Anstoß 40/22
Durch meine Augen
In meinem Gotteslob steckt noch der Liedzettel vom 21. September. An diesem Tag war das Fest des Apostels und Evangelisten Matthäus. Der Überlieferung nach war er der Verfasser des ersten Evangeliums.
Matthäus arbeitete als Zöllner in Kafarnaum. Damit war er unter seinen Landsleuten ähnlich schlecht angesehen wie Sünder, Dirnen und Heiden. Denn auf der einen Seite standen die Zöllner im Dienst der verhassten römischen Besatzungsmacht und auf der anderen Seite kassierten Zöllner gern in die eigene Tasche. Mit solchen Menschen gibt man sich nicht ab. Solche Menschen grüßt man nicht, zu denen setzt man sich nicht an den Tisch und schon gar nicht lässt man sich von ihnen einladen.
Genau das tut Jesus Christus. Er setzt sich bei diesem Sünder an den Tisch und findet in ihm einen seiner Jünger. Dafür erntet er natürlich Kritik. Aber Jesus beantwortet diese Kritik mit der entwaffnenden Feststellung, dass er gekommen sei, Sünder zu suchen und nicht Gerechte. (Matthäus 9,9-13)
Matthäus ist ein Mensch mit offenen Ohren. Er ist bereit, mit Gott ernst zu machen. Durch Jesus erfährt der Zöllner Gottes Barmherzigkeit am eigenen Leib. Kein Wunder, dass er in seinem Evangelium immer wieder auf dieses Thema zurückkommt. Matthäus erzählt, wie er Jesus erlebt hat. Wir lernen den Sohn Gottes sozusagen durch seine Augen kennen.
Ich finde, dass das ein gutes Bild für die Aufgabe ist, die alle Christen haben: Menschen, die Jesus und seine Botschaft nicht kennen, sollen ihn durch unsere Augen kennenlernen. Das funktioniert aber nur, wenn wir Christen etwas zu sagen haben.
Manchmal macht mich unsere Sprachlosigkeit traurig. Wenn etwa Hochzeiten, Taufen oder Beerdigungen geplant werden, frage ich: Welche Stelle aus dem Evangelium ist ihnen wichtig? Meistens höre ich dann: „Das überlassen wir ihnen, Herr Pfarrer.“