Das Ethik-Eck

Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns geschenkt …

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Das Ethik-Eck
Nachweis

Foto: adobestock / Brigitte Bonaposta

Die Frage lautet diesmal: „Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns geschenkt …“ Wenn ich die Weihnachtsbotschaft in diesen Zeiten höre, dann denke ich manchmal: So einen Jesusknaben bräuchten wir gleich dutzendfach! Aber dürfte man das denn: Einen Menschen klonen? Und: Hätte er eine eigene Seele?“


Superhelden-Armee

Jesus, Klonen, Seele – puh, das ist wild. Ich habe richtig viele Fragen und bin keine ausgewiesene Klon-Expertin. Ich nutze die Chance aber für einige Impulsfragen kurz vor Weihnachten: 

Bernadette Wahl
hat Theologie und Religionspädagogik studiert, ist systemische Beraterin und arbeitet für das Bistum Fulda in der Citypastoral.

Wenn man Jesus klonen würde, wie viel von seiner Gottheit würde eigentlich „mitgeklont“ werden? Der originale Jesus und der Jesus-Klon würden dann gemeinsame DNA teilen. Aber könnte der Klon auch Wunder vollbringen, Tote lebendig machen und Kranke heilen? Was wäre, wenn der Klon in einem anderen Umfeld, vielleicht anderes Land, Sprache oder sogar Zeit, aufwachsen würde? Vielleicht in China, in der Bronx oder auf den Seychellen? Oder zur französischen Revolution? Und: Wie viel „Jesus“ würde durch die Sozialisierung beeinflusst? Wie würde ein Jesus-Klon aufwachsen, wenn Maria und Josef nicht die ersten Bezugspersonen wären? Was ist, wenn er sich anders als das Original, gegen die „Erlösung der Welt“ entscheiden würde – statt gehorsam zu sein? Dürfte und könnte er das überhaupt? War Jesus frei, auch nein zu sagen zu den Plänen seines Vaters? 
Ich kann mir nicht vorstellen, dass Jesus und der Klon die gleiche Seele haben könnten. Zwillinge teilen sich zwar auch gemeinsame DNA – aber keine Seele. Die Idee der Seelensplittung erinnert mich an Harry Potter und die Horkruxe, in die sich Lord Voldemort spaltet. Das widerspricht jedem mir bekannten Seelenkonzept. 
Steckt hinter der Idee, Jesus zu klonen, die Sehnsucht nach mehr Heil in der Welt? Was sollen die vielen Jesusknaben dann machen? Frieden in der Ukraine, im Heiligen Land oder in unseren Städten und Familien? Weltfrieden? Wie eine Art sozialkritische Superhelden-Armee, die bei Gefahren, Leid und Not eingreifen und helfen? 
Das, was den originalen Jesus ausgemacht hat, war sein Tod und seine Auferstehung. Klonen kann man das nicht. Es ist absolut einzigartig und der Mittelpunkt des christlichen Glaubens. Man könnte aber sagen, dass das Nachahmen oder „Klonen“ seiner Haltung und seines Zeugnisses die andauernde Aufgabe und der Anspruch aller Christen ist. Dabei geht es aber nicht um seine „körperliche Hülle“, sondern um seine Person, Haltung und Botschaft. Jesus ist Auferstehung, Heil, Gerechtigkeit und Güte. 
All diese ungewohnten Fragen helfen mir, der Frage nach der Person Jesus neu nachzugehen. An Weihnachten wird dieser Jesus geboren. 

 

Ein neuer Anfang

Ja, die Weihnachtsbotschaft ist voll von dieser Sehnsucht: dass alles neu und gut werden könnte. Licht, glitzernde Sterne, gute Botschaften, endlich gute Nachrichten.

Ruth Bornhofen-Wentzel
war Leiterin der Ehe- und Sexualberatung im Haus der Volksarbeit in Frankfurt.

