zum Schutz des Waldes dazu – und ist für die Schüler heute selbstverständlich. Sie ärgern sich über illegal entsorgte Gartenabfälle, da sie die Waldflora verfälschen, und gehen mit anderen Augen durch den Wald. Anina erklärt: „Mein Blick hat sich schon verändert. Ich achte jetzt mehr darauf, ob irgendwo Müll herumliegt oder Wildschutzzäune stehen, wo sie nicht mehr benötigt werden. Ich gehe nicht mehr nur spazieren, ich helfe dem Wald.“

Nicht nur im Ökosystem Wald kennen die Schüler sich gut aus – auch über die Tiere des Waldes wissen sie mittlerweile eine ganze Menge. Rehe und Hasen haben sie bereits gesehen und festgestellt, dass sie im Wald auch Schaden anrichten können. Anina zeigt, wie sie die von ihnen angepflanzten Bäume zum Schutz vor Verbiss mit Schafwolle versieht und Justus erklärt dabei fachkundig: „Rehe sind Pflanzenfresser. Die Wolle und ihr Geruch schrecken sie ab. Sie denken, das ist ein Tier.“

Grenzen überwinden – zum Beispiel beim Holzhacken

Michael Wallusch sieht ihnen dabei zu und ist begeistert, wie die Schüler in der Wald-AG wachsen – manchmal auch über sich hinaus. Er sagt: „Das ist hier auch eine Stärkung der Persönlichkeit. Sie überwinden Grenzen, erfahren Selbstwirksamkeit.“ Zum Beispiel beim Holzhacken: „Erst trauen sie sich nicht, und dann hacken sie wie die Weltmeister“, erzählt er und muss schmunzeln. Er hält nichts davon, Jugendliche von Gefahren und Risiken fernzuhalten und führt sie auch an scharfkantige Werkzeuge wie Axt, Spalthammer, Spaltkeile oder Heckenschere heran. Er gibt ihnen eine Einweisung, achtet auf ordentliche Benutzung und Sicherheitsabstände. 

Holz hacken, Feuer machen, sägen, hämmern, Metall schneiden, Brot im Outdoorofen backen, unter freiem Himmel zelten, Wildpflanzen essen – viele Schüler erleben das hier zum ersten Mal, überwinden Ängste und Vorbehalte. Wallusch ermutigt sie und erklärt: „Vieles funktioniert nur durch üben, versuchen, lernen. Im Laufe der Zeit wird es immer besser“ – wie Nele eindrucksvoll am Holzbock präsentiert.

Um Müll, abgebaute Zäune und Brennholz besser abtransportieren zu können, hat sich die Wald-AG jetzt einen ersten Traum erfüllt: Mit Hilfe von Spenden und Einnahmen aus dem Brennholzverkauf konnten sie sich ein ATV (All Terrain Vehicle) mit Anhänger kaufen. Lehrer Wallusch erklärt: „Das ist eine vielseitige kleine Maschine. Was wir bislang nicht aus dem Wald bekommen haben, holen wir jetzt auch raus.“ Denn für das Brennholz der Wald-AG gibt es mittlerweile viele Abnehmer. Auch Nistkästen, die sie im Winter selber bauen, Honig und Weihnachtsbäume verkaufen sie. Um Einnahmen und Ausgaben vernünftig buchen zu können, gründen die Schüler nach den Sommerferien sogar eine kleine Schülerfirma. Überschüssige Gewinne spenden sie an den Förderverein und die Indienhilfe. Das Bistum als Waldbesitzer ist froh über dieses Engagement: „Das ist so unglaublich wichtig. Die Gruppe erledigt so viele notwendige Dinge, die vorher leider liegengeblieben sind. Wir danken ausdrücklich für diese Unterstützung“, betont Michael Schmitz, der im Generalvikariat für die Verwaltung der Liegenschaften zuständig ist.

Ziel: alle Funktionen des Waldes verbessern

„Alle sind im Wald willkommen“, das ist die Botschaft der Wald-AG. Sie pflegen ihn und richten ihn für Spaziergänger genauso her wie für ihre Mitschüler. Im nächsten Schuljahr weitet sich ihr Engagement auf die ganze Schule aus. Dann wird es zum ersten Mal Waldjugendspiele geben – mit Stationen zum Thema Wald, die von der AG und ihrem Lehrer begleitet werden. Sich selber bezeichnet Michael Wallusch als „Waldläufer“. Er sagt: „Wald ist etwas, wo ich auftanken kann. Hier finde ich Ruhe und Kraft, fühle mich frei.“ Dieses Gefühl und ein Bewusstsein für das Ökosystem Wald möchte er weitergeben – mit der Wald-AG ist ihm ein erster erfolgreicher Schritt gelungen.

Ein Video der Wald-AG gibt es auf dem Instagram-Account des Kirchenboten.

Astrid Fleute