Dass es Frieden gibt. Versöhnung. Dass das Gute sich durchsetzt. Dass man von vorne anfangen könnte. Dass alles auf Anfang steht.
Wahrscheinlich rührt Weihnachten auch deswegen an, auch die, die nicht glauben oder religiös sind. Weil diese Sehnsucht berührt wird. 
Von daher ist die Idee mit dem Klonen gar nicht ganz absurd – wäre ja toll, das Gute ließe sich einfach so herstellen. Nur ist das nicht besonders realistisch und auch nicht menschengemäß. 
Allerdings: genauer überlegt, es passiert ja – wenn auch anders. 
So ein kleines Neugeborenes löst Staunen aus und Freude, weckt unerwartet neue, tiefe Gefühle. Und bringt oft die besten Möglichkeiten hervor, holt oft neue ungeahnte Eigenschaften aus Menschen heraus.
Macht griesgrämige alte Männer zu strahlenden Opas. 
Zögerliche und ängstliche Männer zu tatkräftigen und stolzen Vätern. 
Löst das spätpubertäre Hin und Her und den Alltagsärger zwischen Müttern und Töchtern auf in ein neues Verhältnis von gegenseitiger Unterstützung, von Hilfe brauchen, geben und annehmen (wenn es gut läuft).
Macht geduldig und zuversichtlich und mutig. 
Kinder verändern das Leben. Und nein, sie machen nicht nur erschöpft und angestrengt, ratlos und überfordert (das natürlich manchmal auch). Sie machen neu, sortieren, was wichtig ist. Und starten mit ihrer Entwicklung auch die der Eltern. Von Vater und Mutter und vielleicht der ganzen Umgebung. Natürlich können sie auch Ängste und lang verschobene Konflikte neu beleben. Aber damit auch die Möglichkeiten, sich damit anders auseinander zu setzen, sich endlich darum zu kümmern.
Jedes Kind behauptet, dass wir neu starten können. Und Weihnachten erinnert jedes Jahr daran. Auch ohne Klonen, individuell, nicht standardisiert. Nicht als ewig langweilige Wiederholung, als Kopie, sondern immer neu.
Was beim Anfangen herauskommt, weiß man allerdings nicht. Vieles ist möglich, nichts ist sicher. Sicher nicht mit Garantie, dass es Jesus-mäßig ausgeht. Aber offen, auch dafür, dass es gelingt.
Mit Weihnachten, mit jedem Kind, mit jedem Anfang, weht ein bisschen Hoffnung herein. Wir können es hoffen, versuchen, ausprobieren. Und die Erfahrung machen: dass ein neuer Anfang möglich ist.

 

Brauchen viele Jesusse

Ein Blick in die Nachrichten reicht: Wir brauchen heute viele Jesusse. Viele Friedensfürsten,  die  die  Welt gerechter und barmherziger machen. 

Thomas Laubach (Weißer) ist Professor für Theologische Ethik an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg und lebt in der Nähe von Mainz.

Doch der Jesus von damals, der war einmalig. Der taucht heute nicht zwischen den Fronten oder auf Fluchtrouten auf. Diese Einmaligkeit jedes Menschen beflügelt die Phantasie. Gerade dann, wenn es mehr von einem Menschen und seinen Fähigkeiten, seiner Botschaft braucht. Menschen vervielfältigen, das wäre es dann doch. 
Klonen heißt das wissenschaftlich. Damit können genetisch identische Lebewesen hergestellt werden. Eineiige Zwillinge aus dem Labor. Kann das mit Menschen klappen? Eher nicht. Schon beim Klonen ausgestorbener Tiere tut sich die Wissenschaft schwer. Trotzdem wird das Menschenklonen intensiv diskutiert. In den meisten Ländern der Welt ist es verboten. Der Grund: Risiken und ethische Bedenken. 
Da ist der Aufwand. Für einen Kuhklon etwa verbrauchte vor wenigen Jahren ein Forscher über 2000 Eizellen. Kann man sich das für einen Menschenklon vorstellen? 
Zudem ist die Idee abwegig, man könnte das Duplikat einer Person schaffen. Denn Klonen schafft nur ein genetisch identisches Individuum. Doch der Mensch ist mehr als sein Erbgut. Jeder Klon würde sich individuell entwickeln. Seine Erfahrungen machen. Seine Persönlichkeit ausbilden. Selbst wenn wir also das genetische Material von Jesus hätten: Beim Klonen würden nicht viele Jesusse rauskommen. 
Und schließlich ist es ethisch problematisch, Menschen für bestimmte Zwecke zu schaffen. Menschen zu züchten, die Frieden schaffen sollen, als Organspender für einen kranken Menschen taugen, ein gestorbenes Kind ersetzen, das passt nicht zur Würde des Menschen. Wer Menschen zum Zweck macht, der raubt ihnen – religiös gesprochen – die Seele. Weil er den Menschen nicht so lassen will, wie er ist. 
Das aber ist doch die wunderbare Weihnachtsbotschaft: Dass der Mensch gerade in seiner Einmaligkeit so angenommen wird, wie er ist. Ganz egal, was seine Gene sagen, was er kann oder was aus ihm einmal wird.